DJ-Booth
In der heutigen DJ-Booth spricht Acid Erdme über veruntreutes Geld, den Tierpark Goldau und seine Beziehung zu David Hasselhoff.
11/10/23, 11:47 AM
Ein Plattenzimmer, wie bei einem Boomer zuhause: Acid Erdme in seinem natürlichen Habitat. (Foto: zvg)
DJ-Name: DJ-Namen sind total albern. Deshalb habe ich gleich mehrere, die sich an der musikalischen Ausrichtung der Veranstaltung orientieren. Die meisten Bookings kriegen momentan Acid Erdme und Disco Erdme. An ganz dubiosen Anlässen spiele ich sogar unter meinem bürgerlichen Namen.
Aktiv seit: Seit ich im Treibhaus-Gästebuch (Ruhe in Frieden) so lange über das Programm abgelästert habe, bis sie mir genervt angeboten haben, eine Programmgruppe zu übernehmen. Dadurch konnte ich nach meinen in der Regel sehr schlecht besuchten Veranstaltungen erste DJ-Erfahrungen sammeln. Das war 2005.
Lieblings-Locations: Das Kaffee Kind und der dazugehörige Partykeller auf der anderen Strassenseite.
Stil: Ich decke relativ viele Varianten verschrobener Tanzmusik ab, die sich zwischen 1960 und 2000 zwischenzeitlich etabliert haben. Italo Disco und Disco im Allgemeinen spielen zurzeit eine Hauptrolle. Aber auch Absonderlichkeiten aus den frühen Jahren der Techno-Bewegung mit all den dazugehörigen Begleiterscheinungen interessieren mich momentan. Wenn es sein muss, sehe ich mich aber durchaus auch im Stande, überteuerte Raritäten des 60s-Souls zu spielen oder 90s-Rap-Classics mit Hilfe dilettantischer Scratch-Fähigkeiten zu mixen.
Wie würdest du dich hinter dem DJ-Pult beschreiben?
Maximale Anspannung, gesenkter Blick, aber tief im Herzen habe ich eine gute Zeit.
Wenn du einen Catering Rider hättest, welche drei Items dürften nicht fehlen?
Ich halte es klassisch und verlange bloss Respekt, Wertschätzung und 10’000 Franken in Cash.
Digital oder Schallplatten?
Bei mir war es immer nur die Schallplatte. Früher bildete ich mir darauf ein, dadurch besonders elitär zu wirken. Heute fühle ich mich manchmal eher wie ein Boomer, der verzweifelt versucht, sich an ein letztes Stückchen Jugend zu klammern. Platten zu kaufen ist für mich aber immer noch ein grosses Abenteuer und bietet eine sehr intensive Auseinandersetzung mit Musik, die mir digitale Ware in dieser Form nicht bieten kann. Ich will aber nicht ausschliessen, dass ich irgendwann einmal auch digital auflege. Die kreativen Möglichkeiten sind bedeutend grösser als mit Vinyl.
Was war der erste Tonträger, den du je gekauft hast?
Die Grundlage meiner immensen Musiksammlung wurde mit David Hasselhoffs Kinderzimmer-Smasher «Pingu Dance» gelegt. Das war jedoch ein Geburtstagsgeschenk, das ich 1994 erhielt.
Erst ein Jahr später kaufte ich mir meinen ersten eigenen Tonträger. Das war das Euro-House-Abfallprodukt «Geierwally» von XXL Meets P. «Cool Man» Steiner. Damals habe ich aber das Prinzip der Singleauskopplung noch nicht begriffen und gedacht, ich hätte in der Manor-CD-Abteilung für 8.90 Franken ein echtes Schnäppchen geschossen. Dementsprechend enttäuscht war ich, als ich herausfand, dass sich neben «Original Geierwally Cut» nur noch die «Special Radio DJ Version» und der «XXL Live In Toki – Yo! Mix» auf der CD befanden.
Welchen Track würdest du eigentlich gern mal spielen, traust dich aber nicht?
Wo kommst du her (musikalisch) und wie bist du dort gelandet, wo du grade bist?
