Briefe aus Belgrad
Unser Belgrad-Korrespondent Nikola Gvozdic war an der Europride und wurde dort mit einem riesigen Polizeiaufgebot und homophoben Äusserungen konfrontiert. Er erlebte aber auch eine glückliche Party.
Nikola Gvozdic — 09/26/22, 01:09 PM
Vor einer Woche fand die erste Europride im südosteuropäischen Raum statt.
Es ist ein kalter und regnerischer Samstag. Der Kälteste seit ich in Belgrad bin. Weil ich zuerst mit mir ringen muss, ob ich bei diesem Wetter die Wohnung überhaupt verlassen soll, gehe ich eher ein wenig zu spät hinaus.
Es ist auch der Samstag, an dem die Europride-Parade stattfindet. Nach einem zähen hin und her, Verboten, Protesten und Drohungen wurde eine Kompromisslösung gefunden, damit nun doch marschiert werden kann.
Im unfreundlichen Wetter mache ich mich auf den Weg zum Besammlungsort in der Nähe des Parlaments. Normalerweise ein Fussweg von knapp 20 Minuten. Heute nicht.
Der Besammlungsort lag vor einer Kirche.
Mit einem enormen Polizeiaufgebot wurde eine der wichtigsten Hauptstrassen Belgrads abgeriegelt. Gitter und Beamte in Vollmontur verhindern jegliches Durchkommen, sei das von Fahrzeugen oder von Gehenden. Noch nie habe ich diese Strasse so leer gesehen. Ein apokalyptisches Gefühl überkommt mich.
Die Polizisten leiten die Passanten auf eine Nebenstrasse um, nur damit diese dort wieder auf Polizeitruppen stossen, die ihnen den Durchgang verwehren und sie wieder zurückschicken, wie in einem absurden Theaterstück. Niemand weiss, wie man so zum Stadtzentrum gelangen soll.
Ein Mann, der nicht die Strasse entlang gehen darf, ruft frustriert aus: «Geht doch in den Kosovo! Dort schützt ihr wenigstens Serben. Hier schützt ihr nur Schwule.»
Marsch durch den Tašmajdan-Park.
Über Schleichwege schaffe ich es wieder zurück auf die Hauptstrasse. Nur ein einsamer Kiosk hat noch offen. «Die Polizisten brauchen Zigaretten», erklärt mir die Verkäuferin. Nach einer viel zu langen Reise stosse ich endlich zum Startpunkt der Parade. Nur wenige Minuten bevor sie beginnt. Ein Sicherheitsbeamter raunt am Rande der Versammlung einem anderen zu: «Gibt es wirklich so viele von denen?»
Mit Freudenschreien beginnt der Marsch. Zur gleichen Zeit läuten die Glocken der Kirche nebenan lauter und wütender, als je zuvor. Aber es geschieht nichts.
Ein wichtiger Teil des Kompromisses betrifft die Route der Parade. Anstatt vom Parlament durch die Innenstadt zu führen, geht es jetzt abseits vom Parlament durch den Tašmajdan-Park gleich daneben und dann direkt ins Tašmajdan-Stadion. Das sind nur wenige hundert Meter. So erspart sich die Stadt wohl den Anblick all dieser ach so schlimmen Unmenschen.
An der Eingangskontrolle fragt mich der Mann, ob ich Drogen bei mir hätte.
«Verdammt nochmal, sie schicken uns echt durch den Park», höre ich jemanden sagen. «Wenigstens haben wir den Park bekommen», sagt irgendjemand anderes und lacht. Weil die Masse im Park nur auf engen Fusswegen gehen kann, verliert sich ihre Energie dort komplett. Etwas zersplittert, aber ohne Zwischenfälle kommen die Marschierenden im Stadion an.
An der Eingangskontrolle fragt mich der Mann, der mich unmotiviert abtastet, nicht ob ich Waffen, sondern ob ich Drogen bei mir hätte. Wir wissen ja alle, was an solchen Anlässen wirklich gefährlich ist. Das Stadion füllt sich, der Regen wird wieder stärker, die Menschen aus so vielen verschiedenen Ländern hier sind glücklich. Keine Gewalt, keine Angst, einfach nur eine Party.
Auf dem Heimweg sehe ich mehrere Gruppen Männer, die mit der serbischen Flagge um sich schwingen und hasserfüllte Worte in die Leere schreien. Beinahe hätte ich vergessen, dass es die ja auch noch gibt.
Nach 14 Jahren kehrt Nikola Gvozdic nach Belgrad zurück. Entfremdet und doch verwurzelt entschlüsselt er, was ihm dieser Ort bedeutet. Er berichtet in sechs Episoden von seinen Erlebnissen, seinen Eindrücken, den Menschen und der Seele dieser Balkan-Metropole. Bisher erschienen: 1. Folge: Ein schwarzes Schaf in der Diaspora 2. Folge: Auf Belgrads wilden Strassen 3. Folge: Dunkle Wolken über Belgrad 4. Folge: Zwischen Punks, Anarchisten und Kriegsverbrechern 5. Folge: An der Europride-Parade 6. Folge: Mehr als fettiger Börek und vampirartige Polizisten |