Nerdy Stuff
Heute kennt man sie vor allem von T-Shirts, doch Nirvana schrieb die Hymne einer ganzen Generation. Ein Rückblick auf den Grunge der 90er-Jahre.
Sarah Stutte — 11/12/23, 02:15 PM
In der Science-Fiction-Serie «Invasion», die auf Apple TV läuft, hörte ich kürzlich mir vertraute Klänge. In der ersten Staffel ist ein jugendlicher Charakter der Serie zusammen mit seinen Mitschülern auf einer Klassenreise im Bus unterwegs. Er sitzt alleine auf einem Sitz, vermutlich, weil er ein wenig anders ist als die anderen. Während diese mit ihren Handys spielen, hat der Junge einen Retro-Walkman auf den Ohren. Darauf zu hören ist Old School Punk und Grunge und darunter ein Song, der mir direkt in den Gehörgang sticht: «Drain You» von Nirvana.
Das katapultiert mich zurück in meine wilden Teenager-Jahre – im Wallis. Damals, als ich meine schwarze Phase hatte und in superweiten, zerschlissenen Klamotten durch die Gänge unserer Schule schlurfte. Mein ständiger Begleiter dabei: Der gute alte Grunge-Rock der 90er – Pearl Jam, Soundgarden, Alice in Chains, Hole und natürlich Nirvana. Kurt Cobain war sozusagen mein Gott und der Grunge meine Kirche, oder so. Ein absoluter Frevel in dem erzkatholischen Dorf, in dem ich aufwuchs.
Tatsächlich erging es ähnlich wie dem Outsider-Jungen aus der Serie. Während alle meine Altersgenossen damals die geschniegelten Boybands toll fanden oder den umoperierten Michael Jackson, kam ich mir vor wie ein Alien mit meinem Musikgeschmack. Doch Grunge spiegelte zu dieser Zeit einfach am besten mein Innerstes wieder. Dieser rohe, unkontrollierte Schmerz der Ablehnung, die Wut auf die Welt und die verzweifelte Suche nach einem Platz darin – was bitte konnte jemals die ambivalenten Gefühle in der Pubertät so perfekt reflektieren?
Am ehesten vielleicht noch Punk, aber Grunge war einfach noch eine Spur dreckiger, energetischer, ehrlicher und direkter. Fand ich jedenfalls – und dudelte mal zornig, mal melancholisch-deprimiert meine «Nevermind»-Scheibe rauf und runter. «Smells like Teen Spirit» wurde nicht nur zu meiner Hymne, sondern der einer ganzen Generation. Doch das wusste ich natürlich im verschlafenen Wallis nicht, wer hätte mir das auch in der Pre-Handy-Internet-Ära sagen können?
Als Cobain 1994 starb, war das für mich, als hätte ich meinen Bruder verloren, meinen Verbündeten im Geiste. Ich gehörte leider nicht zu den Glücklichen, die ihn kurz vor seinem Tod – beim ersten und einzigen Auftritt der Band in der Schweiz – im Februar desselben Jahres in Neuchâtel sehen konnten. Stattdessen tröstete ich mich mit der «MTV-Unplugged in New York»-CD, die im Oktober 1994 erschien und sozusagen das Vermächtnis der Band war, die sich kurz nach dem Suizid ihres Sängers auflöste. Irgendwie hat mich diese Musik damals durch die Zeit gerettet und hinaus aus dem Bergkanton, mitten hinein in die Welt gejagt.
Das mag ironisch klingen, angesichts der toten Bandleader – neben Cobain noch Chris Cornell oder Layne Staley – die dem Grunge zum Opfer gefallen sind. Heute mögen die Nirvana-T-Shirts mit dem ikonischen Smiley-Logo zwar wieder in sein und die Songs auf Spotify gestreamt werden, doch die Bedeutung wird nicht mehr gefühlt. Manchmal frage ich mich deshalb, was die Gen Z heute an Musik hat, durch die sie sich verstanden und gesehen fühlt? Und dass mir jetzt bitte niemand mit Taylor Swift kommt!
Kurt Cobain hat das jugendliche Seelenleben besser eingefangen als jeder andere Musiker jeder anderen Generation. «With the lights out, it's less dangerous. Here we are now, entertain us.» Das war ein bissiger Kommentar zur Oberflächlichkeit des Musikbusiness gepaart mit einer massentauglichen Musikalität. Ein genialer Schachzug. Wer könnte heute noch solche Zeilen texten? Und wer den Mut aufbringen, folgendes in die Linernotes des Albums «Incesticide» zu schreiben: «Wenn jemand von euch Homosexuelle, Menschen anderer Hautfarbe oder Frauen hasst, dann tut uns bitte diesen einen Gefallen – lasst uns verdammt noch mal in Ruhe! Kommt nicht zu unseren Konzerten und kauft nicht unsere Platten.»
Nerdy Stuff Eine Liebeserklärung an Nischenprodukte: In dieser monatlichen Kolumne beschäftigt sich Sarah Stutte mit Dingen, die nie wirklich im Mainstream angekommen sind oder von ihm vergessen wurden. Egal ob Songs, Serien, Filme oder Comics. 1. Teil: Wie sich ein seltsamer 80er-Song in unsere Köpfe bohrte 2. Teil: Plüschtiere des Grauens 3. Teil: Das beste Comic aller Zeiten 4. Teil: Das einzige wirklich gute Auto 5. Teil: Das schlechteste Videospiel aller Zeiten |