Odyssee durch Blau-Gelb
Wohnungen wollen eingerichtet werden und deshalb landet man manchmal unverhofft beim skandinavischen Möbelgiganten. So auch unser Autor.
Nikola Gvozdic — 04/05/23, 09:11 AM
Das Ende aller Dinge: Ikealager. (Foto: Unsplash)
Ich stehe in einem mir fremden Zimmer und sehe mich ein wenig um. Niemand ist hier. Warum bin ich hier? Mein Blick fällt auf eine To-Do-Liste an der Wand. Alma hat einen Zahnarzttermin abgemacht. Gut für sie. Eine Torte und Schuhe braucht sie noch. Okay. Mich beschleicht ein ungutes Gefühl. Habe ich Almas Geburtstag vergessen?
Moment mal, ich kenne gar keine Alma. Schräg. Ich drehe mich um, verlasse das Zimmer und vor mir tut sich eine Halle voller Sofas auf. Da überkommt mich die Erkenntnis mit der Wucht aller ungünstigen Winde zusammen: Ah Shit, ich bin in der IKEA. Ich erinnere mich wieder.
Braucht neue Schuhe: Alma.
Wie lange bin ich schon hier? Eine Stunde? Fünf Stunden? Zehn Minuten? Vergeblich suche ich nach einer Uhr, die mir Antworten darauf geben könnte. Wie an solchen Unorten üblich gibt es hier aber keine Uhren. Zeit spielt keine Rolle … Geld und Träume hingegen … Casinos sind genau so.
Es wird wohl kein Zufall gewesen sein, dass am Eingang dieses Labyrinths die Aufschrift prangt: Folge den nummerierten Schildern, um zu finden, was du suchst. Aber was suche ich? Glück? Anerkennung? Satori? Oder vielleicht einfach ein Möbelstück, das mir all das gibt? Warum verdammt nochmal bin ich hier? Tief durchatmen.
Verwirrender als Stadtkarte einer Weltmetropole: Ikea-Lageplan.
Sich in einem Einrichtungshaus orientieren zu wollen, ist ein sinnloses Unterfangen. Noch einmal: Tief durchatmen. Ich bin schon zu weit gegangen. Es gibt kein Zurück mehr. Also füge ich mich den Erkenntnissen von Designern, Verkaufspsychologinnen und Innenarchitekten, die den Weg hier vorbestimmen, und wage mich tiefer in das Dickicht hinein, in der Hoffnung, heil auf der anderen Seite herauszukommen.
Nichts hier drinnen folgt irgend einer weltlichen Logik. Die Gänge bilden nicht nachvollziehbare Muster. Wo ein Ende sein sollte, ist immer wieder nur ein weiterer Raum. Wie kann das sein? Wenn mich jemand zwänge, einen Grundriss zu zeichnen, würde ich einfachheitshalber einen Ohnmachtsanfall vortäuschen.
Geben ausserhalb des Ikeas eigentlich recht gute Orientierungstipps: Pfeile.
Völlig verloren wandere ich durch diese Unterwelt aus komplett eingerichteten Zimmern, in denen nie jemand gelebt hat und nie jemand leben wird. Räume, die ein besseres (oder mindestens interessanteres) Leben versprechen. Wessen Traum ist das? Unser kollektiver, oder jener, der aus kaltem Kalkül entstanden ist, und uns bloss als unser eigener Traum verkauft wird?
Das künstliche Licht benebelt meinen Verstand. Ich stürze mich auf ein Küchenfenster, um nach Luft zu schnappen. Aber wie alles hier drin, ist auch dieses Fenster nur ein falsches Versprechen. Nur die Illusion einer anderen Welt. Ich frage mich, ob ich bereits verzweifelt genug bin, den Notausgang zu benutzen, entscheide mich dagegen und schreite weiter auf meiner Katabasis.
Führt nur noch tiefer ins Verderben: Fensterattrappe.
Plötzlich trete ich auf eine Lichtung. Das Restaurant. Ein Ort der Entspannung. Obwohl, hier wohl eher nicht. Konsumpause vielleicht, Konsumationspause keineswegs. Statt Lotos gibt es Kaffee, denn zu lange sollte man nicht sitzen bleiben. Das Ende ist nämlich noch bei weitem nicht in Sicht und es wäre schlau, wenn man jetzt ein wenig Kraft tanken würde.
Also wandere ich weiter. Vorbei an einer exorbitanten Anzahl von Krimskrams und allem, was irgendwie in eine löblich eingerichtete Wohnung gehören könnte. Hin und wieder scheint es mir, als ob ich zwischen den Wänden ein gehörntes Monster schnauben höre. «Sieh dir doch diesen tollen Sparschäler an. Du brauchst doch ein paar neue Gläser. Ist dieser Untersetzer nicht super?», flüstert es. Ich halte mir die Ohren zu.
Und doch landet immer etwas im Warenkorb.
Wider jeglicher Erwartungen erblicke ich, gerade als mich die Hoffnung ganz verlassen wollte, den Ausgang. Ich danke laut den Göttern, verfluche sie leise, und stürme hinaus. Es muss in der Zwischenzeit geregnet haben. Das Sonnenlicht glitzert auf dem nassen Boden. Ich fülle meine Lungen mit der frischen Luft. Hinter mir ragt der blau-gelbe Block, und irgendwo in ihm drin ein Monster, das zufrieden lächelt. Mein Blick fällt auf den Einkaufswagen, den ich stosse. Anscheinend habe ich gefunden, was ich gesucht habe.
Weshalb E-Mails sehr fest nerven Das grösste Agglo-Verbrechen Luzerns |