Durch die Baselstrasse
Die Baselstrasse bietet die Welt im Kleinen. Das Angebot reicht von Kleidung aus Afrika bis zum Frühschoppen in der urchigen Beiz. Eine Tour durch den Clash der Kulturen.
Lisa Kwasny — 02/13/23, 10:56 AM
In der Stadt Luzern kann nirgends so vielfältig eingekauft werden wie in der Baselstrasse. (Fotos: Lisa Kwasny)
Es gibt die Baselstrasse bei Tag und es gibt die Baselstrasse bei Nacht. Meine Erinnerungen an die Nacht sind stets etwas verschwommen. Da gibt es wummernden Bass, viele Zigaretten an der kalten Luft und freudiges Wiedersehen mit Menschen, die man nur beim Feiern trifft.
Bis vor kurzem kannte ich die Baselstrasse bei Tag kaum. Dadurch sah ich nur einen sehr kleinen Teil von diesem doch sehr diversen Quartier. Hier gibt es Läden, in denen reihenweise hinduistische Götterbilder von der Decke hängen. Es gibt Läden, die verkaufen neben Teppichen, Schmuck und Gewürzen auch Mittagessen und in den Barber-Shops sitzen immer mindestens drei Leute, die nur zum Reden da sind.
In der Baselstrasse gibt es Gegenstände aus aller Welt zu erstehen.
Deshalb ist die Baselstrasse auch nebst dem Ausgangsangebot einen Ausflug wert. Denn Gespräche mit den Betreiber*innen der verschiedenen Läden ist eine sehr einfache Methode, um neue Kulturen kennenzulernen.
Kaffeerituale und Haarverlängerungen
Als ich den Laden von Sara David betrete, ist sie zunächst zurückhaltend. Mit der Zeit öffnet sie sich aber und beginnt, mir das Sortiment in den Regalen zu zeigen. Neben Haushaltsgegenständen und Lebensmitteln verkauft Sara auch Haar-Extensions, Perücken und Kosmetika.
Seit sieben Jahren führt Sara den kleinen Laden zusammen mit ihrem Mann. Im Sortiment stehen hauptsächlich Produkte aus Eritrea und Äthiopien. Eritrea hat sich 1993 von Äthiopien abgespaltet, dennoch verbindet die beiden Länder viele Traditionen. So finden sich in Saras Laden beispielsweise die weissen Kleider, die christlich-orthodoxe und muslimische Personen aus Äthiopien und Eritrea an Feiertagen tragen.
Wer auf der Suche nach traditionellen weissen Gewändern ist, wird bei Sara David fündig.
Tradition spielt im Geschäft eine grosse Rolle. Im Laden finden an Festtagen manchmal traditionelle Kaffee-Zeremonien statt. Dann sitzt eine Frau vor dem goldenen Kaffeetisch, röstet die grünen Bohnen, räuchert den Raum aus und brüht in einer reich verzierten Kanne Kaffee auf. Es ist ein gemeinschaftliches Ritual, bei dem die Teilnehmenden zusammenkommen und reden.
«Schweizer*innen kaufen Dekorationsgegenstände wie Kaffeetassen mit traditionellem Muster.»
Sara David, Inhaberin von Laden für eritreische und äthiopische Produkte
Doch wer kauft hier ein? «Es kommen Personen aus verschiedenen Ländern in unseren Laden. Sie finden hier alle Lebensmittel und andere Dinge, die sie zuhause brauchen», sagt Sara. Manchmal kämen auch Schweizer*innen in den Laden, meist aus Interesse an der Kultur. «Sie kaufen dann Dekorationsgegenstände wie diese Kaffeetassen mit traditionellem Muster.»
Ein traditioneller Picknick-Korb aus Äthiopien.
Zudem findet man überall Gegenstände, die sehr alt aussehen. Hinter der Kasse auf einem Regal steht ein Behälter aus Tierleder. Ich frage Sara, wofür er gebraucht wird. «Das ist wie ein Picknick-Korb», erklärt sie mir, «wenn man mit der Familie oder Freunden draussen essen will, kann man alles hineinpacken.»
