M$G im Interview
Das Willisauer Duo M$G veröffentlicht sein erstes Album. Wir haben mit Ramon und Jodok über Zärtlichkeit, Konsumrausch und Verachtung aus der Rapszene gesprochen.
Martin Erdmann — 12/13/23, 10:03 AM
Jodok Achermann (vorn) und Ramon Juchli haben vor sieben Jahren in Willisau M$G gegründet. Nun erscheint ihr erstes Album. (Foto: Sarina Böhler)
Videoclips, Single-Releases und jetzt ein ganzes Album. M$G scheint es plötzlich ernst zu meinen. Woher kommen diese Ambitionen?
Ramon Juchli: Die sind nicht einfach plötzlich entstanden. Am Album arbeiten wir schon über zwei Jahre und es hätte eigentlich Ende 2022 herauskommen sollen. Zum Glück haben wir das nie so kommuniziert. Schlussendlich sind im Verlauf von 2023 auch noch neue Songs hinzugekommen.
Jodok Achermann: Tatsächlich scheint nun aber alles aus dem Nichts zu kommen. Ganz falsch ist das nicht. Einer der Videoclips habe ich erst in der Nacht vor der Veröffentlichung fertig geschnitten.
Ein ganzes Album entspricht nicht unbedingt dem Arbeitsethos, den M$G bisher an den Tag gelegt hat. Wieso habt ihr diesen Aufwand auf euch genommen?
Ramon: Die meisten Tracks, die wir live spielten, gab es bis jetzt nirgends zu hören. Das fanden wir immer etwas unbefriedigend. Gerade auch für Leute, die uns buchen wollen.
Jodok: Dieses Album ist eigentlich eine Notwendigkeit gewesen.
Zudem habt ihr vor ein paar Wochen all eure bisherigen Tracks gelöscht. Was hat es damit auf sich?
Jodok: Die Songs waren alle mindestens sechs Jahre alt und entsprechen längst nicht mehr unseren Wertvorstellungen. Damals fanden wir Cloud-Rap-Dudes lustig und haben deren Songinhalte stark kopiert – inklusive Sexismus, Gewaltverherrlichungen und Lebensrealitäten, die mit uns nichts zu tun haben. Das haben wir in unserem spätpubertären Alter mit Ironie gerechtfertigt.
Ramon: Leider haben die Songs über die Jahre ein etwas zu grosses Publikum erreicht.
Was heisst das?
Jodok: Plötzlich erzählten mir 16-jährige Kids, dass sie unser Mixtape die ganze Zeit im Klassenlager gehört haben und jede Line auswendig können. Das ist voll nicht geil.
Ramon: Es ist ja nicht so, dass die Tracks schlecht gealtert sind. Die waren von Anfang an schon schlecht. Uns wurde das bereits dann schon von unseren Freund:innen gesagt. Aber wir waren damals noch nicht reflektiert genug, um das anzunehmen. Heute wollen wir nicht, dass diese Tracks für M$G stehen.
Tracks des Albums tauchen plötzlich in SRF-Hip-Hop-Sendungen auf und landen auf bekannten Rap-Playlists. Dazu gibt es jedoch auch Kommentare wie diesen zu lesen: «Auge brenned, d'Ohre blüeted und s'Rapper Herz chotzed.» Wie geht ihr damit um?
Ramon: Es hat mich wirklich erstaunt, wie viele Hip-Hop-Traditionalisten es noch gibt, die sich von uns triggern lassen. Gerade, weil Rap in den letzten Jahren eine deutlich offenere Richtung eingeschlagen hat.
Jodok: Ich finde solche Kommentare in erster Linie lustig. Dennoch frage ich mich, ob ich mich in diesem Rap-Ding zuhause fühle und in solchen Hip-Hop-Formaten gesehen werden möchte. Es ist schade, dass es immer noch eine Real-Keeper-Garde gibt, der wir zu wenig zugänglich sind, damit sie sich auf uns einlassen könnten. Schliesslich ist es mir ein Anliegen, mit unseren Texten Dinge anzusprechen und andere Rollen aufzuzeigen. Gerade auch für Dudes, die rappen. Deshalb sind wir in anderen Bubbles mehr Zuhause als in der Schweizer Rap-Blase.
«Ich glaube nicht, dass unsere Texte mega schwierig zu verstehen sind.»
Ramon Juchli, M$G
Wie sieht denn eure Bubble aus?
