Meine persönliche Hölle
Eigentlich wollte sich Jana Avanzini über den Horror des Nachtzug-Fahrens auslassen. Doch die eigentliche Hölle traf sie erst an ihrem Reiseziel an: Der unterste Winkel Italiens.
Jana Avanzini — 07/19/22, 12:10 PM
Gibts im Süden Italiens wie Sand am Meer: Abfall. (Fotos: Jana Avanzini)
Nach dem letzten Nachtzug-Horrortrip, ohne Schlaf eingequetscht im quietschenden und ratternden Ungetüm, war ich sicher: Das wird eine Höllenreise. Doch die Fahrt von Luzern nach Sizilien war, trotz Streik, trotz Holpern und Rattern, trotz rauchender Nachbarn, geschlossenen Toiletten und quengelnden Kindern, eigentlich recht vergnüglich.
Man merke sich nach diesen Ausführungen: Die Stimmung war fantastisch zu Beginn der Ferien. Vieles, worüber sich die verwöhnte Schweizerin ausführlich hätte echauffieren können, wurde absolut ungestresst zur Kenntnis genommen.
Dann sind wir angekommen.
Scherben statt Muscheln
Die vergangenen Jahrzehnte reiste ich meist in den Norden. In die kanadischen Bergen, durch irische Hügel, schottische Landstriche. Ich erkundete den Norden Deutschlands und Frankreichs.
Der verschrobene Charme und die Temperaturen, die raue Schönheit der Landschaft, waren mir lieber als die südlichen Gefilde. Afrika, Südamerika – die Strände Australiens und Thailands mit ihren krebsroten Cuba-Libre-Touris, ihren Surf-Kursen und ihrem Sextourismus schreckten mich doch eher ab, als dass ich meine freien Wochen dort – von der Hitze erschlagen – hätte verbringen wollen.
Fast wie Muscheln, einfach mit schärferen Kanten: Scherben.
Dieses Jahr jedoch entschieden wir uns dazu, eine Reise in den gefährlichen Süden zu unternehmen. Ich stellte mich also ein auf Machismo, Hitze und Abfall, auf den Geruch von Kanalisation. Aber auch auf meditatives Muscheln-Sammeln, kühle Kirchen und frischen Fisch. Doch die Kirchen sind heiss, die frischen Fische frittiert und Muscheln gibt es keine.
Wir sammeln also Glasscherben und sonstigen Abfall menschlicher Zivilisationen.
Wegweisender Müll
Um unsere Ferienwohnung jeweils wiederzufinden, orientieren wir uns an einem Abfallberg – der nur darum nicht bestialisch stinkt, weil streunende Tiere sich davon ernähren. Dort lässt uns der Taxifahrer raus, der uns für horrende Preise Herzinfarkte verpasst, wenn er über rote Ampeln fährt, eng vorbei an unbehelmten Vespafahrenden und gelegentlich auch etwas länger als nötig auf der Gegenfahrbahn.
Das Einzige, was die Mafia beseitigen sollte: Abfallsäcke.
Allgemein dominiert der Abfall nicht nur Strand- und Strassenbild, auch im Museum del Mare haben die Kurator*innen – offenbar von den grossen Problemen der Menschheit inspiriert – haufenweise Abfall reinkippen lassen. Leider wirkt diese Installation, aufgrund der Umstände rund ums Museum herum, nicht wie Kunst, nicht wie Vermittlung, sondern eher, als sei hier ein weiteres Kulturangebot vernachlässigt worden. Ratlos schwitzend stehen die Touris davor, bevor sie sich einem Video zuwenden, in welchem Bilder von kaltem Wasser ihnen die eigene, hoffnungslose Situation nochmals vor Augen führen.
Und dann dieser Park, angelegt für das naturnahe Lustwandeln: Ein Desaster. Ein paar Mammutbäume stehen verloren zwischen Abfallhügeln und im betonierten Teich schwimmen Schildkröten zwischen Algenteppichen, Plastikstücken und Ratten. Im dazugehörenden Spielplatz, einem Luna-Park für Kinder, gibt es Zombiespiele und Angestellte, die schon mittags ihre Schnapsfahne in den nicht existenten Wind halten.
Wir stehen einmal mehr schwitzend dabei und versuchen weiterhin um den «Kauf» von dargebotenem Plastikramsch herumzukommen, während uns das Eis über die Kleidung tropft.
Von Düften und Lüsternen
Wenn manchmal zuhause dumpfer Fäkalienduft in der Luft hängt, wie gelegentlich am St. Karliquai in der Stadt Luzern, dann macht sich Feriengefühl breit. Doch leider sind es in Sizilien nicht die Dämpfe der Kanalisation, die uns begleiten. Es ist der beissende Gestank von Urin, der in den Gassen hängt. Männerurin in allen Ecken, der von Hunden an Pfosten und Bäumen.
Die schlimmsten aller Nachbaren: Hunde.
Wo wir beim nächsten Problem landen: Die Hunde. In allen Grössen und Formen sind sie vertreten, hinter den Zäunen fletschen sie die Zähne und bellen sich heiser, Tag und Nacht, zwischen den brüchigen Plastikstühlen lungern sie nach der Siesta in der Hoffnung auf einen Bissen fettigen Teiges herum.
Im Fernsehen unterhalten sich derweilen alte Herren, die ihre schwindende Unterhaltsamkeit offenbar von halbnackten, jungen Frauen kompensieren lassen müssen. Deren Auftrag besteht hier auch im 21. Jahrhundert noch darin, in Glitzerbodys um sie herumzustehen, ihnen die Schultern zu massieren und stumm über ihre flachen Witze zu lächeln.
Nächstes Mal fahre ich wieder in den Norden. Auch wenn es dort heisser ist.
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