Auf der gegenüberliegenden Seite entdecke ich mit Perlen bestickte Wedel aus Pferdehaar. «Diese werden fast nur noch von alten Menschen benutzt. Sie sitzen in ihren langen, weissen Kleidern zuhause und benutzen die Wedel, um Fliegen abzuwehren oder sich abzukühlen», sagt sie und lacht.
«Hier leben viele Menschen aus verschiedenen Kulturen, deshalb haben wir hier mehr Kundschaft.»
Sara David, Inhaberin des Ladens für eritreische und äthiopische Produkte
Dass Saras Laden an der Baselstrasse ist, hat einen praktischen Grund: «Wir waren vorher in Kriens, aber da war es schwierig. Hier leben viele Menschen aus verschiedenen Kulturen, deshalb haben wir hier mehr Kundschaft.» Sie und ihr Mann wohnen in Buchrain. In die Baselstrasse ziehen möchten sie nicht. Das Quartier habe zu viele Probleme.
Neben Lebensmitteln und Haushaltsgegenständen sind bei Sara auch Perücken zu erstehen.
Als eine ältere und eine jüngere Frau den Laden betreten, wechselt Sara ein paar Worte mit ihnen. Später kommt ein junger Mann und kauft einen Sack Injera. Das saure Fladenbrot wird zu vielen Speisen gegessen. Auch ihn scheint sie zu kennen.
Der Untergang der Handwerksbetriebe
Früher fand man in der Baselstrasse viel Handwerk. Die Modernisierung und der Kapitalismus haben die vielen kleinen Buden geschluckt und heute säumen Lebensmittelläden, Barber-Shops und Kebabs die Baselstrasse. Dorothy Northes Laden für Innendekoration und Polsterei am Kreuzstutz-Kreisel ist deshalb wie ein Überbleibsel aus einer vergangenen Zeit.
Dorothy Northes verflechtet hier gerade Pferdehaar zu einem neuen Sitzpolster.
Als ich in den Laden komme, sind Dorothy und ihr Mitarbeiter gerade dabei, neue Sitzkissen für antike Stühle des Komponisten Rachmaninow anzufertigen. Der Auftrag kam vom Kanton Luzern. Andere Aufträge kommen von Museen oder Privatpersonen. Wie kommt man zu solchen Aufträgen? «Das alte Polsterhandwerk ist sehr gefragt und wir arbeiten auf hohem Qualitätsniveau», sagt Dorothy, währenddem sie Rosshaar auseinanderzupft und auf die Sitzfläche des Stuhls legt.
Der Mitarbeiter von Dorothy ist ein Geselle auf Wanderschaft. Auch diese scheint wie ein altes Relikt. «Eines Tages stand er im Laden und hat nach Arbeit gefragt», erzählt sie. Er ergänzt: «Doro sagte, ich solle in ein paar Wochen wiederkommen, weil dann ein grosser Auftrag ansteht.» Seither hilft er im Laden und fühlt sich sehr wohl. Dorothy hat ihm sogar ein Zimmer in einer WG besorgt, denn Geld für Miete ausgeben darf er nicht. So sind die Regeln der Wandergesellen.
«Es sind immer herzliche Begegnungen hier in der Baselstrasse.»
Dorothy, Polsterhandwerkerin beim Kreuzstutzkreisel
Dorothy teilt ihren Laden mit einer gelernten Keramikerin und Fliesenlegerin. Kathrin Gerber verkauft hier Mosaik, Keramik und handbemalte Fliesen. Sie berät ihre Kundschaft im Laden und kommt dann gleich selbst vorbei, um die Fliesen zu verlegen. «Eigentlich würde ich gerne eigene Plättli herstellen, aber ich habe nur beschränkt Zeit», sagt sie.
Kathrin Gerber stellt in der Baselstrasse ihre handbemalten Fliesen zur Schau.
Trotzdem sieht man auch in ihrem Atelier viel Handarbeit. Weil diese ihren Preis hat, können sich die meisten Bewohner*innen der Baselstrasse die Produkte nicht leisten. Dennoch kommen manche im Laden vorbei und informieren sich über Einrichtungsideen. «Es sind immer herzliche Begegnungen hier in der Baselstrasse», sagt Dorothy.
