Meine persönliche Hölle
Unser Autor Anton Kuzema verbringt einen Abend in einer Champagner-Bar. Dabei trifft er auf unerwartete Eindrücke und wird masslos von sich selbst enttäuscht.
Anton Kuzema — 08/16/22, 08:10 AM
Anton Kuzema lernte in der Champagner-Bar einen Lektion fürs Leben. (Fotos: zvg)
Mit zwei Freund*innen gehe ich in eine neue Champagner-Bar in der Luzerner Neustadt. Der perfekte Ort, um meine persönliche Hölle vorzuführen. Die Webseite zitiert Brigitte Bardot: „Champagne is the one thing that gives me zest when I am tired.“ Eine Wand wäre vollständig mit Champagner-Flaschen ausgehängt, wenn die Aneinanderreihung nicht von einem kreischenden Neon-Schriftzug gebrochen werden würde. Von der Decke hängen deutlich zu viele Disko-Kugeln und auf Instagram ballert jemand mit einer Seifenblasenpistole durch den Raum.
Die Gäste, die wochenends selektiert werden, tauchen nach der Türschwelle in eine Welt aus kitschigem Pink und LED-Lichtern. Die langweilende Exklusivität dient scheinbar der Etablierung eines jugendlichen und pseudo-schicken Stils. Natürlich liegen aber auch Flyer für die Zentralschweizer Pride an der Bar aus. Die Tür öffnet der progressive Neoliberalismus, der - getränkt in Privilegien - in einer neuen Gestalt auftritt. Alles daran wirkt schrecklich.
Also laufen wir in bourgeoiser Manier auf: Weisse Hemden, ein burgunder-roter Rock an Glamour kaum zu übertreffen, schwarze Krawatten küssen elegante Jackets, Stilettos und Lackschuhe, schwingendes Haar und adrette Accessoires. Wir sehen brillant aus.
Ich brauche irgendwas, um den Laden hassen zu können. Aber nichts.
Doch am Tisch angekommen, wirkt so einiges befremdlich: Da hängt ein tatsächlich stilvolles Porträt von Brigitte Bardot an der Wand. Es läuft ein etwas housiger Techno, passend zur Stimmung und aus nahtlos klingenden Boxen. An der Toilettentür steht „unisexe“ - das erste mal, dass ich das in Luzern sehe. Sogar die kitschigen Farben wirken drinnen fluide und begleiten die gefüllten Weingläser fast sogar elegant. Verrückt. Es ist angenehm. Alle die dort sind, wirken gelassen und ehrlich gesagt, wie tolle Menschen.
Warum spricht hier niemand über den Handel mit Kryptowährungen? Warum schwingen keine wilden Kreuzungen von billigen Parfums durch die Luft? Warum gibt es keine überheblichen Schnösel, die sich flaschenweise Champagner bestellen? Kann hier bitte jemand irgendwas problematisches machen? Kommt schon! Irgendwas. Ich brauche irgendwas um den Laden hassen zu können. Aber nichts.
Herausgeputzt, aber dennoch fühlte man sich wie Trash.
Spätestens dann wird uns bewusst, dass nicht die Bar, sondern dass wir der Trash sind. Die Assoziationskette, die durch die Begriffe Champagner, Diskokugel, Seifenblasenpistole und Pink ausgelöst wird, erzeugt in mir das Bild eines bestimmten Lebensstils. Die Champagner-Bar wird zu einer rhetorischen Figur: Etwas-das-schlecht-ist. Es macht keinen Unterschied, was sich dort tatsächlich abspielen könnte.
Warum sind wir so? Immer wieder predigen wir einander, wie wichtig es sei, Dinge nicht verkürzt zu betrachten. Und wofür? Damit wir in eine vermeintlich trashige Bar gehen, um die Leute da zu trashen. Mein Freund bezeichnet die Erfahrung als biographischen Moment.
Wir sind nicht nur Trash, sondern auch undemokratisch.
Genau an dem Punkt, an dem wir denken ein Problem erkannt zu haben - eine Bar, die einen selbst-darstellerischen Lebensstil prägt - etablieren wir das eigentliche Problem: Den Verlust der Fähigkeit etwas wohlwollend zu betrachten. Wir sind nicht nur Trash, sondern auch undemokratisch. Aber eines können wir dadurch gewinnen: Das radikale Scheitern an den eigenen Vorurteilen ist eine Hölle, die keine bleiben muss. Sie ist der notwendige Umweg ins Paradies.