Durch die Baselstrasse
Immer mehr junge Leute ziehen an und um die Baselstrasse. Zudem soll das Quartier in den nächsten Jahren aufgewertet werden. Kommt es bald zum Verdrängungskampf?
Lisa Kwasny — 02/27/23, 10:00 AM
An der Baselstrasse sind viele Wohnungen in marodem Zustand. Durch Sanierungen könnten sie jedoch teurer werden. (Fotos: mer)
Lebenswertere Wohnungen, mehr Grünfläche, tiefere Tempolimite, weniger Drogen und Prostitution: Mit verschiedenen Projekten will die Stadt Luzern die Baselstrasse in den nächsten Jahren aufpolieren. Was bedeutet das für die Menschen, die dort leben? Verbessert die Aufwertung die Lebensqualität oder droht das Quartier dadurch der Gentrifizierung zum Opfer zu fallen?
Nirgends gibt es in Luzern so günstigen Wohnraum wie in der Baselstrasse. Aber: «Die Wohnungen sind trotzdem zu teuer für ihre Qualität», sagt Josef Moser, Präsident des Quartiervereins Wächter am Gütsch. Gewisse Häuser im BaBeL-Quartier sind in desolatem Zustand. Eigentlich müssten sie dringend saniert werden.
In der Baselstrasse wohnt man zwar günstig, aber nicht günstig genug für die Qualität der Wohnungen, findet Josef Moser vom Quartierverein Wächter am Gütsch.
Das Problem ist, dass Sanierungen teuer sind. Wer saniert, will danach meistens auch mehr Miete. In Wohngebieten wie dem BaBeL-Quartier führt das oft dazu, dass sich die Mieter*innen die Wohnung nicht mehr leisten können und wegziehen müssen. Meistens wieder in eine Wohnung in schlechtem Zustand.
Auch Josef Moser musste aus seiner Wohnung ausziehen, weil er sich die Miete nach der Sanierung nicht mehr leisten konnte. Er spricht ein grundsätzliches Problem an.
Den Investoren ins Gewissen reden
Bei der Stadt heisst es, man sei sich dieses Problems bewusst. Doch was tut sie dagegen? Zwei Punkte werden genannt. Erstens: Die Stadt plant, den Marktanteil des gemeinnützigen Wohnungsbaus zu erhöhen. Zweitens: Sie will institutionelle und private Investoren für das Thema sensibilisieren. Dazu wurde 2022 ein Netzwerkanlass der verschiedenen Wohnbauakteure eingeführt, der nun jährlich stattfinden soll.
Auf politischer Ebene soll erreicht werden, dass die Wohnungen saniert, aber nicht teurer werden.
Auf politischer Ebene will sich der Stadtrat zudem für eine Revision der Verordnung über die Miete und Pacht von Wohn- und Geschäftsräumen einsetzen. «Ziel ist es, den Kostenanteil bei umfassenden Sanierungen zu reduzieren, der als wertvermehrend gilt», schreibt Nico Hardegger, Projektleiter in der Stadtplanung Luzern.
Konkret heisst das, dass Sanierungen vor allem dazu dienen sollen, die Wohnqualität zu verbessern, ohne dass die Wohnungen massgeblich teurer würden.
Dabei zählt die Stadt auf eine gut verankerte Partnerin vor Ort: Die Gemeinnützige Stitung für preisgünstigen Wohnraum (GSW). «Sie zeigt, wie an der Baselstrasse Liegenschaften qualitätsvoll saniert werden können, ohne dass dabei bezahlbarer Wohnraum verloren geht», schreibt Hardegger weiter.
Charlie Weibel wohnt seit Jahren in einer GSW-Wohnung. (Foto: Lisa Kwasny)
Charlie Weibel wohnt in einem Haus der GSW. Bis vor einigen Jahren sei das Haus vernachlässigt worden, jetzt wurde es aussenrum renoviert. «Allgemein war die Baselstrasse früher viel verlotterter», sagt Weibel.
