Blockflöte und harte Bässe
M$G lässt sich mit keiner anderen Luzerner Musikgruppe vergleichen. Ist das ein gutes Zeichen? Wir haben das Duo im Proberaum besucht.
Martin Erdmann — 12/15/21, 12:41 PM
Ramon Juchli (links) und Jodok Achermann sehen sich als Aussenseiter der lokalen Rapszene. (Foto: Cassandra Schurtenberger)
Sie sind Rapper, die keine sein wollen. Spassvögel mit dem Wunsch ernst genommen zu werden. Dilettanten mit Ambitionen: Wer M$G verstehen will, muss sich auf Gegensätze einlassen können.
Früher haben sich hier die Viscose-Mitarbeitenden umgezogen. Heute ist der Kellerraum auf dem ehemaligen Fabrikgelände in Emmenbrücke das Hauptquartier von M$G. Es ist später Sonntagnachmittag, Ramon Juchli und Jodok Achermann sitzen an einem Holztisch. Vor ihnen stehen Laptop, Midi-Keyboards, allerlei Flöten und ein Einmachglas als Aschenbecher, das bis zum Rand mit Stummeln selbstgedrehter Zigaretten gefüllt ist.
Die Luft scheint raus zu sein. Seit dem Nachmittag schraubt das Duo an neuen Beats, nur um sie kurz darauf wieder zu löschen. «Wir sind gerade etwas am versanden», sagt Jodok. Es ist ein Zustand, der zum Duo aus Willisau passt. Immer wenn es wieder einmal aus dem Nichts auf dem Radar der Luzerner Musiklandschaft auftaucht, verschwindet es kurz darauf wieder.
In der «spätpubertierenden Phase»
Wieso also dieser Text über eine Gruppe, die bisher nichts abgeliefert hat, ausser ein paar in die Jahre gekommene Tracks auf Soundcloud und einer Handvoll Konzerte? Die Antwort darauf ist etwas diffus und hat unweigerlich mit Willisau zu tun. Hier haben sich Ramon und Jodok 2016 im ortsansässigen Jugendtheater kennengelernt. Es war die Zeit, als plumper Trap den Weg auf die Handys der Jugend und in die Herzen von Ramon und Jodok fand.
Mehr aus Jux bastelten sie sechs Tracks, um diese nach der letzten Theateraufführung zu performen. Tracks über die Vorteile, eine Rolex zu tragen, die Details diverser Drogendeals oder die Wichtigkeit von Luxusmarken. Immer etwas trashig, immer mit Augenzwinkern, aber auch mit einer naiven Faszination für eine Welt, die von Willisau kaum weiter entfernt sein könnte. Rückblickend bezeichnen sie das Projekt als Teil einer «spätpubertierenden Phase». Das hielt sie jedoch nicht davon ab, es im Jahr darauf zu wiederholen.
Luxusuhren für die White Boys
Heute sind sie von ihrem damaligen Output beschämt. Man habe völlig unreflektiert die im Trap typischen Klischees reproduziert. «Sexistische Sprache, Texte über Waffen und Luxusuhren. Das finde ich heute problematisch», sagt Jodok. Ramon sieht das gleich. «Wir dachten, das sei nicht so schlimm, weil wir uns gewissermassen darüber lustig machten.»
«Ich habe mir mit 16 zwei gefälschte Rolex gekauft und fand das geil.»
Jodok Achermann, M$G
Es war ein Spass mit einem Spürchen Ernst. «Ich habe mir mit 16 zwei gefälschte Rolex gekauft und fand das geil», sagt Jodok. Die Abkupferung einer gewissen Ghetto-Romantik haben sie inzwischen eingestellt. «Wir sind doch bloss zwei White Boys aus gut behüteten Verhältnissen.» Ein Umstand, der sie auch heute mit ihrem musikalischen Schaffen hadern lässt. Es gebe schliesslich mehr als genug weisse Cis-Dudes, die irgendwelchen Scheiss rappen. «Ich habe schon das starke Bedürfnis, nicht zu denen zu gehören», sagt Jodok.
Angst vor dem Scheitern
Inzwischen hat M$G textliche Ambitionen entwickelt. In den neuesten Tracks wird gegen den Luzerner Regierungsrat ausgeteilt, das Konsumverhalten von Ikeakund*innen getadelt, oder über die körperlichen Strapazen einer Clubnacht berichtet. Genretypisches Rollenverhalten ist einer Mischung aus Gesellschaftskritik und Hedonismus gewichen.
Doch wie schwierig ist es, den textlichen Ansprüchen gerecht zu werden, wenn man sich zuvor jahrelang bloss an Klischees abgearbeitet hatte? «Das Texteschreiben ist viel mühsamer geworden. Es ist schwierig, den Spassfaktor nicht zu verlieren», sagt Ramon. Dieser wird bei M$G quasi als Pflichtstoff gehandelt. «Wir werden nie zuhause hocken und ultrapersönliche Texte schreiben.» Was zu ernst oder zu bemüht wirken könnte, wird wieder verworfen. «Ich schrieb einmal eine Strophe über Elon Musk und Finanzwirtschaft. Das war viel zu aufgesetzt», sagt Ramon.
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Mit der Annäherung an Themen, die aus der eigenen Lebensrealität stammen, hat sich jedoch ein völlig neues Problem ergeben. «Die Angst vor dem Scheitern ist plötzlich grösser», sagt Jodok. Früher sei es ihm egal gewesen, wenn jemand ihre Musik schlecht fand. «Aber jetzt, da wir über Dinge rappen, die tatsächlich etwas mit uns zu tun haben, macht uns das verletzlicher.»
Nervtötende Blockflöten
Inzwischen schweben Rauchschwaden durch den Proberaum und Jodok zeigt seine Blockflöte. Sie ist längst zum musikalischen Markenzeichen von M$G geworden und ist als Statement für den Dilettantismus zu verstehen. «Der Sound ist plump und nervt richtig», sagt Jodok, der seine erste Blockflöte für zwei Euro auf einem Flohmarkt während einer Veloreise durch Europa gekauft hat. Während Synthesizer schier unbegrenzte Möglichkeiten bieten, schätzt er die Begrenztheit des klassischen Primaschule-Instruments. «Ich finde die Soundästhetik zwischen harten Bässen und kreischender Blockflöte richtig geil.»
«Wir machen Trap aus der Grossstadt, aber reden über Willisau.»
Ramon Juchli, M$G
Es ist wieder einer dieser Gegensätze, die M$G ausmacht und den Kreis zu Willisau schliesst – dem Ort, wo alles begann und der regelmässige Erwähnung in den Tracks findet. «Wir machen Trap aus der Grossstadt, aber reden über Willisau. Das hat vor uns niemand gemacht», sagt Ramon. Jodok ergänzt: «Es macht Spass, über Dinge zu rappen, die sonst nirgends abgefeiert werden. Zum Beispiel dörfliche Orte wie die Adlerbar.» Er sagt das frei von Ironie. Bei der luzernischen Kleinstadt scheint für M$G der Spass aufzuhören. «Willisau ist in unseren Herzen.»
Nächster Gig: Silvester Party im Bourbaki.