Transidentität
Noch ist Billie Lilith eine Frau im Körper eines Mannes. Bis nächsten Sommer wird die Nidwaldnerin ihren Körper ihrem gefühlten Geschlecht angleichen lassen. Ein Protokoll.
Ronnie Zumbühl — 10/05/21, 04:03 PM
Das Outing war erst der Anfang. (Bild: zVg)
Marco hat mir nie gefallen. Kusi auch nicht. Aber so nannten mich andere während der Schulzeit. Aus Kusi wurde irgendwie Kört. Dieser Name gefiel mir schon eher. Ich benutze ihn sogar als rappendes Alter Ego und spielte mit den Varianten Curt Is Love und Curt Is Stone – Love war der herzliche, Stone eher der wütende Rapper. Ich wusste nie so richtig, wer ich bin. Also legte ich mir noch zusätzliche Identitäten zu, hinter denen ich mich verstecken konnte. Bis es nicht mehr ging, bis ich nicht mehr wollte. Kört ist tot. Ich weiss nun, wer ich bin. Ich bin eine Frau. Ich bin Billie.
Anfang des Jahres erfuhr ich vom Outing des kanadischen Schauspielers Elliot Page, der Ende 2020 bekanntgegeben hatte, trans zu sein. Ich fühlte dasselbe wie er und hatte in der Vergangenheit schon einige Impulse zu diesem Schritt, doch die Scham hielt mich zurück. Das Outing von Page gab mir den letzten Anstoss. Von da an war es für mich völlig klar, es gab keinen Zweifel mehr. Ich wusste, wenn ich es jetzt nicht durchziehe, lande ich in der Psychiatrie. Oder noch schlimmer: im Suizid.
«Mein Umfeld hat auf mein Outing sehr gut reagiert.»
Ich kaufte mir neue Kleider, rasierte mich und informierte mich über die Geschlechtsanpassung. Der Weg bis dorthin ist lange. Ich warte nur noch darauf, bis er vollendet ist. Das Warten ist hart. Ein Geduldsmarathon. Denn für dich ist klar, was du bist, doch der Spiegel sagt dir was anderes.
Erste grosse Schritte bis zur Geschlechtsangleichung habe ich bereits erreicht. Zum Beispiel die amtliche Namensänderung. Es tut gut, Billie Lilith auf meiner ID zu lesen. Leider steht da immer noch ein M. Das kann ich erst nächstes Jahr ändern lassen. Vor zwei Monaten habe ich mit der Hormontherapie angefangen. Bald stehen die ersten chirurgischen Eingriffe an, die zum Glück von der Grundversicherung übernommen werden. Voraussetzung dafür war eine psychologische Begleitung. Die habe ich sowieso schon seit einer Weile, da ich starkes ADHS habe.
Mein Umfeld hat auf mein Outing sehr gut reagiert. Meine Mutter meinte lapidar, sie sei nicht erstaunt. Allgemein habe ich deswegen noch nie Abweisung erlebt, auch wenn Nidwalden, wo ich bis vor kurzem lebte, nicht gerade als offenster Kanton gilt.
Im Dezember habe ich die erste OP im Nasen- und Kieferbereich. Nächsten Sommer die Geschlechtsanpassung. Dazwischen kommt der zweite Teil der Haartransplantation. Neben dem Eingriff an den Genitalien bereiten mir die Haare am meisten Mühe. Ich hoffe, sie werden schön lang. Ich will sie zusammenbinden oder damit einfach etwas ausprobieren können.
«Ich fühle mich nicht nur wohler als Frau, ich fühle mich auch wohler unter Frauen.»
Ich bin froh, kommt mein Penis weg. Ich hatte immer Mühe damit. Der Klassiker ist ja, dass Buben vor dem Spiegel stehen und sich den Penis zwischen die Beine klemmen. Ich habe das bis ins Erwachsenenalter gemacht. Es gab auch öfters Momente beim Sex, in denen ich mich nicht wohl fühlte.
Wenn Menschen über Biologie Bescheid wissen, kann man fast von einer Rekonstruktion reden, da ja alle Säugetiere zu Beginn weiblich sind, soviel ich weiss. Jedenfalls ist es beim Menschen so. Ich sehe es, in meinem Fall, als Fehlerbehebung. Es sind Dinge falsch gewachsen – das wird jetzt behoben. Ich verwandle ich mich nicht – im Gegenteil, ich bin das ja schon, es ist mehr eine Anpassung, eine Korrektur. Ich muss weibliche Geschlechtsorgane haben. Es gibt keine Alternative für mich.
Ich fühle mich nicht nur wohler als Frau, ich fühle mich auch wohler unter Frauen. Es geht dabei nicht in erster Linie um Interessen, sondern um den Umgang: die bedachtere und empathischere Art. Natürlich ist das auch ein wenig klischiert, aber die Männerwelt ist sicherlich gröber, dominierender und konkurrierender.
Ich stehe nach wie vor auf Frauen. Komischerweise irritiert das viele, weil sie Geschlechteridentität automatisch mit sexueller Orientierung verknüpfen. Ich freue mich auf jeden Fall auf die neue Begegnung – ich als Frau mit einer Frau.
Bis dahin entwickle ich eine neue Persönlichkeit, in sehr kurzer Zeit. Das wird anstrengend. Mein Studium habe ich verschoben. Umwandlung und Studium, das wäre zu viel auf einmal. Jetzt komme ich zuerst. Alles andere kann warten.
2020 hat sich Billie Lilith zu einem grossen Schritt entschieden. Sie hat beschlossen, ihr Geschlecht anzupassen. Wir haben sie in einer Beitragsreihe dabei begleitet: 1. Folge: «Ich sehe es als Fehlerbehebung» 2. Folge: «Wegen den Testosteronblockern ist meine Libido im Keller» |