Kampf gegen Sexismus
Sie prügelten sich durch eine Männerdomäne und sind nun die Grundlage für die Netflix-Serie «Glow»: Die Geschichte über Frauen, die vor 40 Jahren Wrestling-Pionierarbeit leisteten.
Sarah Stutte — 09/26/23, 06:38 AM
Die Netflix-Serie «Glow» lehnt sich an die Geschichte der Wrestlerinnen der 80er-Jahren an.
Hand aufs Herz: Wer hat sich früher die guten alten Wrestlingshows auf RTL2 angeguckt? Meine Wenigkeit sass jedenfalls regelmässig an den Wochenenden vor der Glotze, wenn «The Undertaker» mit seiner Urne unter dem Arm in die Manege lief oder «Hulk Hogan» unzählige seiner gelben Muskel-Shirts auf der Bühne zerfetzte.
Mich störte nicht, dass das alles abgesprochen war – es hatte trotzdem hohen Unterhaltungswert.
Ein Totengräber hauchte dem Profiwrestling über Jahre neues Leben ein: The Undertaker (Foto: zvg)
Zu meiner Schande muss ich allerdings gestehen, dass das Frauenwrestling damals komplett an mir vorbei ging. Wohl auch, weil diese Shows in den 80ern und frühen 90ern im deutschsprachigen TV gar nicht gezeigt wurden. Leider – denn dort ging es nochmals eine ganze Spur trashiger zu und her.
Diesen Eindruck bekommt man jedenfalls, wenn man sich heute die Netflix-Serie «Glow» zu Gemüte führt. Sie wurde von 2017 bis 2019 in drei Staffeln produziert – eine vierte wurde unglücklicherweise durch Corona beerdigt.
Ruth spielt in der Netflix-Serie Glow die Hauptrolle.
In der Serie geht es um Ruth, eine erfolglose Schauspielerin. Sie sitzt eines schönen 80er-Jahre-Tages in Los Angeles in einem Casting der besonderen Art. Der abgehalfterte B-Movie-Regisseur Sam Sylvia sucht dort zusammen mit dem verwöhnten Möchtegernproduzenten Bash zwölf Teilnehmerinnen für die erste Frauen-Wrestling-TV-Show dieser Art. Ruth landet auf Umwegen in der bunten Truppe, die von starken und ungewöhnlichen Charakteren nur so wimmelt.
Da ist beispielsweise Sheila, die sich eher als Wolf sieht, statt als Mensch und deshalb ihr Alter Ego auf der Bühne auch nicht spielen muss. Oder Carmen, die aus einer Wrestlingfamilie stammt, sich nun selbst beweisen möchte, aber unter Auftrittsangst leidet. Tammé hat ihr Leben ihrem Sohn gewidmet – einem von damals nur zwei schwarzen Stanford-Studenten – und jahrelang zurückgesteckt. Nun will sie als «The Welfare Queen» im Ring durchstarten.
«The Welfare Queen» im Ring.
Ihre Figur ist dabei ein «Heel» – so nennt sich im Wrestling ein Bösewicht. Diese kämpfen gegen die sogenannten «Babyfaces», also die guten Figuren. Für eine antagonistische Rolle entscheidet sich auch Ruth. Als «Zoya the Destroya» erobert sie die Wrestlingbühne – eine russische Kampfamazone mit Akzent und Fellmütze.
Ihre Gegenspielerin ist niemand Geringeres als ihre ehemals beste Freundin Debbie. Sie verkörpert die amerikanische Vorzeigemutter «Liberty Belle» mit viel Patriotismus und nicht gespieltem Zorn auf Ruth, die mit ihrem Ehemann in die Kiste hüpfte.
Auch umstrittene Personen der Zeitgeschichte kriegen ihr Fett weg. So auch der frühere US-Präsident Ronald Reagan.
Im Laufe der Handlung wird aus der ungeübten Wrestlingcrew ein eingespieltes Team, das die gemeinsamen Erfahrungen zusammenschweisst. «Glow» ist nicht nur wegen den spannenden Figuren, dem tollen 80er-Jahre Soundtrack, den detailgetreuen Glitzerkostümen, scharfzüngigen Dialogen, der Kritik am vorherrschenden Sexismus und Rassismus oder der absurden Komik ein herrliches Vergnügen.
Auch der Zeitkolorit von Ronald Reagan (auf dessen Bild Koks geschnupft wird!) über AIDS bis zur Challenger-Katastrophe unterstreicht das historisch belegte Fundament der Serie. Denn die «Gorgeous Ladies of Wrestling» – dafür stand das Kürzel «Glow» – gab es wirklich.
Hier wurden die ersten Frauenwreslting-Shows aufgezeichnet: Das Riviera Hotel im Las Vegas.
Die professionelle Frauen-Wrestling-Show begann 1985 mit einer Pilotfolge und startete danach als TV-Show von 1986 bis 1989 im US-Fernsehen. Gesendet wurde live aus dem Riviera Hotel in Las Vegas. Der entscheidende Unterschied zwischen dem Männerwrestling und dem der Frauen jener Zeit war, dass letztere in Sachen Unterhaltung nochmals eine Schippe drauflegten.
Ein wesentlicher Bestandteil für den Erfolg von «Glow» waren nämlich die überdrehten Comedy-Sketche, die als Video-Einspieler vor den Kämpfen gezeigt wurden und diese quasi einläuteten. Auch in der Serie werden diese in die Storyline eingebunden.
«Glow»-die Serie erlaubt sich natürlich dramaturgische Freiheiten und fiktionalisiert die Handlung. Trotzdem haben viele ehemalige Wrestling-Stars hier Kurzauftritte und einige der Serien-Charaktere orientieren sich ganz klar an echten Vorbildern.
Ursula Hayden alias «Babe the Farmer's Daughter» wurde später auch Produzentin.
Debbie, die in der Serie erst Wrestlerin und dann zusätzlich noch Co-Produzentin wird, ist an Ursula Hayden angelehnt. Hayden's Figur hiess «Babe the Farmer's Daughter», bevor sie 2001 die Show übernahm. Für die Serie zog Netflix sie als Beraterin hinzu. Sie starb im Dezember 2022 mit 56 Jahren an Krebs.
«Glow» bricht eine Lanze für all jene Frauen, die sich durch eine typische Männerdomäne buchstäblich durchkämpften, sich durch den Sport emanzipierten und nicht nur das US-Fernsehen damit nachhaltig veränderten. Eine unbedingte Bing-Watch-Empfehlung.
Nerdy Stuff Eine Liebeserklärung an Nischenprodukte: In dieser monatlichen Kolumne beschäftigt sich Sarah Stutte mit Dingen, die nie wirklich im Mainstream angekommen sind oder von ihm vergessen wurden. Egal ob Songs, Serien, Filme oder Comics. 1. Teil: Wie sich ein seltsamer 80er-Song in unsere Köpfe bohrte 2. Teil: Plüschtiere des Grauens 3. Teil: Das beste Comic aller Zeiten 4. Teil: Das einzige wirklich gute Auto |