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Einmal im Jahr präsentiert Luzern beim KKL das Nonplusultra seiner geistigen und materiellen Hervorbringungen: Eigenwillige Pop-Art-Malerei, gastronomische Exzellenz und die immergleichen Bahnen. Wo lohnt sich der Besuch an der Määs?
Heinrich Weingartner — 10/05/22, 06:00 PM
Wer sie noch nicht kennt, wird sie riechen lernen: Rossmetzg Michel.
Der Alltag wird immer anstrengender. Konnte man vor einigen Jahren mit der komfortablen Gewissheit ins Bett gehen, dass am nächsten Morgen die Welt noch stehen wird, ist leider auch dies unsicher geworden. Wie schön, gibt es die Määs. Sie lässt uns in einfachere Zeiten zurückreisen und das Gehirn, einen besonders spassfreien Bestandteil unserer Anatomie, für ein paar Momente ausschalten. Diese fünf Dinge muss man bei der diesjährigen Ausgabe der stadtbekannten Kleinmesse gesehen haben:
Traust du dich oder nicht? Für Kinder nur in Begleitung empfohlen!
Überraschend minimalistisch ist die Geisterbahn heuer geraten: Ein simpler, weisser Betonklotz mit zwei Eingängen links und rechts sowie einem blauen Schild, auf dem «WC» steht. Aber die einfache Gestaltung soll nicht über den Horror im Innern hinwegtäuschen. Hier hat man mit den modernsten Mitteln der Messetechnik einen Tempel des Grauens geschaffen, der auch auf olfaktorischer Ebene überzeugt: Es riecht nach einer Mischung aus Zuckerwatte-Durchfall, Outlet-Parfums und dem Angstschweiss von Betroffenen ungewollter Landfestschwangerschaften.
Innovation pur: Eine Rutschbahn, die kostet.
Die SVP-Kantonsrätin Lisa Zanolla hat für ihren Lebensweg den für die Gemeinschaft unabkömmlichen Beruf der Schaustellerin gewählt und betreibt an der Määs gleich mehrere Bahnen. Sie besitzt die einzigartige und wohl nur noch vom Trinkwasser-KMU Nestlé übertroffene Gabe, für üblicherweise öffentliche Leistungen Geld zu verlangen. Hier darf man beispielsweise für zwei Franken Rutschbahnen herunterrutschen, die in ihrer fallenden Wellenform an die jüngere politische Entwicklung der SVP erinnern. In der Warteschlange können zum Zeitvertreib Promiporträts bewundert werden, die unter starkem Rauschmitteleinfluss stehende Menschen mit verbundenen Augen gemalt haben.
Einen geschenkten Gaul nimmt man am besten gleich ins Maul: Rossmetzg Michel.
Dieser Stand steht etwas abseits von allen anderen Ständen und Bahnen, damit sich der ledrige Pferdefleisch-Duft in all seinen Facetten entfalten kann. Hast du schon mal Pferdefleisch gegessen, wird oft in Gesprächsrunden gefragt. Hast du schon mal etwas Anderes als Pferdefleisch gegessen, fragen sich die Mitglieder der Familie Rossmetzg Michel gegenseitig und wiehern dabei scherzhaft. Nach Määs-Feierabend reiten sie jeweils auf ihren Pferdewürsten zum Winnetou-Schiessstand hinüber (ja, gibt's) und schwelgen mit den Old Schiessbudentanten in Zeiten, in denen man noch rassistisch sein durfte, ohne gleich dafür verurteilt zu werden.
Was ist besser als nichts gewinnen? Genau: Zwölf Mal nichts gewinnen.
Dieser vergleichsweise neue Stand ist der Beweis dafür, dass die Määs alles andere als ein gesellschaftlich akzeptierter Massen-Scam von serbelnden Kleinunternehmen ist, um ahnungslosen und leicht von Reizüberflutung geblendeten Menschen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Den Kran, bei dem noch nie jemand seit Beginn der Zeitrechnung etwas gewonnen hat, kennt man aus zwielichtigen Kellerspelunken, wo er gleich neben der Karaokeanlage steht. Hier hat man aus rein humanistischen Gründen gleich zwölf solche Kran-Maschinen nebeneinander gestellt. Wenn man bei der einen Maschine nichts gewonnen hat, gewinnt man vielleicht etwas bei der Maschine nebendran?
Ohne Quacksalberei-Ausweis gibt es keine Bewilligung für einen Stand auf dem Inseli.
Es ist unverständlich, wieso die Määs noch nie den Nobelpreis gewonnen hat. Wenn sich die Wissenschaft am Holzhüttenkongress auf dem Inseli orientieren würde, hätten wir die grossen Probleme der Menschheit bereits gestern gelöst. Hier gibt es Anti-Black-Ochsengallenseife, allesheilenden Lavendel und mit Tarotsymbolen verzierten Billigschmuck, der so schön ist, dass man sich am liebsten die Augen ausreissen möchte. Es ist ein Revival der mittelalterlichen Scharlatanerie im grossen Stil. Für alte Menschen, die vergessen haben, wie man den Fernseher einschaltet, steht wie jedes Jahr der österreichische MediaShop-Marktschreier in seinem Kabäuschen. Diesmal wird ein Saftmischer beworben. Wer diese wichtigste Erfindung seit der modernen Medizin nicht besitzt, wird im Kastensystem der Pensionär*innen als Unberührbarer behandelt.