Wohnung gesucht
Unsere Kolumnistin Sara Hensler ist zurzeit oft bei Wohnungsbesichtigungen anzutreffen. Schauspieltalent ist dabei von Vorteil.
Sara Hensler — 09/05/22, 08:07 AM
Ein Kronleuchter bringt zwar Licht in dein Leben, aber auch etwas stilistische Düsternis. (Foto: Unsplash)
Hier stehe ich nun, bei meiner gefühlt 20. Wohnungsbesichtigung. Neben mir: rund zehn andere Bewerber:innen. Auf rund 30 Quadratmeter stehen wir uns auf den Füssen. Wer mich kennt, weiss: Für mich die absolute Hölle. Zu viele Leute auf zu engem Raum bereitet mir anxiety. Besonders wenn es Menschen sind, mit denen ich keinerlei Sympathie teile (übrigens auch der Grund, weshalb ich die Fasnacht bis aufs äusserste meide.)
Gegen aussen bleibe ich cool, nur meine schwitzigen Hände verraten meine Anspannung. Seit Corona gibt es meist eh nur die Ghetto-Faust zur Begrüssung, kein Grund zur Sorge also.
Sympathiepunkte sammeln, Würgereiz unterdrücken
Die Wohnung ist so klein, dass es schwerfällt, die Konkurrenz höflich, aber bestimmt zu ignorieren. Wie die anderen zehn Nasen verschwindet deshalb auch mein überdimensionierter Zinken hinter meinem Handy, um Bilder zu schiessen.
Als sich das Feld lichtet, suche ich das Gespräch zur aktuellen Mieterin. Damit bin ich nicht die einzige. Wie eine Traube scharren sich die Verbliebenen um sie. Wir alle wissen: Sympathiepunkte können hier bei der Wohnungssuche Gold wert sein. Dass ich mich dabei fühle wie eine Kandidatin, die um die Gunst des Bachelors buhlt, bereitet mir nur ein leichtes Kotzgefühl.
Fake und flexibel soll die Nachmieterin sein
«Ja, klar könnte ich dein Gestell übernehmen», kommt es aus meinem Mund. Was ich eigentlich gerne gesagt hätte: «Entsorg dein hässlich rotes Ikea-Ungetüm gefälligst selbst!» «Schön», sag ich, als die Vermieterin uns durch das Wohnzimmer führt. Meine Augen bleiben dabei am Kronleuchter hängen, der über dem Esszimmertisch hängt.
Hängt in so mancher kitschigen Wohnung: Kronleuchter.
Übrigens längst nicht der erste Kronleuchter, den ich bei einer Wohnungsbesichtigung begutachten durfte. Seitdem ich derart viele fremde Wohnungen begutachte, macht es für mich plötzlich Sinn, dass Designer wie Harald Glööckler Erfolg haben. In kleinen Wohnungen haben sich seine Fans versteckt!
Attraktive Nachmieterin mit Kronleuchter gesucht
Doch eine Wohnungsbesichtigung ist nicht der Ort, um seinen Geschmack zu äussern. Es ist der Ort, um eine möglichst attraktive Nachmieterin zu sein. Und die soll alles an der Wohnung toll finden und am besten auch gleich in einer Woche einziehen können.
Meine eigene und die Fakeness meiner Konkurent:innen macht müde. Völlig ausgepowered verabschiede ich mich und werfe von aussen einen letzten Blick auf das Gebäude. Erst von der Strasse aus sehe ich, dass die Wohnung sogar Stuck an der Decke hat. Was, frage ich mich, hab ich wohl wegen des gigantischen Kronleuchters sonst noch verpasst?
Trügerische Inserate, bestechliche Vermieter:innen, harte Konkurrenz und unbequeme Budgetfragen: Die Wohnungssuche gleicht in Luzern einem Haifischbecken. Sara Hensler begibt sich in dieses und schreibt über ihre Erfahrungen – Ausgang offen. |