Briefe aus Belgrad
Unser Belgrad-Korrespondent Nikola Gvozdic über heftige Regenfälle und unprätentiöse Märkte und die diesjährige Rakija-Produktion.
Nikola Gvozdic — 08/29/22, 07:51 AM
Wenn es in Belgrad stürmt, hören sogar die Hunde auf zu bellen. (Fotos: Nikola Gvozdic)
Ein Sturm zieht auf. Zuerst kommt der Wind, dann die Dunkelheit. Ein starker, wilder Regen. Blitze, die horizontal über den zuerst aschgrauen, dann tiefschwarzen Himmel schiessen und ihn purpur aufleuchten lassen. Und wie der letzte Reiter der Apokalypse folgt dem purpurnen Leuchten ein wütender Donner. Es ist der erste Regen seit langer Zeit. Es ist ein Gewitter, das verstehen lässt, warum Frühmenschen damit begonnen haben, an Götter zu glauben. Und auch warum sie überzeugt waren, dass diese Götter ihnen zürnen.
Es ist der erste Abend, an dem keine Menschen auf den Strassen Belgrads zu hören sind, kaum Verkehr, kein Gehupe, nicht einmal Hunde wagen es zu bellen. Ein Gewitter ist es, das dieser Stadt für einen Augenblick Ruhe bringt. Es hat diesen Regen gebraucht. Nach Tagen der Hitze, nach erbarmungslosen, aufeinanderfolgenden Tagen zwischen 34 und 40 Grad ist es eine willkommene Erfrischung. Wobei, ehrlich gesagt, nach 40 Grad jeder Tag mit Temperaturen darunter eine willkommene Erfrischung ist. Fluten stürzen in einer überraschenden Eleganz über Tischlein auf den Balkonen. Überall sieht man halb oder sogar ganz geöffnete Fenster, die ansonsten oftmals geschlossen bleiben, damit die Klimaanlage ungestört ihrer Tätigkeit nachgehen kann. Schliesslich ist ihre Arbeit eine schwere, denn sie muss den Sommer draussen behalten.
In der serbischen Hauptstadt gehören Märkte zum Ortsbild.
Ich erinnere mich an Gespräche mit einem Mann, der auf dem Land arbeitet und von ihm lebt. Die Menschen hier sind der Landwirtschaft näher. Jedes Quartier in der Stadt hat auch einen eigenen Markt, der rege besucht wird. Die Leute schätzen ihre lokalen Früchte und Gemüse. Der Gang zum Markt gehört in Belgrad zum Alltag und ist, anders als an vielen anderen Orten, unprätentiös. Der Mann vom Land beschwerte sich über die andauernde Trockenheit in diesem Jahr. Es war so trocken, dass sich die toten Blätter jetzt schon von vielen Bäumen lösten, und dem Hochsommer eine herbstliche Optik verliehen.
Die Bauern haben aber mit der extremen Trockenheit zu kämpfen.
Ob der Regen wohl hilft? Vielleicht sind die Götter überhaupt nicht so wütend. Der Mann war zumindest mit der Aprikosenernte zufrieden. Aus den Tonnen, die er ernten konnte, werden jetzt hunderte Liter Rakija gebrannt. Vielleicht kommt am Ende ja wirklich alles gut.
Das elende Gekreische einer Katze irgendwo in der Nähe kündet das versiegen des Sturmes an. Ein Versiegen, das noch Stunden anhalten wird. Aber hin und wieder hört man freudiges Gerufe von Menschen, ein hupendes Auto, und auch die Hunde bellen immer wieder einmal.
Nach 14 Jahren kehrt Nikola Gvozdic nach Belgrad zurück. Entfremdet und doch verwurzelt entschlüsselt er, was ihm dieser Ort bedeutet. Er berichtet in sechs Episoden von seinen Erlebnissen, seinen Eindrücken, den Menschen und der Seele dieser Balkan-Metropole. Bisher erschienen: 1. Folge: Ein schwarzes Schaf in der Diaspora 2. Folge: Auf Belgrads wilden Strassen 3. Folge: Dunkle Wolken über Belgrad 4. Folge: Zwischen Punks, Anarchisten und Kriegsverbrechern 5. Folge: An der Europride-Parade 6. Folge: Mehr als fettiger Börek und vampirartige Polizisten |