Jodok: In Willisau gehörten wir zu den linken Fötzeln. Unsere Bubble hat eine klare linke Haltung und eine ähnliche Einstellung, wenn es um Gerechtigkeits-, Gender-, oder Kulturfragen geht. Wahrscheinlich bewegen wir uns auch in der höheren Bildungsschicht.
Ramon: Genau, bei vielen liegt wohl auch die WOZ in der Stube rum.
Jodok: Ich meine Leute, die das Privileg haben, sich mit solchen Themen auseinanderzusetzen. Wer das nicht hat, für den sind wir vielleicht nicht besonders zugänglich, weil die genannten Themen in unserer Bubble eben stark vertreten sind.
Ramon: Dieses Gefühl habe ich nicht. Ich glaube nicht, dass unsere Texte mega schwierig zu verstehen sind.
Jodok: Vielleicht geht es mehr um den Diskurs darüber, der eben eher in der linken Bubble stattfindet.
M$G ist schon auf Bühnen in der ganzen Schweiz aufgetreten. (Foto: Dominik Wunderli)
Ihr brecht mit gängigen Rollenbildern, arbeitet viel mit Ironie, glorifiziert die Trashigkeit. Alles Dinge, die in eurer Bubble gut ankommen. Wie fest fühlt ihr euch gewissen Erwartungen verpflichtet?
Ramon: Es gibt bestimmt Erwartungen an uns. Diese wollen wir aber auch erfüllen. Zum Beispiel, dass wir keine Sexismen mehr brauchen. Ich habe aber nicht das Gefühl, wir müssen in unseren Texten linke Themen abhaken. Es sind wohl sogar eher die unerwarteten Dinge, die auf Anklang stossen. Lieder über die S-Bahn oder Delfine. Die Leute fragen sich: Warum machen sie das?
Jodok: Vielleicht ist es noch zu früh für diese Frage. Wenn wir durch das Album bekannter werden würden, könnte wohl schon eine Erwartungshaltung entstehen. Die Leute würden weiterhin auf diese Mischung aus linken Themen und trashiger Ästhetik hoffen. Vielleicht machen wir künftig aber auch einfach cleane, poppige Tracks. Ich hätte da Bock drauf.
«Zärtlichkeit hilft mir dabei, mich in dieser Kunstform wohl zu fühlen.»
Jodok Achermann, M$G
Apropos Ästhetik: Bei euren Konzerten und in Videoclips könnt ihr kaum die Finger voneinander lassen. Geht es dabei darum, eure Gefühle auszudrücken oder wollt ihr bloss die maskuline Rapszene triggern?
Jodok: Es geht eher darum, Männlichkeitsbilder aufzuweichen und Zärtlichkeit zuzulassen. Wir sind uns gerne nahe. Besonders bei Konzerten. Das tut extrem gut.
Ramon: Es gibt einem extrem viel Sicherheit, der Person nahezustehen, mit der man die Bühne teilt. Diese Nähe und Weichheit ist uns mega gelegen, um das Konzert besser machen zu können. Dadurch hat es sich auch in den Videoclips niedergeschlagen, dass wir uns körperlich begegnen, wenn wir in unserer M$G-Rolle sind.
Jodok: Mir hilft das, um mit diesem Medium Rap klarzukommen. Vieles an der Repräsentation davon finde ich schwierig, gerade wenn nur Männer auf der Bühne stehen. Es geht darum, krasse Lines zu spitten und mega hart und laut zu sein. Diese Zärtlichkeit hilft mir dabei, mich in dieser Kunstform wohl zu fühlen.
Ihr kennt euch vom Theater. Wie viel Schauspielerei steckt denn in M$G?
Jodok: Früher waren wir noch deutlicher in einer Rolle und hatten sogar Rappernamen. Ramon war Fendi Flipper und ich war Mittelscheitel Rolex Boy. Als wir vor zwei Jahren wieder angefangen haben, Musik zu machen, verschwanden diese aber diskussionslos. Heute sind wir einfach Jodok und Ramon.
Ramon: Wir kehren zwar nicht unser Innerstes ungefiltert nach aussen, aber wollen Themen behandeln, die uns beschäftigen.
Das bringt uns gleich zu einer Boomerfrage: In euren Texten geht es darum, dass ihr eure Ruhe haben, die Arbeit herausschieben und euch auf nichts festlegen wollt. Inwiefern seht ihr euch als personifiziertes Klischee der Generation Z?