Auch die Dealerei, die Prostitution und der offene Drogenkonsum haben abgenommen. Das hängt auch damit zusammen, dass die Polizei ihre Präsenz im Quartier sehr verstärkt hat. Laut Christian Wandeler, Sicherheitsmanager der Stadt, sei keine offene Drogenszene feststellbar. Die Polizei sei aber täglich in der Baselstrasse, um allfällige Gesetzeswidrigkeiten zu ahnden.
«Die SIP kommt hier regelmässig vorbei, Spritzen und gebrauchte Kondome werden von ihr entsorgt.»
Christian Wenk, Quartierarbeit Baselstrasse
Zur Verbesserung der Situation trug auch die Erneuerung des Dammgärtlis bei. Früher war dort ein offener Drogenumschlagplatz, heute ist der Spielplatz für Kinder sicherer: «Die Strassenreinigung kommt im Dammgärtli immer als erstes vorbei», sagt Christian Wenk von der Quartierarbeit Baselstrasse. Wenn die ersten Kinder auf den Spielplatz kommen, sei das Areal sauber. «Auch die SIP kommt hier regelmässig vorbei, Spritzen und gebrauchte Kondome werden von ihr entsorgt.»
Der Spielplatz im Dammgärtli war früher ein bekannter Drogenumschlagplatz.
Kinderfreundlich ist das Quartier dennoch nicht. Wendela Martens, Leiterin des Schulhauses St. Karli, spricht über die Baselstrasse als eines Orts, an dem die Kinder mehr als ein halbes Jahr im Schatten leben, da die Sonne im Winter die Strasse nicht erreicht. «Es ist eine vielbefahrene Strasse und einige Kinder begegnen auf dem Schul- und Kindergartenweg Gewalt, Drogen oder Prostitution.» Es sei daher wichtig, das Quartier allgemein aufzuwerten.
Viele Kinder aus der Baselstrasse gehen ins St. Karli zur Schule.
Die Schule geht dabei mit gutem Beispiel voran. So hat sie verschiedene Gratisprogramme wie Musik- oder Sportunterricht ins Leben gerufen. Es sei wichtig, die Kinder der Baselstrasse speziell fördern zu können. «Als Schule ist uns die Chancengerechtigkeit ein grosses Anliegen», schreibt Martens.
Das Quartier bestimmt mit
Damit die Bedürfnisse der Bewohner*innen in die Stadtplanung hineinfliessen können, arbeitet die Stadt mit dem Verein BaBeL zusammen. Die Bewohner*innen können so selbst mitentscheiden, welche Neuerungen ihr Quartier braucht.
Sibylle Stolz, Leiterin Quartiere und Integration, schreibt auf Anfrage: «Ziel von BaBeL ist die Aufwertung des Quartiers unter Beibehaltung des heutigen Charakters.» Dazu gehört nicht nur die Sanierung von Gebäuden, sondern auch Freizeitangebote und die Verbesserung des öffentlichen Raums.
«Die Begrünung der Baselstrasse lässt auf sich warten.»
Wendela Martens, Leiterin vom Schulhaus St. Karli
Doch nicht alles läuft immer so wie gewünscht. Die Schulleiterin vom St. Karli bedauert es immer noch, dass der Dammdurchbruch als Zugang zur Reuss nicht zustande kam. Und «die Begrünung der Baselstrasse lässt auf sich warten».
So soll das Quartier nach den Vorstellungen der Stadt im Idealfall aussehen. (Visualisierung: Stadt Luzern)
Doch Veränderungen sind geplant: Beim südlichen St. Karli-Brückenkopf sollen zwei sich ergänzende Freiräume entstehen. «Die Reussinsel als grosszügiger und vielseitig nutzbarer Park mit Bezug zum Wasser, der auf der Seite Dammgärtli mit einem verwunschenen und schattigen Quartiergarten ergänzt wird», schreibt Nico Hardegger.
Die Baselstrasse leidet unter hohem Verkehrsaufkommen.
Zudem soll auf der vielbefahrenen Baselstrasse Tempo 30 eingeführt werden. Allerdings sind dagegen zwei Beschwerden beim Kantonsgericht eingegangen. «Ob eine Einführung im laufenden Jahr noch realistisch ist, wird sich zeigen», sagt Roger Schürmann, Bereichsleiter Projekte im Tiefbauamt.
