Meine persönliche Hölle
Jane Mumford ist die falsche Person für einen gemütlichen TV-Abend. Denn sie hat an den meisten cineastischen Machwerken etwas auszusetzen.
Jane Mumford — 08/09/22, 01:11 PM
Wenn Sie in Ruhe einen Film schauen wollen, dann tun Sie das besser ohne Jane Mumford. (Foto: Unsplash)
Mit mir Filme zu schauen macht keinen Spass. In 80 Prozent der Fälle macht es nicht mal mir selber Spass. Ich bin die grösste Continuity-Bitch aller Zeiten. Ich bin auch eine Drehbuch-Bitch, eine Logik-Bitch, eine Historische-Korrektheits-Bitch und … habe ich schon erwähnt, dass ich eine Bitch bin? Ja? Gut.
Ich will einfach, dass alles, was jetzt kommt, verständlich und kohärent bleibt. NICHT SO WIE 80% DER FILME, DIE ICH SCHAUE! (Ihr merkt…)
Neulich geschah das Schönste, was mir passieren kann: ich schaute einen Film, bei dem ich schon von Anfang an wusste, dass er mir nicht gefallen würde. Vorfreude pur, weil keine Enttäuschung mehr möglich! Nun wird das Leiden zum Sport, zum Hobby – nein – zur PASSION. Eine Passion wie die der Lindt-Köche mit hohen weissen Hüten, die ihre Leidenschaft flüssig in kleine Förmchen tröpfeln lassen während sich im Gegenschnitt sanftäugige, langhaarige Frauen zuhause in ihren Polstergruppen schon auf deren Verzehr freuen.
Analog dazu liess ich meine «Passion» lautstark zwei Stunden lang gegen den Laptop prasseln, während neben mir auf der Polstergruppe mein Partner sanftäugig die Taxizentrale anrief. Oder die Polizei.
Gefühle wie ein Lichtschalter
Aber worüber regte ich mich denn so genüsslich auf? Habe ich vielleicht endlich einen «Klassiker» nachholen wollen, der vor fast 20 Jahren in die Kinos kam und damals schon ein Reinfall war? WELL LET ME TELL YOU ALL ABOUT IT:
Es beginnt bei der Hauptfigur. Sein erster gesprochener Satz wurde bis in die dritte Szene hinausgezögert. Klares Zeichen. Die Regie wusste ganz genau, dass er höchstens eine 50-Shades-of-VOGUE-Ausdruckslosigkeit für seine Einsätze bieten konnte. Und die Shades waren erst noch konfus: Wut sah aus wie Trauer, Freude sah aus wie Scham, nichts sah aus wie ein Gefühl. Manche mögen ihm einen Vertrauensvorschuss geben und sagen: Gefühle können ja auch gemischt sein!
Aber das waren keine Nuancen. Das waren die zarten ersten Schritte einer Gesichtsmuskulatur, die bis jetzt in schwelgerischer Nonchalance auf ihren ersten VOGUE-Auftritt gewartet haben. Gute Lines gab’s für ihn eh kaum welche, die das Level von «Scheisse, was isch das für en Scheiss?» oder «I ha di so gärn» überstiegen.
Manche mögen mir jetzt vorwerfen, das sei oberflächlicher Lookism. Manche mögen sich aber jetzt lieber bessere Argumente suchen, um einen so grossen Mangel an Schauspielkunst zu erklären. Zwar ... es ist ja nicht die Schuld des «Schauspielers», der von den falschen Leuten für die falsche Rolle ausgesucht wurde.
Der kann so wenig für seine Situation wie eine Katze im Hause von Allergikern. Irgendjemand hat die irgendwann vorbeigebracht und irgendjemand hat die dann auch behalten! Arme Hauptfigur. Wobei, «Hauptfigur» … was wissen wir schon über ihn? Reicht das, was wir wissen, aus, um so was wie Empathie zu empfinden? Und ähm … wie zum Teufel hiess er überhaupt? Ach, egal.
Habe ich eigentlich schon erwähnt, um welchen Film es sich handelte? Nein? Gut.
Die «Hauptfigur» hatte im Übrigen keine eigene Backstory, bravo Drehbuchautoren, null Familiengeschichte, keinen Job, keinen erkennbaren Wunsch oder kein Ziel im Leben, ausser: Heiraten (zum Glück war er keine Frau, sonst hätte ich noch zwei Stunden nach Filmende weitergeballert)!
Es liegt nie an euch. Es sei denn, ihr seid hauptberuflich Drehbuchautor*innen.
Das EINZIGE, was wir über ihn wissen: er hat scheinbar einen richtig grossen Penis. Geil. (Echte Filmnerds wissen unterdessen, worum es sich handelt, und wir Normalsterbliche müssen leider davon ausgehen, es sei ein Amateurporno).
Long story short (Innuendo, sorry, war ja nicht meine Idee mit dem Penis):
Am Ende wechselt er Love-Interests und die ursprüngliche Love-Interest heiratet eine Nebenfigur aus seinem Kollegenkreis. (Hatte der wenigstens einen Namen? War es Philipp?) Es folgt eine viel zu lange Szene in der Kirche, während die «Hauptfigur» irgendwo irgendwas anderes macht – man weiss es nicht, war auch nie spannend, egal.
Er ist jetzt mit seiner neuen Love-Interest zusammen und die hat so RICHTIG Backstory. Good for him, er heiratet drehbuchtechnisch nach oben. Da bricht die ursprüngliche Love-Interest in der Kirche in Gesang aus und singt so lange in die Kamera, bis man sich fragt: Stopp, ist SIE eigentlich die Hauptfigur? Hat man uns verarscht? War das eigentlich IHRE Story? Haben wir uns die ganze Zeit auf das Falsche konzentriert? LIEGT ES AN UNS?
Nein, liebe Zuschauende.
Es liegt nie an euch.
Es sei denn …
… ihr seid hauptberuflich Drehbuchautor*innen.