Jodok: Das sind sicher Dinge, die mein Umfeld beschäftigt. Leute überarbeiten sich konstant und lernen jetzt langsam, auch einmal Nein zu sagen und Zeit für sich zu nehmen.
Ramon: Die junge Generation wird häufig gebasht, weil sie angeblich nicht arbeiten will. Dass wir uns mit solchen Themen beschäftigen, entspringt jedoch gerade dem Gefühl, dass wir konstant zu viel machen oder zu fest beansprucht werden. Es ist aber auch ein Thema, das weit über unsere Generation hinausgeht. Die Burnout-Welle hat ja die Generation unserer Eltern zuerst getroffen. Wir ziehen nun eben gewisse Schlüsse daraus.
Jodok: Da bilden wir wieder eine Gegenthese zu vielen anderen Rap-Dudes: Sie glorifizieren ihren Hustle und sind emotional nicht verfügbar. Das wollen wir nicht reproduzieren. Auch ich schlafe zu wenig, aber das finde ich scheisse und will lieber ein Bild davon zeigen, wo ich hin will und wie schwierig es mir fällt, dorthin zu kommen.
Mit «Ikea Anthem» habt ihr eine hymnenhafte Konsumkritik verfasst. Woher stammen die Einrichtungsgegenstände in euren Wohnungen?
Ramon: Wir sitzen ja gerade in meiner Wohnung. Mein Mitbewohner und ich waren tatsächlich auch im Ikea. Wir haben aber keine Möbel, sondern eher so Küchenutensilien gekauft. Sonst kommen die Sachen aus der Wohnung unserer Eltern, aus früheren WGs oder Kolleg:innen.
Jodok: Bei mir sind es Brockis, unkommerzielle Marktplätze und manches habe ich auf der Strasse gefunden. Ich war wirklich schon sehr lange nicht mehr im Ikea. Der Song ist also legitim.
In welchen Situationen werdet ihr doch noch zu wehrlosen Konsumopfern?
Jodok: Seit wir Konzerte spielen, gebe ich vermehrt Geld für Kleider aus. Ich habe mir kürzlich bei einem bekannten Online-Händler neue Schuhe gekauft. Zur Rechtfertigung: Die hat es nur dort gegeben. So Crocs mit Absätzen und Plüschfutter.
Ramon: Ich kaufe nur noch auf Ricardo. Da kann man die Sachen aber nicht zurückschicken, wenn sie nicht passen. Ich habe jetzt ein Paar zu kleine Adidasschuhe, scheisse!
Bei M$G dient Ironie teils auch als Selbstschutz. (Foto: Sarina Böhler)
Ihr fördert den Konsum aber auch aktiv, indem ihr Merch verkauft. Zum Beispiel einen Nagelknipser. Wie sieht denn der M$G-Fanartikel eurer Träume aus?
Jodok: Ich würde einen Butt-Plug immer noch am geilsten finden. Den haben wir eigentlich schon fertig konzeptioniert gehabt. Es wäre eine Spezialanfertigung mit unseren Gesichtern drauf gewesen. Er hätte aber extra gegossen werden müssen und hätte entsprechend viel gekostet.
Ramon: Geil fände ich auch eine Kafi-Träsch-Tasse mit unserem Schriftzug drauf oder eine Kollaboration mit Lego. Bausätze, um Willisau nachzubauen, wo wir auf der Bühne stehen. Das hätte auch crazy Willisau-Bezug. Früher stand die Legofabrik fast direkt neben dem Zeughaus, wo wir unseren ersten Gig gespielt haben.
Was sind die grössten Vorurteile über Willisau?
Ramon: Willisau wird immer etwas ländlicher dargestellt, als es wirklich ist. Gleichzeitig gibt es auch ein Bild einer Willisauer Szene: Dans la Tente, Film 2, das Jazz Festival oder eben uns. Da haben viele plötzlich das Gefühl, Willisau sei eine alternative Hochburg. Das stimmt aber auch nicht.
Ist der Willisauer Dialekt eine gute Ausgangslage, um Mundartmusik zu machen?
Ramon: Du wirst damit sicher nicht so in eine Schublade gesteckt, wie wenn du aus der Ostschweiz kommst.
Jodok: Vielleicht ist er auch ein Pluspunkt, weil es keinen anderen Act gibt, der in diesem Dialekt Lieder singt.
Das erste M$G-Album «Massage» erschien am 13. Dezember und wird am 27. Januar im Zeughaus in Willisau getauft. Unser Portrait über das Duo findest du hier.