Meine persönliche Hölle
Lisa Kwasny hat den berüchtigten Konsumtempel in Ebikon besucht. Ein Rundgang durch ihre persönliche Hölle.
Lisa Kwasny — 06/14/22, 07:06 AM
Wie ein Flughafen ohne Entkommen: Die Mall of Switzerland.
Ich hasse Einkaufszentren. Sie sind grell, zu gross und die Produktauswahl überfordert mich. Beim Besuch eines Einkaufszentrums bekämpfe ich zuerst den Drang, sofort wieder rauszugehen. Danach bekämpfe ich den Drang, sofort alles zu kaufen, was ich schon immer wollte und unbedingt brauche, es aber bis anhin noch nicht wusste.
Als ich an einem sonnigen Samstagnachmittag die Mall of Switzerland betrete, liegt ein leichter Duft von Pommes und Landwirtschaft in der Luft. Die Mall liegt in Ebikon, gleich neben Buchrain. Das Gebäude ist gross, weiss und hat gegen vorne kaum Fenster. Durch eine Art vergittertes Guckloch blicke ich nach draussen. Auf der einen Seite bimmeln die Kuhglocken, auf der anderen Seite rasen die Autos über Ebikons lange graue Hauptstrasse. Das ist der Swiss Dream, Shopping mit Heimatgefühl.
Mit seinen glatten Steinböden und vielen Rolltreppen erinnert mich das Gebäude an einen Flughafen. Ich gehe einen Gang entlang, entferntes Kindergeschrei fügt sich in die Geräuschkulisse und langsam rieche ich den Geruch fabrikneuer Billigprodukte. Er ist säuerlich und mir wird ein bisschen schlecht. Dann sehe ich die ersten Läden.
Uniformen für Shopping-Mall-Begeisterte.
Ich beschliesse, mich treiben zu lassen, um eine wirkliche Shopping-Experience zu gestalten. Vielleicht finde ich einen Hut für den Sommer? Nach drei Geschäften hat mich der Sog des Konsums gepackt. Ein süsses Crop-Top winkt von einem Ladeneingang. Die Farbe habe ich noch nicht. Oder vielleicht ein zweites in Weiss, falls das, das ich schon habe, in der Wäsche ist?
Leicht wippe ich zur coolen Musik, die in jedem Laden läuft. Coole Musik für ein cooles Einkaufserlebnis. Bei jedem Shirt ermahne ich mich aber: «Das brauchst du nicht wirklich. Und wenn doch, findest du bestimmt was Secondhand.» Die neuen Kleider führen mich aber trotzdem in Versuchung und mehrere Male war ich kurz davor, etwas zu kaufen. Was für ein Mensch wäre ich mit so einer Hose, wie würde mein Leben verlaufen? Ich hätte bestimmt mehr Freunde und würde meine Träume verwirklichen.
Ich denke über den Zustand unserer Welt nach. Wir sind am Arsch.
Langsam melden sich Kopfschmerzen. Das habe ich immer, wenn ich einen inneren Konflikt mit mir austrage. Mein Kater und der chemische Geruch der Produkte helfen nicht. Zudem sind überall Leuchtreklamen und pastellfarbene Kleider in unglaublichen Massen. Ich denke über den Zustand unserer Welt nach. Wir sind am Arsch.
Mittlerweile schwitze ich trotz Klimaanlage, was wohl nicht nur auf den Alkohol von letzter Nacht zurückzuführen ist. Mein Abgrenzungsvermögen ist nach Partynächten low und die Eindrücke der Mall werden mir langsam zu viel. Ich setze ich mich auf eine Bank in der Mitte des Gebäudes und schaue den Menschen zu. Sie sind alle gekleidet wie die Schaufensterpuppen um mich herum. Mit meinen löchrigen Turnschuhen fühle ich mich etwas fehl am Platz. Ich beschliesse, etwas zu Essen, einen Fruchtsaft zu kaufen und mir den Aussenbereich der Mall anzuschauen.
Draussen ist es immer noch am schönsten.
In Ermangelung eines Dorfplatzes in Ebikon ist die Mall of Switzerland zum Treffpunkt von Jung und Alt geworden. Den Bau der Mall begleitete der Bau eines neuen Autobahnzubringers nach Buchrain und die Verlängerung der Busstrecke Nr. 1. So haben Klima und zukünftige Generationen wenigstens auch was davon. Die hier verkauften Waren werden jedenfalls keine 5 Jahre durchhalten.
Auf dem Vorplatz zwischen Restaurants kommt Wasser in einer Art Springbrunnen aus dem Boden. Darum herum haben sich Kinder auf Badetüchern ausgebreitet. Ein kleiner Junge mit Brille isst Chips, danach legt er sich zum Sonnen hin wie am Strand. Sobald die Wasserfontänen starten, rennen von überallher Kinder zu den Fontänen, springen durch sie hindurch und kreischen. Für mich fühlt sich das gerade an wie ein Safe-Space. Der Vorplatz ist der schönste Platz der ganzen Mall.
Nachdem ich mich wieder etwas gestärkt fühle, gehe ich zurück in das seltsame Einkaufszentrum. Ich schlendere noch durch ein paar Läden, aber eigentlich habe ich überhaupt keine Lust mehr. Ich habe das Gefühl, mich die ganze Zeit im Kreis zu drehen und immer das gleiche zu sehen. Nach knapp zwei Stunden habe ich genug. Wie können Menschen hier einen ganzen Samstagnachmittag verbringen? Wer hat uns beigebracht, dass Konsum ein Freizeitvergnügen ist? Stolz, nichts gekauft zu haben, verlasse ich die Mall.
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Dieser Artikel wurde im Rahmen des «Innereien»-Kulturprojektes der Albert Koechlin Stiftung produziert. Hier erfährst du mehr darüber. Und hier geht es zur offiziellen Webseite: www.innereien.ch.