Wohnung gesucht
Seit sechs Wochen schreibt Sara Hensler über ihre Wohnungssuche. Nun ist das Projekt zu einem überraschenden Schluss gekommen.
Sara Hensler — 10/16/22, 06:07 PM
Ihre Gläser bleiben, wo sie sind: Sara Hensler zieht doch nicht aus ihrer WG aus.
Als ich letztes Wochenende nach dem Feiern nach Hause torkelte und im Kühlschrank die Spaghetti-Resten meines Mitbewohners entdeckte, ging mein Herz auf. Im Eiltempo zog ich mir die Nudeln rein – direkt aus der Pfanne, versteht sich. Irgendwo zwischen Fresssucht und Wachkoma wurde mir bewusst, dass ich mir noch nicht einmal die Schuhe ausgezogen habe. Schuhe aus, Gestell verfehlt, einen halben Liter Wasser geext und ab ins Nest.
Als ich am nächsten Morgen meine Körpermasse in die Küche schleppte und bemerkte, dass besagter Mitbewohner auch noch die von mir leer gefutterte Pfanne abgewaschen hatte, wusste ich: Ich war im Himmel angekommen. Spätestens ab diesem Zeitpunkt begann ich mich zu fragen: Weshalb habe ich nochmals den Entschluss gefasst auszuziehen?
Wird in WGs gerne übernommen: Mitternachts-Snack des Mitbewohners.
So sehr ich mich noch vor wenigen Wochen über das WG-Leben echauffiert habe, ja sogar eine Kolumne über meine Wohnungssuche verfasse, so sehr lerne ich gerade meine Mitbewohnenden zu schätzen. Wo gestern eine Glühbirne kaputt ging, ist heute durch Zauberhand eine Neue drin. Der Kompost: Pünktlich vor die Türe gestellt noch bevor ich überhaupt dran denken konnte. Einen Akkubohrer gefällig? Irgendjemand in der WG hat bestimmt einen rumliegen. Die Miete: So tief, dass ich mir sogar das teure Bio-Shampoo leisten kann.
Die toxische Beziehung
Vielleicht, dachte ich mir, Skeptikerin wie ich bin, ist es ein ähnliches Phänomen wie beim Schlussmachen. Hat man den Entscheid gefasst, eine Beziehung zu beenden, sieht man plötzlich nur noch die positiven Eigenschaften des Gegenübers. Egoistisch wird plötzlich zu selbstbestimmt, bevormundend wird zu willensstark – und plötzlich ist man weitere drei Jahre in einer Beziehung mit einem mansplainenden Egomanen, der seine Unterhosen nur 30 Grad wäscht.
Sind meine Mitbewohnenden und ich etwa in einer toxischen Beziehung, die zwar selbstzerstörerisch aber doch fast unmöglich zu beenden ist? Werde ich in zehn Jahren zurückblicken und den Kopf schütteln, weil ich doch eigentlich Besseres verdient hätte?
So gut hat sich eine Niederlage selten angefühlt.
Ob toxisch oder nicht, so schnell werde ich wohl aus der Wohngemeinschaft nicht ausziehen. Mit dem letzten Teil der Kolumne gilt meine Wohnungssuche nun offiziell als gescheitert.
Und das ist voll okay so. Seit sich aus meinem Kater eine mittelschwere Erkältung entwickelt hat, bin ich erneut froh, auf eine voll ausgestattete, sich über WG-Generationen angesammelte Badezimmer-Apotheke zurückgreifen zu können. Vielleicht liegts also am Neocitran oder an irgendeiner Substanz, die womöglich doch keine Homöopathie war: So gut hat sich eine Niederlage selten angefühlt.
Wohnung gesucht Trügerische Inserate, bestechliche Vermieter:innen, harte Konkurrenz und unbequeme Budgetfragen: Die Wohnungssuche gleicht in Luzern einem Haifischbecken. Sara Hensler begibt sich in dieses und schreibt über ihre Erfahrungen – Ausgang offen. 1. Teil: Ist Immoscout das neue Tinder? 2. Teil: Fake-Inserate, True Crime und die Wohnungssuche 3. Teil: Zwischen Fake-Kronleuchter und Fake-Lächeln 4. Teil: In Adiletten zum Wohnungsglück? 5. Teil: Staatsfeind Nr. 1: Die Gasofen-Heizung 6. Teil: Bin ich in einer toxischen Beziehung mit meiner WG? |