Meine persönliche Hölle
An dieser Stelle berichten Kultz-Schreibende über ihre persönliche Hölle. Corinne Huwyler hätte eigentlich eine Käserei besucht. Wieso sie es nur in die Vorhölle des Käseladens geschafft hat, erzählt sie hier.
Corinne Huwyler — 05/23/22, 04:46 PM
Mit klingenden Namen versuchen die Käsesorten, die Kund*innen zum Bösen zu verführen.
Ich hatte mich gründlich vorbereitet. Mit Yoga angefangen, um der Herausforderung gelassen entgegenblicken zu können. Im Schuhladen an den gebrauchten Strümpfen geschnüffelt, um mich auf den Gestank einzustellen. Sichergestellt, dass meine Mutter mich an diesem schwierigen Tag begleiten würde. Es kam anders.
Am Abend, bevor wir die Käserei besucht hätten, bekam ich Hals- und Kopfschmerzen. Eine physische Reaktion auf den psychischen Stress, den mir die Aussicht auf den Käsereibesuch bescherte? Ein Hinweis meines Unterbewusstseins, dass ich den Ausflug nicht überstehen würde? Ich weiss es nicht. Auf jeden Fall entschieden wir uns, anstelle der Käserei lediglich einen Käseladen zu besuchen. Es gibt schliesslich auch so etwas wie eine Vorhölle. Das muss reichen.
Kindheitserinnerungen
Mein Käsehass ist differenziert. Ich mag Fondue, liebe Raclette, esse Mozzarella gerne auf der Pizza und finde auch Hüttenkäse ganz gut. Aber die anderen Sorten Hart- und Weichkäse verabscheue ich, seit ich diese Welt betreten habe. Ich möchte das Zeug nicht essen, weil es für mich nicht «rezent riecht», sondern einfach nur stinkt.
Der Horror meiner Kindheit: Das Käsetupperware.
Obwohl mein Grossvater Käser war, haben meine Eltern meine Abneigung akzeptiert. Früher hat mir mein Vater sogar den rohen Raclettekäse auf die Schaufel gelegt, weil ich den nicht anfassen wollte. Und wenn ich nach dem Essen den Tisch abräumen musste, wussten meine Eltern, dass sie das Käsetupperware anschliessend selbst in den Kühlschrank stellen mussten. Noch heute bekomme ich Herzrasen, wenn ich ein Tupperware sehe, das wie das Käsetupperware meiner Eltern aussieht.
Drama, Drama
Schon bevor ich ihn rieche, fühle ich den Geruch des Käseladens und bevor ich weiss, wie mir geschieht, steigt er mir bereits in die Nase. Ein Geruch, der mich quälen will. Scharf wie ein Messer, das mir in den Rücken gerammt wird, säuerlich-faulig wie Essensreste, die zu lange in den Zahnzwischenräumen gehaust haben.
Vor dem Laden sage ich: «Es stinkt», meine Mutter sagt: «Du stinkst», ich sage: «Dini Mueter stinkt» und wir prügeln uns kurz, bis die Käsefrau uns zur Ordnung mahnt.
Okay, das stimmt nicht, aber es wäre noch lustig gewesen.
Ein Schwatz mit den Teufelinnen
Der Schritt in den Laden geht überraschend schnell. Und genauso, wie der Teufel sich nicht immer gleich zu erkennen gibt, versucht auch meine persönliche Hölle, mir zunächst etwas Harmloses vorzugaukeln. Im Käseladen stehen verschiedene Öle, Gewürze und Weine zum Verkauf. Ich erwische mich beim Gedanken, dass es da ja eigentlich ganz in Ordnung sein könnte. Aber kaum bin ich drei Schritte weiter, ist die Hölle da: gelb-weiss-grüne Körper des Grauens, runde und viereckige Prismen des Gestanks.
«Für mich persönlich sind Sie ein bisschen wie der Teufel», ist wohl nicht der beste Eisbrecher.
Bevor ich weiss, wie mir geschieht, fragt Käsefrau zwei, ob sie uns helfen könne. Meine Mutter bestellt fröhlich einige Stinkprismen und ich frage mich, wie ich den Käsefrauen eins und zwei erklären soll, warum ich hier gerne Fotos machen würde. «Für mich persönlich sind Sie ein bisschen wie der Teufel», ist wohl nicht der beste Eisbrecher. Schliesslich erkläre ich ihnen von meiner Qual und gleichzeitigen Todesmut, mich in ihren Laden gewagt zu haben. Die Käsefrauen sind unglaublich verständnisvoll und fast ein bisschen stolz auf mich. Käsefrau eins sagt, es gäbe viele Leute, die kalten Käse nicht gerne hätten, sie habe solche Menschen gar in ihrem Freundeskreis. Und Käsefrau zwei meint, es liege wohl an der Konsistenz, denn ihr gehe es gleich mit den Tomaten, die bringe sie als normale Frucht nicht runter, nur, wenn sie als Sugo auf der Pizza lägen.
Tschüss, ihr lieben Käsefrauen!
Nach der kurzen Unterhaltung und ein paar Fotos verlassen meine Mutter und ich den Laden. Die Herzlichkeit der Käsefrauen motiviert mich so sehr, dass ich versuche, ein Stück des Stinkprismas aus Schafmilch abzubeissen. Es klappt nicht. Aber wenn die Gestalten in der Hölle so nett sind wie die Käsefrauen, dann ist es dort wahrscheinlich gar nicht so schlimm.
Probierkäse: Von diesem Käse hätte ich fast ein Stück abgebissen. Fast.
Du willst nicht in der Hölle landen?
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Dieser Artikel wurde im Rahmen im Rahmen des «Innereien»-Kulturprojektes der Albert Koechlin Stiftung produziert. Hier erfährst du mehr darüber. Und hier geht es zur offiziellen Webseite: www.innereien.ch.