Wohnung gesucht
Sara Hensler hätte beinahe die perfekte Wohnung gefunden. Würde da bloss nicht ein heiztechnisches Ungetüm im Gang stehen.
Sara Hensler — 10/03/22, 07:44 AM
Ein berüchtigter Unruheherd: Der Gasofen.
Kaputte, halb runterhängende Küchenschränke, Schimmel im Bad und Türen, die nur mit dem richtigen Mindset schliessen: Während meiner zehnjährigen Wohn-Karriere in verschiedenen Altbauwohnungen habe ich den Preis für günstigen Wohnraum kennengelernt.
Vieles davon gehört heute zum guten Ton in Wohngemeinschaften. Nur eines hat mich nachhaltig traumatisiert: In Angst und Schrecken schaudert es mich heute noch, wenn ich an die Gasofen-Heizung denke, die in meiner letzten Wohnung für Wärme sorgen sollte.
Verständnis für Di Caprio
In Wirklichkeit handelte es sich bei der «Heizung» eher um ein Teufelsteil, das ein ganz eigenes Leben führt. Ein Satans-Abkömmling, der sich selbst ein- und ausschaltet und der meist nur einen Raum in der Wohnung zu heizen vermag. Eine Höllen-Gestalt, die derart komische Geräusche von sich gab, dass ich mir zur Sicherheit die Feuerwehr in die Kurzwahrtasten gespeichert hatte.
Leonardo Di Caprios Move in The Revenant, in den Pferdekadaver zu kriechen, um nicht zu erfrieren, schien mir damals völlig plausibel – sass ich selbst mit Kappe, Wärmeflasche und drei Decken in meiner Eishöhle, alias Schlafzimmer. Heute sitze ich in komfortablen 19 Grad auch im Winter gemütlich im Wohnzimmer und danke Gott, oder ähnlichem, für die Erfindung der Zentralheizung.
Die Gasofen-Heizung returns
Als ich vergangene Woche an eine Wohnungsbesichtigung eingeladen wurde, war meine Euphorie dementsprechend schnell gebremst, als ich den Gasofen im Gang entdeckte. Schöner Fischgrat-Boden, grosses Wohnzimmer, eine Küche mit coolem Industrie-Waschbecken. Nur rund 900 Franken pro Monat, aber eben: eine Gasofen-Heizung.
Wie in einem schlechten Psycho-Thriller zoomte mein Gehirn immer wieder an den Ofen. In Hitchcock-Manier färbte sich mein Sichtfeld im Alarmzustand immer wieder rot. Und wenn Musik gelaufen wäre, es wäre Reggaeton gewesen, der Fiebertraum unter den Musikrichtungen.
Grosse Zimmer, tiefe Miete: Eigentlich hätte Sara eine vielversprechende Wohnung gefunden. Wenn bloss die Heizung nicht wäre.
Erfahren hatte ich von der Wohnung über zehn Ecken. Besichtigung: sofort. Einzug: sofort. Ausgeschrieben wurde sie nie – wohl der einzige Weg für eine Socke ohne Geld wie mich, an eine Wohnung zu gelangen. Nach einem halben Jahr Wohnungssuche erschien es mir töricht, eine derartige Chance nicht zu ergreifen.
Aber die Gasofen-Heizung… Bin ich nun schon derart privilegiert, dass ich bereits Wohnungen ablehnen würde? Ich begann meinen ganzen Entscheid, aus meiner komfortablen Wohngemeinschaft auszuziehen, zu hinterfragen. Blieb nur ein Problem: Wie kann ich, nach etlichen Klagetexten über das Wohnungssuchen, meiner Leser:innenschaft gegenüber legitimieren, eine Wohnung nicht genommen zu haben?
Ein Gasofen ist durchaus ein Grund, eine Wohnung abzulehnen.
Als ich mich in mein wohl temperiertes Wohnzimmer setze, um diesen Text zu schreiben, fiel mir den Entscheid nicht mehr schwer. In eine Wohnung mit Gasofen-Heizung kriegen mich keine zehn Cis-Männer, die regelmässig ins Crossfit gehen. Lieber teile ich meinen Wohnraum weiterhin mit meinen vier Mitbewohner:innen, die mit ihrer Körpertemperatur von 37 Grad den Raum mehr heizen, als es meine damalige Gasofen-Heizung je geschafft hätte.
Wohnung gesucht Trügerische Inserate, bestechliche Vermieter:innen, harte Konkurrenz und unbequeme Budgetfragen: Die Wohnungssuche gleicht in Luzern einem Haifischbecken. Sara Hensler begibt sich in dieses und schreibt über ihre Erfahrungen – Ausgang offen. 1. Teil: Ist Immoscout das neue Tinder? 2. Teil: Fake-Inserate, True Crime und die Wohnungssuche |