Nerdy Stuff
In Luzern ging gerade das Fumetto zu Ende. Wer noch nicht genug von Comics hat, wird hier in einen Genre-Klassiker eingeführt.
Sarah Stutte — 04/03/23, 08:29 AM
«Watchmen» erschien zuerst in den 80er-Jahren als zwölfteilige Comic-Serie. (Fotos: zvg)
Neben Horrorfilmen habe ich ein zweites Lieblingsthema: gezeichnete Geschichten. Meine Liebe zu Comics begann mit «Asterix», durch den ich mir erste Grundkenntnisse in Latein aneignete und ging dann relativ schnell über zum dunklen Ritter «Batman».
Bis heute fasziniert mich die Brillanz von Frank Millers wegweisender Miniserie «The Dark Knight Returns», die ein ganzes Genre beeinflusste. Mit zornig-düsteren Strichen zeigte uns Miller dort keine coole Kultfigur, sondern einen alten, desillusionierten Fledermausmann, der des ständigen Kampfes müde geworden war.
Erstmals wurden Superhelden in ihrer Widersprüchlichkeit und Brüchigkeit gezeigt.
Trotzdem ist der beste Comic aller Zeiten für mich ein anderer. Er erschien fast zeitgleich (1986/1987) wie der oben genannte und ist in sich ein Kunstwerk. Die Rede ist von «Watchmen» – dem ersten Comic, der sich wie Literatur anfühlte und sich auch so las. Seine Schöpfer waren Autor Alan Moore, der geniale Kopf hinter einigen der einflussreichsten Comics wie «V for Vendetta» und «The Killing Joke», der Zeichner Dave Gibbons und der Kolorist John Higgins.
«Watchmen» begann mit einer einfachen Frage: Wie würden Superhelden in einer glaubwürdigen, realen Welt aussehen? Moore siedelte die Geschichte in einem Amerika an, das den Vietnamkrieg gewonnen hatte und in dem der Watergate-Skandal nie stattfand. Dieser politische Hintergrund schuf eine Welt, die von den Ängsten vor der Apokalypse und der Paranoia des Kalten Krieges durchdrungen war.
Auf HBO wird seit 2019 eine Serie ausgestrahlt, die auf dem Comic beruht.
Damit bot sie nicht nur einen zynischen Blick auf die fehlerhaften Superhelden, die in ihr lebten, sondern spiegelte auch die Probleme unserer Zeit. «Watchmen» machte klar: Retten können wir uns, wenn überhaupt, nur selbst. Die «Heroes» fechten ihre eigenen persönlichen und moralischen Kämpfe aus. Um diesen Konflikt zu betonen, schrieb Moore absichtlich Figuren mit radikal gegensätzlichen Weltanschauungen.
Etwas wie Alan Moores «Watchmen» hatte es bis dato im Comic-Genre nicht gegeben. Das spiegelte sich auch in den Bildern wider. Für diese verwendeten Gibbons und Higgins viele geniale Techniken wie das damals revolutionäre Neun-Panel-Layout und den Einsatz von vielen Nebenschauplätzen, um der Welt von «Watchmen» Leben einzuhauchen.
Durch ausgiebige Verwendung von Sekundärfarben wirken Blutspritzer besonders herausstechend.
Gibbons wollte eine einzigartige und unverwechselbare Ästhetik schaffen. Seine harte und markante Linienführung unterschied sich deutlich von den fliessenden Linien in anderen Comics jener Zeit. Higgins ergänzte dies mit der Verwendung von Sekundärfarben, um mehr Stimmung zu erzeugen und damit die Primärfarben, beispielsweise bei blutigen Szenen, stärker herausstachen.
Moore wollte zudem wiederkehrende Symbole und Bilder, die mit Bedeutung aufgeladen waren, und Gibbons widmete ihnen bei der Einfügung in die Geschichte besondere Aufmerksamkeit. Einige sind offensichtlich, wie das blutverschmierte Smiley-Gesicht, das zu einem ikonischen Symbol geworden ist. Der Smiley wurde so gestaltet, dass er sowohl geometrisch als auch symbolisch eine Uhr des Jüngsten Gerichts darstellt, was ein wichtiges thematisches Element ist.
Lachend in den Abgrund: Das Smileysymbol wird zur Zeitanzeige des Jüngsten Gerichts.
Andere sind subtiler, wie der Satz «Wer wacht über die Wächter?» – eine Frage, die damals wie heute absolut dringlich ist. Tatsächlich ist «Watchmen» voll von diesen Hintergrunddetails, die beim ersten Lesen leicht übersehen werden können – eine absichtliche Entscheidung, damit jede und jeder das Buch mehrmals in die Hand nimmt, um es vollständig zu verstehen.
Auch wenn es in Zukunft viele weitere grossartige Werke geben wird – eines wie «Watchmen» wird es nie wieder geben.
«Watchmen» ist die absolut perfekte Verschmelzung einer anspruchsvollen Geschichte von immens philosophischer und politischer Tiefe, mit einer aussergewöhnlichen, detailreichen Bebilderung. Moores «Masterpiece» veränderte für immer die öffentliche Wahrnehmung des Mediums und dessen, was Comics wirklich leisten können. Auch wenn es in Zukunft viele weitere grossartige Werke geben wird – eines wie «Watchmen» wird es nie wieder geben.
Eine Liebeserklärung an Nischenprodukte: In dieser monatlichen Kolumne beschäftigt sich Sarah Stutte mit Dingen, die nie wirklich im Mainstream angekommen sind oder von ihm vergessen wurden. Egal ob Songs, Serien, Filme oder Comics. 1. Teil: Wie sich ein seltsamer 80er-Song in unsere Köpfe bohrte 2. Teil: Plüschtiere des Grauens |