«Das Problem sind die Rowdys, die in der Nacht die Strasse hochrasen und einen riesigen Lärm machen.»
Daniel Kaufmann, Absacker Stübli
Für Josef Moser vom Quartierverein Wächter am Gütsch ist Tempo 30 schon lange ein Wunsch. Auch Silvio Brunetti, der seit seiner Kindheit im Quartier lebt, findet die Temporeduktion eine gute Idee. «Man muss mit der Zeit gehen», sagt er.
Die Frage bleibt aber, ob diese Regelung wirklich etwas bringen wird. «Wegen dem Stau kann man sowieso nie mehr als 30 fahren», sagt Daniel Kaufmann vom Absacker Stübli, «das Problem sind die Rowdys, die in der Nacht die Strasse hochrasen und einen riesigen Lärm machen.»
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Gespräche mit den Leuten vor Ort zeigen, dass Massnahmen in der Baselstrasse dringend notwendig sind. Denn die Wohnlage ist mit Nachteilen behaftet. Viele Menschen wohnen hier nur, weil sie sich keine andere Wohnlage leisten können, doch ohne Sanierung sind viele Wohnungen nur schlecht bewohnbar.
Trotzdem bleibt die Frage, ob die Aufwertung des Quartiers nicht doch mit einer Gentrifizierung einhergehen könnte. «Viele junge Menschen kommen von aussen und nutzen die Baselstrasse als hippes Quartier», sagt Christian Wenk von der Quartierarbeit.
Student*innen-WGs suchen sich oft lieber eine Wohnung in den ruhigeren Nebenstrassen.
Das sei zu merken, wenn man schaut, wer in welchen Häusern wohnt. Seitenstrassen wie die Damm- oder die Lädelistrasse werden vermehrt von Student*innen in WGs bewohnt. In der viel lauteren Baselstrasse halten es viele nicht lange aus, wenn sie nicht müssen.
«Die Baselstrasse ist keine luxuriöse Wohnlage aufgrund der Topografie und den stark genutzten Infrastrukturen.»
Nico Hardegger, Projektleiter der Luzerner Stadtplanung
Die sozialräumlichen Daten von Lustat würden aber aufzeigen, dass das Quartier trotzdem kaum Gentrifizierungsprozessen unterliegt, sagt Nico Hardegger, Projektleiter der Luzerner Stadtplanung. Das liegt wahrscheinlich an der Lage: «Die Baselstrasse ist keine luxuriöse Wohnlage aufgrund der Topografie und den stark genutzten Infrastrukturen.»
Als Beispiele dafür nennt Hardegger die lange Beschattung durch den Gütschwald, das Bahngleis, sowie die Baselstrasse als eine Haupteinfahrtsachse in die Innenstadt.
Manche Wohnungen an der Baselstrasse liegen direkt an den Bahngeleisen.
Es ist also zu vermuten, dass die Baselstrasse nie eine gute Wohnlage werden wird. Umso wichtiger sind alle Massnahmen, welche die Lebenssituation der Bewohner*innen unter Beibehaltung der günstigen Mietpreise verbessert.
Nirgends fühlt sich Luzern grossstädtischer an als in der Baselstrasse. Sie ist die Welt im kleinen mit all ihren guten und schlechten Seiten. Mit vielen Takeaways, Bars und Clubs, die bis spät in die Nacht geöffnet haben, bildet sie die Schnelllebigkeit unserer Gesellschaft ab. Gleichzeitig ist sie ein Ort der Beständigkeit, an dem auch Leute ihr Feierabendbier oder Frühschoppen trinken, die schon da waren, bevor die Strasse zum Schmelztiegel der Kulturen wurde. Die Baselstrasse ist eine Fundgrube an endlosen Neuentdeckungen. Und dennoch gibt es unzählige, unerforschte Ecken. Denn, um sie so richtig kennen zu lernen, ist ihr Wandel zu schnell. Dennoch durchqueren wir sie im Rahmen einer vierteiligen Reportagenserie, um eine zeitnahe Bestandsaufnahme zu erhalten. 1. Teil: Wohnen in der Baselstrasse |