Auf den Schulhöfen der 90er-Jahre habe ich mich intensiv mit Rap auseinandergesetzt und bin danach über Punk bei jamaikanischer Musik der 60er gelandet. Von da an wurde die moderne Musikgeschichte von hinten aufgerollt. Ich fühle mich in entsprechend vielen Genres zuhause.
Hast du Vorbilder?
Dazu fehlt mir wohl das Fanboy-Gen. Ich bin aber vielen Leuten unheimlich dankbar, die mich über die Jahre in neue Genres eingeführt haben. Solche Menschen sind selbst in einem biederen Provinznest wie Luzern zu finden. Ehrenhafte Beispiele: Flo Dalton, El Tigre (oder wie auch immer er heute heissen mag), Henning Boogaloo oder Rude Attack.
Bei welchen DJ-Weisheiten wärst du froh gewesen, du hättest sie schon deutlich früher erfahren?
Im Nachhinein mag das peinlich klingen, aber ich wusste sehr lange nicht, dass es Mixing-Basics wie Beatmatching überhaupt gibt. Ich war lange in Szenen unterwegs, in denen hauptsächlich mit alten 7”-Singles aufgelegt und der Fader einfach hochgefahren wird, wenn der vorangehende Song zu Ende war. Erst, als ich mich für elektronische Musik zu interessieren begann, wurde mir klar, dass ich vom DJ-Handwerk eigentlich nichts verstehe.
Übst du regelmässig Auflegen?
Wenn man das nicht hört, übe ich wohl falsch.
Spielst du lieber Intro, Maintime oder Outro?
Am liebsten All Night Long mit vertrauenswürdigen DJ-Persönlichkeiten wie Tim Swimmingpool.
Was sagen deine Eltern dazu, dass du DJ bist?
Die haben indirekt die finanzielle Anschubhilfe dafür bereitgestellt. Das elterliche Geld für VBL-Abo oder neue Kleider habe ich in meiner Jugend in Plattenläden veruntreut. Das machte mich zwar zum schlechtgekleidetsten Schwarzfahrer der Stadt, dafür hatte ich schnell eine ansprechende Musiksammlung.
In welchen Locations würdest du gern mal spielen?
An Kraftorten wie dem Restaurant vom Tierpark Goldau. Ansonsten würde ich mich gerne an Orten zur Verfügung stellen, wo gute Musik dringend gebraucht wird. Ich wäre gerne Resident-DJ im Behandlungszimmer einer Zahnarztpraxis. Ich könnte mir auch vorstellen, samstags von 14 bis 16 Uhr in der Konditorei Heini am Löwenplatz an der Tortentheke zu spielen.
Was ist der Song, der an deiner Beerdigung laufen soll?
Da muss ich euch enttäuschen. Meine Beerdigung wird es nie geben. Die Familientradition sieht es vor, den toten Körper aus Übungszwecken dem Universitätsspital Zürich zu spenden. Wenn Medizinstudent:innen jedoch diesen Song hören, während sie an meiner Leiche herumskalpieren, dann wäre das ganz in meinem Sinne:
Was ist dein Lieblings-Youtube-Video?
Ich habe einmal in einer Band gespielt, die vor neun Jahren eine durchaus aufwendige Videoproduktion veröffentlicht hat. DJ-Koryphäe Jubia 3000 hat das Werk in den Youtube-Kommentaren folgendermassen beschrieben: «Top performance! Top song! Top band!»
Und sonst so?
Danke Flo Dalton für das sorgfältige Kuratieren dieses Luzerner DJ-Lexikons.
DJ-Booth Wer gibt im Luzerner Nachtleben den Ton an? Um das herauszufinden, stellen wir jede Woche einen DJ aus der städtischen Clubszene vor. Das Programm wird von Flo Dalton, Booker im Klub Kegelbahn, kuratiert. Dein Lieblings-DJ fehlt? Dann schreibe uns eine Mail an: [email protected] 11. Episode: Kollektiv Luether 22. Episode: Kiwi aus der Dose 39. Episode: Stabili Schweiss Schnäuz 40. Episode: Krankenzimmer 204 44. Episode: Mami Tereza Y Monica |