Meine persönliche Hölle
Es ist Herbst und der Kaffeeriese Starbucks wirbt mit der saisonalen Eigenkreation, dem Pumpkin Spice Latte. Klingt eklig und ist schwierig zu bestellen. Unsere Autorin hat es dennoch getan.
Nadia Zwahlen — 10/04/22, 07:26 AM
Nichts für Misantroph:innen: Der Pumpkin Spice Latte. (Foto: Starbucks.com)
Es ist Herbst. Haben die meisten wohl schon mitgekriegt. Meteorologisch, kalendarisch und auch einfach vom Gefühl her. Zum Herbst gehören Regen und Nebel, aber auch bunte Blätter, Waldspaziergänge, Jahrmärkte und – anscheinend – ein Pumpkin Spice Latte.
In den vergangenen Jahren habe ich mich stets davor gedrückt, die berühmte Kaffeekette mit dem anatomisch fragwürdigen Logo einer Meerjungfrau aufzusuchen. Erstens bin ich keine Kaffeetrinkerin. Zweitens bekomme ich bereits
Schnappatmung beim Gedanken an ein mir nicht bekanntes, nach genauen Regeln ablaufendes Bestellschema. Drittens möchte ich noch meine Miete zahlen können.
Ausserdem gehöre ich definitiv zur Fraktion «heisse Schokolade auf dem Sofa». Mit Buch und Kuscheldecke bitteschön, fern von fremden Menschen! Aktivitäten, für die ich meine Wohnung verlassen muss, bekommen automatisch schon Punktabzug. Und als Kirsche auf diesem wunderbaren metaphorischen Eisbecher hatte ich als Kind einen unschönen Zwischenfall mit einer schrecklichen Kürbissuppe und kann seitdem den Geschmack von Kürbis eh nicht mehr ausstehen. Beste Voraussetzungen also für mein Vorhaben, zum ersten Mal einen sogenannten PSL zu probieren.
Der Starbucks ist in Luzern an bester touristischer Lage eingenistet. (Fotos: Nadia Zwahlen)
An einem regnerischen Morgen mache ich mich auf in die Stadt und überquere die Kapellbrücke, auf der sich wie immer die Touristengruppen drängen. Zu meiner Linken reiht sich einer der beiden Luzerner Starbucks zwischen einem Bier-Etablissement und einem Coiffeur in die Reusspromenade ein. Ich fühle mich touristisch und mache ein Foto von der wahren Attraktion: Kaffeebohnen und Kommerz. Eins muss man dem Laden lassen, die Aussicht ist hervorragend.
In der Hoffnung, mich gleich mit einem Buch an einem Fensterplatz niederzulassen, nähere ich mich dem Laden. Meine Hoffnung stirbt jedoch gleich wieder, da sich, teils wegen des Wetters, teils wegen der mir unerklärlichen, fast schon kultartigen Anziehungskraft der Marke, bereits halb Luzern auf die Sitzplätze gestürzt zu haben scheint. Da ich nicht einer fremden Person auf den Schoss klettern will, entscheide ich mich für die To-Go-Variante. Einmal tief durchatmen und auf geht`s zur gnädigerweise gerade freien Theke.
Ein Ort, der viele Fragen aufwirft: Starbucks-Theke.
Ich frage nach einem Pumpkin Spice Latte. Das Lächeln der Barista flackert schwach, aber sie bleibt professionell charmant und hilft mir mit unzähligen Fragen durch den Bestellprozess. Nach geschätzt drei Minuten sind wir durch: Ich möchte die kleinste Grösse («tall»), mit Hafermilch («neuerdings zahlt man dafür keinen Aufpreis mehr»), Sirup UND Schlagrahm mit extra Pumpkin Spice. Dabei bete ich, dass der Betrag nicht zweistellig wird. Wird er nicht, aber nur knapp. Nach ein paar gekonnten Handgriffen der Barista bekomme ich meinen allerersten PSL. Im Weglaufen höre ich noch, wie die nächste Kundin routiniert das gleiche Getränk bestellt. So schnell geht das also, wenn man das ganze Prozedere kennt. Faszinierend.
Bei meinem Spaziergang dem See entlang, auf dem ich jetzt einen praktischen kleinen Handwärmer umgreife, versuche ich, mich von aussen zu betrachten. Gehöre ich jetzt zum Club? Sehe ich für Andere aus, als hätte ich mein Leben, wie den Kaffee, im Griff? Ist das ein bedeutender Wendepunkt in meinem Leben? Die Lobhudeleien anderer Menschen für PSLs lassen mich jedenfalls einiges von diesem kleinen Brühgetränk erwarten.
Hauptsächlich als Handwärmer nützlich: Starbucks-Becher.
Ich setze mich auf eine halbwegs trockene Bank und rieche vorsichtig an meinem Becher. Der Duft von Zimt, Muskat und Kaffee kommt mir entgegen. Ich probiere einen Schluck. Den Kaffee finde ich wie immer bääh, aber wenigstens schmecke ich durch die übertünchende Süsse den Kürbis nicht. Der Schlagrahm macht das Ganze erträglich. Ich leere meinen Becher und fühle mich nicht nennenswert verändert. Etwas enttäuscht mache ich mich auf den Heimweg.
Wieder zu Hause angekommen, mache ich mir einen Tee, burritoe mich in eine Decke und schwinge mich auf die Couch. Mein Ausflug ins PSL-Land war letztlich weniger schlimm als angenommen, wird aber definitiv kein wiederkehrendes Ereignis. Dafür ist mir mein Sofa zu heilig. Hier bin ich Misanthrop, hier darf ich`s sein!
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