Rare Rillen
Henning Börm ist notorischer Plattensammler und hat über 7000 Scheiben in seinem Wohnzimmer stehen, für die er teils Summen im vierstelligen Bereich bezahlt hat. Ist das noch normal?
Martin Erdmann — 11/02/22, 09:08 AM
In Henning Börms Plattensammlung finden sich einige Schätze, die nur wenige andere Leute auf der Welt besitzen. (Fotos: Martin Erdmann)
Ein unscheinbares Haus in Luzern. Beim Hauseingang klebt eine Ermahnung, die Tür sanft zu schliessen. Nichts deutet darauf hin, dass hier der wohl grösste Soul-Enthusiast des Landes lebt.
Henning Börm ist im nördlichsten Zipfel Deutschlands aufgewachsen und lebt seit 20 Jahren in Luzern. Seine Besessenheit, neue Platten zu finden und diese vor Publikum zu spielen, führten ihn aber schon um die halbe Welt und immer wieder nahe an den finanziellen Ruin. Wieso tut er das?
Ein Wohnzimmergespräch über Hausbesuche in der amerikanischen Pampa, Suchtgefühle und eine Leidenschaft, die einfach nicht verwelken will.
Als DJ hat Henning bereits in weiten Teilen Europas aufgelegt.
Henning, mal angenommen, dein Haus brennt: Was rettest du zuerst?
Natürlich meine Frau.
Nicht deine Platten?
Die kommen gleich als Nächstes. Und tatsächlich bin ich mit meiner Frau einmal durchgegangen, welche Plattenkiste auf jeden Fall geborgen werden müsste, falls es einmal brennt.
Dein ganzes Wohnzimmer ist vollgestellt mit Platten. Wie lange braucht man, um so viel Vinyl anzuhäufen?
Das kommt auf den Freakfaktor an. Bei mir ist dieser sehr hoch. Ich sammle Platten, seitdem mein Taschengeld dafür reicht. Das hat mit 12 Jahren mit den ersten Ärzte-Singles begonnen. Die letzten 20 Jahre habe ich aber nochmals richtig Vollgas gegeben.
Inzwischen besitzt du rund 7500 Platten. Ist es tatsächlich lebensnotwendig, so viele Platten zu haben?
Das ist eine Frage, die mir meine Frau auch gelegentlich stellt. Vor 10 Jahren habe ich dazu eine Theorie entworfen.
Nämlich?
Ich will genug herausragende Platten haben, damit ich nicht immer die gleiche DJ-Box zum Auflegen mitnehmen muss. Ich will so variieren können, dass ich mindestens zwei Kisten mit bester Überzeugung füllen kann.
Und hast du dieses Ziel in den letzten 10 Jahren erreicht?
Nein.
Wird also der Tag niemals kommen, an dem Henning Börm aufhört, Platten zu sammeln?
Ich hoffe tatsächlich, dass dieser Tag einmal kommen wird. Glauben tue ich aber nicht daran.
Du bist versessen darauf, seltene und unbekannte Soulplatten aus längst vergangener Zeit zu sammeln. Wie kommt das?
Seit meiner Jugend habe ich eine grosse Szeneaffinität und war immer in Subkulturen unterwegs. Gleichzeitig hatte ich immer das Gefühl, nirgendwo richtig dazuzugehören. So war ich beispielsweise mal Skater, konnte aber nicht skaten. In der Soulszene war das zunächst auch so. Doch dann habe ich mich voll auf die Suche nach dem Unbekannten konzentriert und habe Platten ausgegraben, die selbst für eingefleischte Sammler:innen neu waren. Das gibt mir auch heute noch einen Kick.
Bestätigung scheint dir also wichtig zu sein.
Auf jeden Fall. Ich will mir selbst die Bestätigung geben, dass ich kreativ genug bin, immer wieder etwas zu entdecken, das noch niemand kennt. Aber ich habe auch mega Freude, wenn andere Sammler:innen über meine Funde genauso euphorisch sind, wie ich es bin. Der Aspekt des Teilens spielt für mich eine grosse Rolle. Ich will die Geschichte dieser Platten weiterschreiben.
