Meine persönliche Hölle
Sara Hensler verabscheut Coiffeurbesuche. Für uns ist sie in ihre persönliche Hölle gegangen und hat sich die Haare bleichen lassen.
Sara Hensler — 06/06/22, 09:30 PM
Sara Hensler lässt kein einziges gutes Haar an Coiffeursalons. (Foto: Unsplash/Greg Trowman)
Seit Jahren schneide ich mir die Haare selbst. Ich tue es, um nicht in Selbsthass und Misanthropie zu versinken. Mehrere Stunden vor einem Spiegel zu sitzen und zuzuschauen, wie ich von Minute zu Minute hässlicher werde, währenddem mir eine fremde Person in den Haaren rumfingert und versucht, einen auf buddies zu machen – für mich die Hölle.
Bereits vor dem Termin frage ich mich: Soll man sich die Haare im Vorhinein waschen? Na schön, denk ich mir, ich putz mir ja auch vor dem Zahnärztinnen-Besuch die Zähne. Also ab unter die Dusche.
Im Salon werde ich mit einem breiten Lächeln begrüsst. Die Mitarbeitenden kommen ebenso «peppig» daher wie der Schuppen selbst. Ein Mix aus knalligen Farben, Blumen-Vorhängen und Interio-Ästhetik. Mein Platz befindet sich vor einem der grossen, runden Spiegel direkt neben einer Kundin mit türkisen Schuhen.
«So, was machen wir denn heute?», fragt mein Coiffeur. Ich zeige ihm Haar-Bilder mit dem Blond-Ton, den ich mir wünsche. «Kriegen wir hin!», sagt er motiviert – seine Hände stecken dabei tiefer in meinen Haaren, als meine Bürste je vorgedrungen ist.
Von Bleichmittel und Horrorbesuch gezeichnet: Ein Spiegelselfie aus der Hölle von Sara Hensler.
Bleichmittel und Alufolie
Ungleich eines Arzttermines setzt hier nicht eine konzentrierte Arbeitsatmosphäre ein. Es wird Kaffee angeboten, sich kennengelernt und von Teenage-Haarunfällen berichtet. Ätzend. Gesprochen wird nicht Face-to-Face, sondern über den Spiegel.
Ab zum Waschbecken. «Ist die Temperatur ok so?» Ja, die Temperatur ist ok. Um meinen Nacken hingegen steht es weniger gut. Dieser muss so weit nach hinten gebeugt werden, dass der Nacken nachzugeben und mein Kopf abzubrechen droht. Ich habe Angst, nicht nur seelische, sondern körperliche Schäden von dem Besuch davonzutragen. Mein Coiffeur erzählt von seinen Ferien in Sizilien.
Bei der Massage schliesse ich meine Augen – nicht aus Entspannung. Ich frage mich, wann Coiffeur-Besuche von Geschäftsterminen zu Möchtegern-Spa-Erlebnissen verkommen sind. Wird mir in der Zukunft vielleicht auch beim Frauenarzt die Klitoris massiert?
Fast könnte man meinen, wir alle seien aus Spass hier. Das Durchkämmen treibt mir Tränen in die Augen. Unter meinem riesigen Poncho fange ich an zu schwitzen. Meine Hose klebt bereits am Ledersitz. Mein Coiffeur erzählt von seinem selbst gefangenen Fisch in Milazzo. Kill me now.
Bleichmittel auf den Kopf, Alufolie herumgewickelt – jetzt heisst es warten, bis die Chemie ihre Arbeit tut. Da kann ich zu Hause noch so oft auf Alufolie verzichten, es hilft ja doch nichts, wenn sie mir hier dreischichtig um den Kopf gewickelt wird. Hätte ich doch nur mein Wachstüechli mitgenommen.
Mani Matter meets Mega Kebab
Mein Coiffeur geht eine rauchen, die Dame neben mir blickt zu mir herüber. Ich greife schleunigst zum InTouch. True story: Daniel Küblböck gilt seit über drei Jahren als verschollen! Unter meinem Alu-Helm fängt’s an zu jucken. Immer wieder blicke ich mich im Spiegel an. Noch nie in meinem ganzen Leben sah ich verschissener aus: wie ein in Alu verpackter Döner mit Riesen-Poncho. Ein metaphysisches Gruseln à la Mani Matter packt mich im «Coiffeur-Gstüehl». Mani Matter meets Mega Kebab.
Mit der Hitze meiner Kopfhaut könnte man zehn Dönerbuden betreiben.
«Noch 15 Minuten», sagt mein Coiffeur. Auswaschen und schliesslich Trockenfönen – mit gefühlt 1000 Grad heisser Luft. Warum wird hier eigentlich nie gefragt, ob die Temperatur passt? Mit der Hitze meiner Kopfhaut könnte man ganze zehn Dönerbuden betreiben. Fast meine ich, meine Haare vor Trockenheit brechen zu hören – und das wegen jemandem, der zu Beginn meine kaputten Spitzen kommentierte. Oder föhnt mein Coiffeur deshalb mein Haar so ausgiebig, damit ich bald wieder meine kaputten Haare schneiden gehen muss? Sichern sich Coiffeure so ihre Existenz?
150 Franken leichter (Trinkgeld: ja oder nein?) verabschiede ich mich. Bei all der zwischenmenschlichen Nähe befürchte ich, dass zum Abschied umarmt wird. Doch seit Corona wurde zum Glück auch das Winken auf Distanz salonfähig.
Mit wunderbar blonden Haaren laufe ich raus – verschwitzt, mit brennender Kopfhaut und schmerzendem Nacken. Jetzt erst mal einen Falafel holen und ab unter die Dusche.
Du willst nicht in der Hölle landen?
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Dieser Artikel wurde im Rahmen des «Innereien»-Kulturprojektes der Albert Koechlin Stiftung produziert. Hier erfährst du mehr darüber. Und hier geht es zur offiziellen Webseite: www.innereien.ch.