Meine persönliche Hölle
Arbeitsscheu, aber dafür immer etwas betrunken: Reda El Arbi erklärt, weshalb die Generation X allgemein unterschätzt wird.
Reda El Arbi — 09/06/22, 07:32 AM
Will den Hass auf die Arbeit erfunden haben: Generation X. (Foto: Streetparade.com)
Wir werden ständig übersehen, ignoriert, unsere Leistung marginalisiert, dabei waren wir die erste Generation, die einen eigenen Buchstaben bekam. Naja, sie nannten uns auch Generation Golf. Nach dem Auto, nicht nach dem Sport. Aber das war eher die Ausnahme. Gen X wurden wir genannt. Heute werden wir von den Millennials als verknöcherte Boomer gelesen, und von den Boomern als verweichlichte Emporkömmlinge behandelt. Niemand zollt uns Respekt für unsere Leistungen.
Ich habe gerade gelesen, dass die Millennials das «Quiet Quitting» erfunden hätten. Sowas wie Arbeitsverweigerung über die bezahlte Verpflichtung hinaus. Ha, «erfunden». Pff. Das ist BS. Schon in den 90ern waren wir Gen-Xler faule Schweine ohne Arbeitsmoral. Nur waren wir nicht ruhig, sondern sagten es jedem und jeder, ob sie es hören wollten oder nicht. Wir stänkerten und moserten jede freie Minute über Job und Chef (damals meist männlich), gingen früher nach Hause, machten längere Pausen und RAUCHTEN noch zwei zusätzliche Zigaretten nach der Mittagspause. Himmel, wir tranken morgens um neun Bier auf der Baustelle.
«Etwas mit Medien»
Während die Boomer noch stolz auf ihre beruflichen Erfolge waren, machten Gen-Xler, die etwas auf sich hielten, «etwas mit Kunst», was eigentlich hiess, dass wir uns um echte Arbeit drückten und dafür Projekte hatten. In Berlin! Mit anderen asozialen Pennern. Ähnlich wie heute orientierungslose Millennials nach dem Studium der Politikwissenschaften oder einer KF-Lehre «etwas mit Medien» machen, bis sie entdecken, dass das eigentlich auch Arbeit ist.
Selbst bei den Partys waren wir Pioniere. Während die Boomer noch an den Resten der 68er-Bewegung knabberten und heimlich auf dem Balkon stinkendes Gras mit niedrigem THC-Gehalt rauchten, hat meine Generation aus dem Feiern einen Wirtschaftszweig gemacht. Wir haben die Street Parade erfunden. Die Techno-Chilbi, bei der sogar die Polizei mittanzt und niemand wirklich kontrolliert, wie viel Drogen die Leute eingeworfen haben.
Wir hatten gar nicht genug Buchstaben, um die halluzinogenen Substanzen zu benennen, die aus tschechischen Labors in die Clubs kamen, verkauft von akkreditierten Dealern, denen die Gen-Xler, die den Club führten, vertrauten. Wir haben das Gras in der Schweiz mit Zucht so potenziert, dass Reggae-Bands aus Jamaika ihre Auftritte absagen mussten, wenn sie vor dem Konzert eine Tüte davon reinzogen.
Aber niemand zollt uns Respekt dafür.
Meine Generation hatte noch echte Sekten!
Reda El Arbi
Digitalisierung? Wir haben das Web, wie ihr es heute kennt, erfunden. Wir waren Natives, weil wir schon da waren, als das Web kam. Wer je neunzig Minuten auf ein freizügiges Schwarzweiss-Bild von Samantha Fox warten musste, das sich Zeile für Zeile aus dem Modem auf den Bildschirm fläzte, weiss, was es heisst, gemeinsam mit dem Internet erwachsen zu werden. Nur, weil unsere Leistungen nicht auf Tiktok oder Youtube sind, heisst das nicht, dass sie nicht erbracht wurden.
Im Zusammenhang mit dem «Quiet Quitting» wird den Millennials jetzt auch nachgesagt, sie kümmerten sich mehr um ihre psychischen Wachstum und ihre spirituelle Entwicklung. Mehr Awareness, mehr «Work/Life-Balance». Ha. Spirituelle Entwicklung? Überteuertes Life-Style-Yoga, oder ein MBudget-Persönlichkeitscoach sind keine «spirituelle Entwicklung».
Meine Generation hatte noch echte Sekten! Bhagwan, der originale Osho, war noch am Leben, und wer an ihn glaubte, kleidete sich ganz in Rot und vögelte an Zusammenkünften mit allen, egal, ob man sie nun anziehend fand oder nicht. Naja, bis HIV kam.
Früher, als es noch echte Sekten gab. Hier: Bhagwan-Anhängerschaft am Strassenrand. (Foto: Wikipedia)
Die Scientologen hatten ihre beste Zeit und kaum genug Personal, um all die neuen Mitglieder brainzuwashen, die sie an Strassenecken aufgabelten. In der Ostschweiz gabs in jedem zweiten Kaff einen Guru mit eigener Kommune. Ja, es gab sogar den Beruf des Deprogrammierers, der Leute aus Sekten entführte und ihnen ihre unter Schweiss und Leiden erworbene Spiritualität wieder austrieb.
Wenn ich mich jetzt, in der Midlife-Crisis, nach spiritueller Orientierung umsehe, kann ich beim Reisebüro um die Ecke eine All-Inclusive-Meditationserfahrung in Goa buchen. Oder ich gehe sonntags mit ein paar hundert Millennials in die hippe, christliche Plastic-Disneyland-Celebration der ICFler oder anderer Freikirchen.
Revolutionäres Mode-Accessoire: Che-Shirt.
Den Boomern wird vorgeworfen, sie hätten den Planeten an die Wand gefahren. Das ist unfair, das waren wir, die GenXler. Wir waren die ersten, die überall hin mit dem Flugzeug reisten, die aus allem eine konsumierbare Ware machten. WIR haben die Che-Guevarra-Tshirts in den H&M gebracht!
Wir sind GenX. Wir sind diejenigen, die den Boomern ihre langweilige Welt abnahmen und daraus das Tollhaus machten, in dem ihr jetzt leben dürft.
Also zollt uns gefälligst den gebührenden Respekt. Ehrewort.
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