«Ich finde es eh schon geil, dass eine Platte durch viele Hände gegangen ist, bevor sie durch Zufall bei mir landet.»
Seltene Platten sind nur schwer zu finden. Was ist dein Geheimnis?
Eine Zeit lang waren natürlich die grossen Verkaufsplattformen wie Ebay wichtig. Aber da haben längst alle ein Auge drauf, von daher sind die für mich nicht mehr interessant. Ich suche andere Wege und lasse nichts unversucht. Ich gehe in jedes unscheinbare Brockenhaus, fahre an Plattenbörsen ins Ausland oder versuche über Adressen auf den Platten, die ich bereits habe, an neue zu kommen.
Hast du dazu Beispiele?
Kürzlich habe ich eine Schweizer Disco-Nummer gefunden, ein total abgefahrenes Ding. Ich wollte mehr über die Platte herausfinden und habe dann in Südamerika eines der Bandmitglieder ausfindig gemacht. Der hat mir dann unveröffentlichtes Material der Gruppe geschickt. Sowas finde ich eben saugeil.
Henning interessiert sich nicht nur für die Musik auf seinen Platten, sondern auch für deren Geschichte.
Das war nicht das einzige Mal, dass du Musiker ausfindig gemacht hast, die vor 60 Jahren auf einem unbekannten Label etwas veröffentlicht haben. Wieso dieses Buddeln in der Vergangenheit?
Ich bin ein grosser Freund von Geschichten. Ich finde es eh schon geil, dass eine Platte durch viele Hände gegangen ist, bevor sie durch Zufall bei mir landet. Wenn ich darüber hinaus auch noch eine Verbindung zu den Musiker habe, multipliziert das meinen emotionalen Bezug zur Platte.
Wie kommen diese Verbindungen zustande?
Das ist ganz unterschiedlich. Der Klassiker ist bestimmt über Social Media. Aber die Musiker sind eben schon alt und deshalb durchstöbere ich auch amerikanische Telefonbücher. Dann wird es aber kompliziert. Suche ich einen Musiker, der einen geläufigen Namen wie George Jackson hat und aus Missouri stammt, dann habe ich einige Nummern zu wählen. So habe ich teilweise schon über 100 Anrufe getätigt, um eine Person ausfindig zu machen.
Und wie reagieren die Leute, wenn du sie gefunden hast?
Die fallen natürlich aus allen Wolken, wenn sie plötzlich einen Typen aus der Schweiz am Hörer haben, der irgendwas über eine Platte wissen will, die vor über einem halben Jahrhundert aufgenommen wurde. Das sind schöne Momente. Es gibt aber auch andere Reaktionen. So habe ich von Amerikanern gehört, die ebenfalls Musiker aus vergangenen Zeiten aufgesucht haben. Die haben auf den Besuch aber sehr misstrauisch reagiert. Sie dachten sich: «Was willst du Weisser von mir? Willst etwa auch noch mit meinen Songs Kohle machen, obwohl ich bereits vor 60 Jahren nichts damit verdient habe?» Solche Geschichten gab es bei mir zum Glück nie. Aber einige Personen, die ich gefunden habe, musste ich auf Facebook blocken.
Wieso?
Ich habe plötzlich gemerkt, dass das Rednecks sind. Als ich deren Posts gesehen habe, dachte ich mir, ach du Scheisse.
Du opferst auch deine Ferien der Suche nach Schallplatten. Erzähl mal.
Ich habe einmal unbezahlten Urlaub genommen und war einen Monat in Amerika unterwegs. Da bin ich mit dem Auto irgendwo durch die Pampa gefahren, um an irgendwelche Türen zu klopfen, wo auf dem Dachboden vielleicht noch Platten liegen.
Wie geht man da vor?
