Weg zur Transidentität
Noch ist Billie Lilith eine Frau im Körper eines Mannes. Seit fünf Monaten unterzieht sie sich einer Hormontherapie. Nun stehen die ersten Operationen an. Ein Protokoll.
Ronnie Zumbühl — 12/08/21, 08:59 AM
Billie Lilith lässt sich bald ihren Adamsapfel entfernen, um eine höhere Stimme zu erhalten. (Bild: zvg)
«Kultz»-Redaktor Ronnie Zumbühl begleitet Billie Lilith auf ihrem Weg zur Geschlechtsanpassung. In loser Folge schildert sie hier, wie es ihr dabei geht. Im ersten Teil dieser Serie erzählte Billie von ihrem Coming-Out.
Vor fünf Monaten habe ich mir das erste Hormonpflaster aufgeklebt. Alle drei Tage muss ich das Pflaster auswechseln. Die Hormontherapie zeigte schon bald ihre Wirkung. Das Brustwachstum hat sehr schnell eingesetzt. Meine Mutter meinte zudem, dass meine Gesichtszüge feiner geworden seien. Ich selbst kann es nur schwer beurteilen, da ich mich jeden Tag im Spiegel anschaue. Was ich hingegen an mir beobachtet habe, ist, dass sich meine Gestik und Körpersprache verändert haben. Ich trainiere das nicht bewusst, es fühlt sich einfach richtig an.
Abgesehen vom Äusserlichen hat die Hormontherapie bisher nicht viel mit mir gemacht. Was ich sicher vermehrt spüre, sind die Testosteronblocker, die ich täglich als Pille einnehme. Meine Libido ist im Keller. Ich bin auch ruhiger geworden. Als Mann habe ich früher viel und gerne geflucht. In jedem Satz waren immer mindestens zwei Fluchwörter dabei. Ich sagte nicht, das Auto hat mich zuparkiert. Ich sagte: Dieses verdammte scheiss Auto hat mich zuparkiert. Jetzt benutze ich fast keine Fluchwörter mehr, vielleicht liegt das am Testosteronblocker, keine Ahnung. Mir ist jedenfalls aufgefallen, dass ich Dinge auch anders beschreibe als früher.
«Ich bin optimistisch – es kommt, wie es muss, irgendwie.»
Vielleicht sind es auch die anderen Medis, die mich ruhiger werden liessen. Ende Sommer habe ich neben ADHS noch Borderline diagnostiziert bekommen. Deshalb muss ich seit zwei Monaten zusätzliche Medikamente einnehmen. Diese Diagnose ist mir schon sehr nahe gegangen. Ich habe irgendwie geahnt, dass ich sowas habe, aber ich wollte es lange Zeit nicht wahrhaben. Mittlerweile habe ich die Diagnose akzeptiert. Ich habe mehrere Menschen kennengelernt mit der gleichen Form von Persönlichkeitsstörung, das half. Trotzdem: Das ist jetzt eine weitere Baustelle in meinem Kopf und macht den ganzen Prozess der Geschlechtsangleichung nicht einfacher. Aber ich bin optimistisch – es kommt, wie es muss, irgendwie.
Toll ist, dass es jetzt mit den Operationen vorwärts geht. Anfang Dezember steht schon die erste an: Mein Kiefer wird operiert – ein relativ komplizierter Eingriff. Das hätte ich aber so oder so machen lassen, auch abgesehen von der Geschlechtsangleichung. Denn meine Atemgänge sind zu eng und mein ist Kiefer zu kurz. In meinem Fall wird jetzt aber besonders darauf Acht gegeben, dass ich auch eine weiblichere Gesichtsform erhalte.
Irgendwann im Frühling wird dann der zweite medizinische Eingriff sein. Ich lasse mir den Adamsapfel entfernen und meine Stimmbänder operieren, damit ich eine höhere Stimme erhalte. Vor dieser Operation gehe ich in ein Stimmtraining, um meine Stimme auf diese Weise bereits ein wenig zu erhöhen. Das ist ähnlich wie bei einem Singtraining. Ich probiere meine Stimme anzuheben, indem ich mit dem Kiefer Kaubewegungen mache, die Lippen spitze und gleichzeitig seufze. Man hört sofort den Unterschied! Eine allzu hohe Stimme möchte ich letztendlich aber auch nicht haben.
«Ich bin froh, steht schon im Januar ein F auf meiner ID.»
Insgesamt rechne ich mit vier Operationen: zu den bereits erwähnten Eingriffen kommt eine Operation im Bereich Augenpartie und Nase hinzu. Zudem sollen die Brüste leicht korrigiert werden. Jetzt habe ich halt noch eine sehr männliche Brust, und wie das so ist bei Männern, sind die Brustwarzen nicht schön in der Mitte. Das will ich auf jeden Fall korrigieren lassen, mehr nicht.
Schliesslich kommt im Sommer die letzte Operation: die Geschlechtsangleichung. Danach werde ich nur noch in geringem Masse Hormone zu mir nehmen müssen.
Der Termin liegt aber noch in weiter Ferne. Etwas, was ich nach dem Jahreswechsel als Erstes tun werde, ist der Geschlechtseintrag amtlich ändern lassen. Im Sommer konnte ich erst den Namen anpassen. Das M blieb auf der ID stehen. 2022 tritt ein neues Gesetz in Kraft, das die Anpassung des Geschlechtseintrags vereinfacht. Mit der bisherigen Regel könnte ich den Eintrag erst nach der Geschlechtsanpassung ändern lassen. Ich bin froh, steht schon im Januar ein F darauf.
2020 hat sich Billie Lilith zu einem grossen Schritt entschieden. Sie hat beschlossen, ihr Geschlecht anzupassen. Wir haben sie in einer Beitragsreihe dabei begleitet: 1. Folge: «Ich sehe es als Fehlerbehebung» 2. Folge: «Wegen den Testosteronblockern ist meine Libido im Keller» |