Wohnung gesucht
Unsere Kolumnistin Sara Hensler ist immer noch auf der Suche nach einer neuen Bleibe und begibt sich dabei in kriminelle Gefilde.
Sara Hensler — 08/22/22, 08:55 AM
Die eigene Wohnung kann schnell zum Betrugsfall werden. (Foto: Unsplash)
Nach der fünften Absage auf eine meiner Wohnungsbewerbungen fühle ich mich so wertgeschätzt wie ein labbriges Pommes in einer Döner-Box. Das einzige, was mein Minderwertigkeitskomplex besänftigt: der Gedanke, dass es noch minderwertigeres gibt – nämlich diejenigen, die aus den Wohnungssuchenden auch noch Profit schlagen.
Fake-Inserate gibt es mehr als Birkenstöcke in Berlin Mitte. Mit Letzteren wurde ich schon lange warm. Müsste ich vielleicht auch gegenüber verdächtigen Wohnungsangeboten offener werden? Vielleicht habe ich mir schon etliche Top-Wohnungen durch die Lappen gehen lassen, weil ich sie verfrüht als fake abstempelte.
Die nächste Chance liess nicht lange auf sich warten. Eine ausgeschriebene Neubauwohnung direkt an der Museggmauer. Offene Wohnküche, zwei Schlafzimmer, Garten-Sitzplatz, Minergie, alles für 1'155 Franken.
Nie im Leben, denk ich mir. Trotzdem schrieb ich der Kontaktperson – und fühlte mich dabei wie eine Pensionärin, die sich über das Junk-Mail eines nigerianischen Prinzen freut, der ihr eine Million Dollar vererben möchte.
Für diese Liegenschaft wird mit gefälschten Angeboten geworben. (Foto: Sara Hensler)
Zurück schrieb ein gewisser Markus Müller (im Inserat hiess er noch Marko) mit der Mailadresse [email protected]. Nicht einmal die Mühe gemacht, eine ordentliche Mail-Adresse einzurichten. Wohl ein Betrüger-Azubi.
Auf Englisch schreiben Markus und ich – mittlerweile sind wir per Du – hin und her. Markus hat in der Schweiz in der Industriebranche gearbeitet. Momentan lebt er in Spanien.
Bevor mir ein Manager vor Ort die Wohnung zeigen könne, brauche Markus ein Foto meiner ID, meine Adresse, Telefonnummer und, natürlich: drei Monatsmieten im Voraus. Eine reine Formalität, versichert er mir. Spätestens hier ist der Fall klar.
Wer ist dieser Markus Müller aus St. Gallen?
Eine kurze Google-Recherche bestätigt die bösen Absichten des Inserenten. Auf meine Anfrage schickt mir Markus ein Bild seiner Identitätskarte, das auch tatsächlich einen Markus Müller zeigt. Bart, Brille, 176 Zentimeter gross, Heimatort St. Gallen. Wahrscheinlich der wahre Markus Müller, der auf den Betrug reingefallen und seither um ein paar tausend Franken leichter ist.
Ich danke mit krassesten Schweizerdeutsch, immerhin müsste das der echte Markus Müller verstehen. Mit «Höi liäbä Markus», fing ich an. Mit «Rüdigi Grüäss us Lozärn», schloss ich. Normalerweise kommt mir die Rösti im Magen hoch, wenn jemand so schreibt. Doch für etwas Selbstjustiz scheue ich vor keinem luzernerischen Ö und Ä zurück. Eine Antwort blieb aus.
Geräumig, billig, fake. (Foto: Screenshot Comparis)
Als ich letztens True-Crime-Podcasts hörte, überkam es mich plötzlich: Was, wenn ich meinen Betrüger komplett unterschätze? Was, wenn er lediglich die Mail-Korrespondenz mit mir benötigte, um meinen Computer zu hacken? Wie in den Filmen, wo man den Ort des Entführers lokalisieren kann, wenn dieser nur genügend lange in der Leitung bleibt.
Ruft bald schon das Team von Sabine Rückert an, um eine Podcast-Folge über meinen Fall aufzunehmen? Sofort checke ich mein Bankkonto und sperre die Mailadresse von Markus Müller. Selbstjustiz überlass ich wohl künftig besser der Pensionärin von gegenüber.
Trügerische Inserate, bestechliche Vermieter:innen, harte Konkurrenz und unbequeme Budgetfragen: Die Wohnungssuche gleicht in Luzern einem Haifischbecken. Sara Hensler begibt sich in dieses und schreibt über ihre Erfahrungen – Ausgang offen. |