Eigentlich ist es ganz simpel. In jedem Dorf ist es ein ständiges Durchfragen nach Leuten, die vielleicht noch Platten zuhause haben. Plattenläden sind da meist gute Anlaufstellen. Und auf einmal ist man in irgendeinem Kaff, wo man sich fragt, was man hier eigentlich macht.
Ist das noch normal?
Andere liegen in ihren Ferien leidenschaftlich am Strand und ich mache eben das. Action in der amerikanischen Pampa gibt mir mehr als zwei Wochen Strandurlaub. Dabei geht es ja nicht gänzlich darum, Platten aufzuspüren. Ich reise auch an Orte, die ich auch sonst interessant finde. Aber ja, ganz normal ist das wahrscheinlich schon nicht.
«Eine Zeit lang habe ich Summen im vierstelligen Bereich für eine Platte bezahlt.»
Dafür dürftest du dabei so einiges erleben.
Das ist auf jeden Fall so. Erst kürzlich ist mir etwas Komisches passiert. Per Zufall bin ich auf einen Typ aus Regensdorf gestossen, der seine Plattensammlung verkauft. Also bin ich dahin gefahren. Meine Erwartung war niedrig und ich habe mir schon eine schöne Landbeiz herausgesucht, damit sich die Fahrt wenigstens kulinarisch gelohnt hat. Doch wie sich herausstellte, war der Typ in den 60er-Jahren ein einigermassen bekannter Radio-DJ und bekam aus England sämtliche Neuerscheinungen zugeschickt. So hatte er zuhause 120’000 Tonträger herumstehen. Ich war bis Mitternacht bei ihm und habe völlig abgefahrenes Zeug gefunden, mit dem ich niemals gerechnet hätte.
Raritäten haben ihren Preis. Was ist der Höchstwert, den du jemals für eine Platte bezahlt hast?
Mittlerweile gebe ich nicht mehr so viel Geld aus. Eine Zeit lang habe ich aber Summen im vierstelligen Bereich für eine Platte bezahlt. Heute probiere ich eher Sachen zu kaufen, die kaum bekannt und deshalb auch günstiger sind.
Was hat dich dazu bewegt, so viel Geld für eine Platte auszugeben?
Ich glaube, in solchen Momenten spielt Adrenalin eine wichtige Rolle. Wenn man eine Platte angeboten bekommt, die man schon lange sucht, löst das im Körper etwas aus. Ich bin mir in diesem Moment vollkommen im Klaren, dass es um sehr viel Geld geht und dass das eigentlich völlig verrückt ist. Ich schlafe dann vielleicht noch eine Nacht drüber, aber dann mache ich das einfach.
Hast du es auch schon bereut?
Nur dann, wenn ich das Gefühl hatte, ich sei verarscht worden. Zum Beispiel erinnere ich mich an eine Platte, die damals nur als Cover-Up bekannt war. Cover-Up bedeutet, dass DJs, die die Platte haben, Songname und Interpret geheim halten, damit die Scheibe niemand nachkaufen kann. Ein Engländer hat mir also eine solche Platte für 1000 Pfund verkauft. Eine Woche später kam heraus, wie die Platte heisst und seitdem fällt der Preis ständig. Ich glaube, der Verkäufer war sich sehr genau bewusst, dass er die Platte nur noch für kurze Zeit für so viel Geld verkaufen konnte.
«Eigentlich ist diese Sammelwut eine Sucht.»
Zeit, Geld, Wissen: Du investierst viel in deine Soul-Leidenschaft. Was kommt dabei zurück?
Ich bin ein leidenschaftlicher Mensch und Soul bringt diese Emotionen zum Ausdruck. Aber das würde ich nicht nur auf Soul begrenzen, sondern auf Musik allgemein. In meiner Plattensammlung findet man von Schlager bis Metal alles. Eigentlich ist diese Sammelwut eine Sucht. Jedoch lässt sich diese gut verkaufen. Wenn ich den Leuten erzählen würde, ich hätte 7500 Kaffeetassen oder Briefmarken im Wohnzimmer stehen, würden sich mich nur blöd anschauen.
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