Wo die Schweizerfahnen hängen
Auch die Schweiz ist unter den vielen Nationalitäten in der Baselstrasse zu finden. Zwar spürt man nicht mehr viel von der Vergangenheit der Baselstrasse als Quartier der Arbeiter*innen, doch es gibt noch Orte, an denen sich die alteingesessene, urchig-schweizerische Gesellschaft trifft.
Einer davon ist das Absackerstübli. Diese Spunte würde in Schüpfheim oder Altdorf kaum auffallen, doch in der Baselstrasse scheint sie etwas aus der Zeit gefallen. Schweizerfahnen zieren das Fenster, ein A4-Blatt verkündet den aktuellen Tages-Hit: Rauchwurst und Kartoffelsalat für 14.90 Franken.
Bier, Zigaretten, Fussball und Ländlermusik sind wichtige Stützpfeiler des Absackerstüblis.
Ich bin froh, dass ich eine Freundin dabei habe, denn alleine würde ich mich nicht hineintrauen. Ich erwarte treue Eidgenoss*innen, die glauben, in ihrer Bastion der Überfremdung trotzen zu müssen.
Daniel Kaufmann leitet das Absackerstübli seit neun Monaten zusammen mit Martin Krasniqi, der das Lokal vorher schon geführt hat. «Wir leben hier Stammtischkultur und am Sonntag gibt’s von 11 bis 14 Uhr Musik. Meistens wird Ländler gespielt», sagt er. Dann kommen Gruppen aus dem Umland, einmal gab es sogar ein Alphornkonzert. «Das Alphorn ragte aus der Türe raus auf die Baselstrasse», erinnert sich Daniel lachend.
Etwas Restschweiz in der Baselstrasse: Das Absacker Stübli.
Die Gäste kommen aus Emmenbrücke, Horw und Kriens, aus der ganzen Umgebung. Man kennt sich hier. Die meisten kommen abends. «Wir öffnen eigentlich schon um 9 Uhr, dann bekommen die Arbeiter bei uns einen rechten Fäustel und ein Kafi.» Das Konzept scheint aber nicht mehr auf Anklang zu stossen. «Heute gehen die meisten in die Bäckerei und essen ihr Znüni dann auf der Baustelle. Mal schauen, wie lange wir noch am Morgen offen haben», sagt Daniel.
«Das ist, wie wenn man ein Einfamilienhaus in Kloten kauft und sich über die Flugzeuge aufregt.»
Daniel Kaufmann, Betreiber vom Absackerstübli über Leute, die sich in der Baselstrasse an Ausländer*innen stören
Er selbst wohnt seit 15 Jahren in der Baselstrasse. «Ich hatte nie das Gefühl, dass die Gegend hier unangenehm ist. Ich bin ein Multikulti-Typ, ich gehe auch gerne ins Ausland in die Ferien.» Nur 5 Prozent der Bewohner*innen würden negativ auffallen, alle anderen seien in Ordnung.
Sehen das alle Gäste so? «Nicht alle, aber darüber will ich nicht sprechen», antwortet er. Als ich wissen will, ob er das Quartier als lebenswert empfindet, scheint Daniel meine Vorurteile zu bemerken, denn er antwortet sehr spezifisch: «Wenn man Probleme mit Ausländern hat, ist man hier am falschen Ort. Das ist, wie wenn man ein Einfamilienhaus in Kloten kauft und sich über die Flugzeuge aufregt.»
Nirgends fühlt sich Luzern grossstädtischer an als in der Baselstrasse. Sie ist die Welt im kleinen mit all ihren guten und schlechten Seiten. Mit vielen Takeaways, Bars und Clubs, die bis spät in die Nacht geöffnet haben, bildet sie die Schnelllebigkeit unserer Gesellschaft ab. Gleichzeitig ist sie ein Ort der Beständigkeit, an dem auch Leute ihr Feierabendbier oder Frühschoppen trinken, die schon da waren, bevor die Strasse zum Schmelztiegel der Kulturen wurde. Die Baselstrasse ist eine Fundgrube an endlosen Neuentdeckungen. Und dennoch gibt es unzählige, unerforschte Ecken. Denn, um sie so richtig kennen zu lernen, ist ihr Wandel zu schnell. Dennoch durchqueren wir sie im Rahmen einer vierteiligen Reportagenserie, um eine zeitnahe Bestandsaufnahme zu erhalten. 1. Teil: Wohnen in der Baselstrasse |