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Der Frühling steht vor der Tür und auf den Balkons kehrt wieder Leben ein. Manche Exemplare hätten den Winter jedoch lieber nicht überstehen sollen.
Martin Erdmann — 04/19/23, 07:28 AM
Zeig mir deinen Balkon und ich sage dir, wer du bist. (Fotos: Unsplash)
Während der kalten Jahreszeit geht es beinahe vergessen: Manche Wohnungen verfügen über angebaute Aussenfläche. Im architektonischen Fachjargon spricht man dabei vom Balkon. Einen solchen zu besitzen, ist höchst angenehm, fordert aber auch eine gewisse Selbstdisziplin. Wegen seiner guten Sichtbarkeit entscheidet er darüber, was die Nachbarschaft über einen denkt. Fünf verwerfliche Beispiele.
Beteiligen sich nur selten an der Miete: Vögel.
Tierliebe macht blind. So kann es durchaus vorkommen, dass die Mietwohnung versehentlich mit der Vogelwarte Sempach verwechselt wird. Diverse Futterstationen werden aufgestellt und ein Vogelbad wird errichtet. Mit an Wahnsinn grenzender Begeisterung wird den Vögeln beim Picken und Plantschen zugeschaut. Auf dem Balkon darunter herrscht währenddessen konstante Anspannung. Denn immer, wenn etwas auf das Balkongeländer runterplatscht, fragt man sich panisch, ob es anfängt, zu regnen oder ob ein Vogel gerade seinen Verdauungsprozess abgeschlossen hat.
Wo sollte er auch sonst hin: Müll.
Wer meint, mit einem zugemüllten Balkon seine Verbundenheit mit neapolitanischem Lebensgefühl zum Ausdruck zu bringen, belügt sich selbst. Vielmehr ist der Messi-Balkon ein Mahnmal der Verdrängung. Was aus dem Sinn geschafft werden muss, wird an die äusserste Grenze des eigenen Wohnraums gedrängt. Doch es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Balkon überquillt und sich das Wohnungsinnere langsam mit den dreckigen Beweisen füllt, die belegen, dass man die quartiereigene Entsorgungsstelle seit längerem nicht mehr besucht hat. Irgendwann kommt der Tag, an dem man vom Müll geschluckt wird und unter einer Schicht von schimmligen Konservendosen und Milchpackungen mit ranzigen Resttropfen darin verschwindet. Drei Wochen später rufen die Nachbarn die Polizei, weil es im Treppenhaus komisch riecht.
Wird von Leuten mit üppigem Vorstrafenregister benutzt: Leerer Balkon.
Schaum vor dem Mund, Blut aus den Ohren oder Crocs an den Füssen: Es gibt viele Alarmzeichen, die signalisieren, dass mit einem Menschen etwas nicht mehr stimmt. Doch keines davon ist so eindringlich wie ein komplett leerer Balkon. Es ist ein sicherer Hinweis, dass im Innern jemand unter einer nackten Glühbirne gebeugt an einem Klapptisch sitzt und über ausgerollte Liegenschaftspläne starrt, um herauszufinden, wie tödliches Nervengas in das Belüftungssystem des lokalen Shoppingcenters geschleust werden kann.
Klingt schlimmer als Gölä: Windspiel.
Das Windspiel ist kein Einrichtungsgegenstand, sondern ein Mittel der psychologischen Kriegsführung. In stürmischen Nächten entfaltet es seine ganze Grausamkeit. Der Wind schmettert losgelöste Fensterläden an Hauswände, Regen peitscht gegen Fensterscheiben und aus der Dunkelheit dringt dieses unheimliche Bimmeln in die eigenen vier Wände. Wie ein Vorbote des Todes nistet es sich in den Gehörgängen ein, während man mit aufgerissenen Augen in durchgeschwitzter Bettwäsche liegt und sich sicher ist, dass in dieser Nacht jemand sein Leben lassen muss.
Maximale Schweizer Ästhetik: Rattanmöbel.
Ein Bild der schweizerischen Mittelmässigkeit: Der Mann arbeitet als Regionalleiter einer mittelgrossen Versicherungsgesellschaft dem ersten Herzinfarkt entgegen und liebt seine Frau seit Jahren nicht mehr. Seine Frau liebt ihn genauso wenig, erledigt jedoch jeden Samstag gewissenhaft die Wocheneinkäufe. Nicht mit dem Sportwagen, sondern mit dem SUV. So bleibt Platz, um den Sohn vom Fechten abzuholen. Der Sohn hat seit 13 seine eigene Kreditkarte und kauft sich damit illegale Aufputschmittel im Darknet. Seine Schwester weiss davon, verrät aber nichts, solange er ihren Eltern nicht von ihrem Alkoholproblem erzählt. Abends kommt die Familie auf dem Balkon zusammen, um sich in ihrem Elend verbunden zu fühlen. Auf den Rattanmöbeln sind alle gleich.