Erfahrungsbericht
Unser Satireleiter Ronnie Zumbühl war noch nie an einer Session des Luzerner Kantonsrats. Das holte er diese Woche nach – und protokollierte das Wichtigste.
Ronnie Zumbühl — 06/23/22, 06:00 AM
Blurry Blick aus dem Gästesektor.
Es ist wahr: Ich habe es noch nie geschafft, dem Luzerner Kantonsparlament eine Audienz zu schenken, obwohl ich fünf Jahre lang als Journalist im Kanton gearbeitet habe. Peinlich. Noch peinlicher, dass ich jetzt, da ich dieses Vorhaben mal umsetze, auch noch zu spät dran bin. Ich stelle mich auf argwöhnische Blicke von der Regierung und weiteren Journalist*innen ein, weil ich ihre Stammbeiz betrete.
Erst muss ich aber einem Polizisten meine ID abgeben, damit ich einen Gästepass erhalte und auf die Tribüne kann.
Und nun, einfach nichts. Die Regierung würdigt mich keines Blickes. Und die anderen Journis vergraben sich schon streberhaft in den Dossiers. Also setzte ich mich lieber etwas entfernt in den Gästesektor. Hier sehe ich direkt auf die fünf Regierungsräte und den rechten, bürgerlichen Sektor des Parlaments. Ich beginne zu protokollieren.
8:51 Regierungsrat Guido Graf (Mitte) trinkt einen Schluck Wasser.
8:52 Das Parlament debattiert mit der Regierung über den Personalengpass bei der Luzerner Polizei über den Sommer. Regierungsrat Paul Winiker (SVP) sagt: «Das Luzerner Stadtfest wird eine rechte Übung werden.» Spricht er von Nazis? Keine Ahnung, niemand übersetzt hier.
8:56 Jetzt nimmt auch Paul Winiker einen Schluck Wasser.
9:05 Ein Parlamentarier mit gegeltem Haaren kommt mit einem Espresso aus einer Hintertür. Ist das der Backstage?
9:06 Ah wow, das ist ja Regierungsrat Marcel Schwerzmann! Was ist sein Anti-Aging-Rezept?
9:09 Schichtwechsel bei der anwesenden Polizei. Ein Polizist geht, eine Polizistin kommt. Ich beobachte wie ein Radioreporter die Polizistin ausfragt. Wahrscheinlich fragt er sie, was die Polizeiposten-Debatte mit ihr mache, oder so. Sie drückt ihm nicht die Knarre an den Kopf, sondern wimmelt ihn einfach mit einem beschämten Lächeln ab.
9:11 Regierungsrat Reto Wyss (Mitte) nimmt behutsam sein Netzwerkkabel hervor, sucht Anfang und Ende und schliesst seinen Laptop an.
9:18 Ein bürgerlicher Kantonsrat tippt emsig im Zweifingersystem. Seine anderen acht Finger wurden wohl wegrationalisiert.
9:25 Mir fällt auf: Die Luzerner Regierung ist gespalten. Zwei tragen weisse Langarmhemden, zwei kurzärmelige, weisse Hemden. Reto Wyss hat noch sein Sakko an. So undivers ist die Luzerner Regierung gar nicht, wie alle immer sagen.
9:33 Es ist Zeit für Metaphern und Allegorien: «Schiffbruch erleiden», «Hafen einlaufen». Irgendwas mit «Amuse Bouche» und Tellern. Zu viele Bilder für meinen Kopf und zu viele Essensassoziationen für meinen leeren Magen. Apropos Bilder: Das gelbe, grelle, grosse Wandbild im Kantonsratssaal ist wirklich sehr gelb, grell und gross.
Das gelbe, grelle, grosse Wandbild im Kantonsratssaal ist wirklich sehr gelb, grell und gross.
9:34 Guido Graf bestellt bei der Assistentin noch ein Fläschli Knutwiler. Gönnt sich heute.
9:41 Was macht eigentlich Regierungsrat Fabian Peter (FDP)?
9:44 Ich erkenne keine Tätigkeit bis jetzt.
9:45 Mittlerweile debattieren sie über die unzumutbare Unterbringung von Geflüchteten in unterirdischen Zivilschutzanlagen. Ein Vorstoss von Linken. Aber auch eine SVPlerin findet das nicht optimal – für sie. Auch «wir» seien schliesslich auf diese Anlagen angewiesen, wenn hier etwas passiere.
9:47 Immer mehr Parlamentarier*innen verschwinden im Backstage. Leider quitscht die Türe nicht, das wäre lustig, denke ich mir. Was dort hinten neben «Chnuteler» wohl alles konsumiert wird?
9:50 Jetzt geht es um den Umgang mit verhaltensauffälligen Schüler*innen. Da haben sehr viele was zu sagen.
9:51 Der TV-Reporter gähnt.
9:55 Es ist so weit: Reto Wyss zieht sein Sakko aus. Ein weisses Langarmhemd tritt zum Vorschein. Es steht 3:2 für die Langarmhemdler in der Regierung.
10:00 Die Diskussion dreht sich nun um die Asylsozialhilfe. Die Vorstösserin aus der SP-Fraktion verspricht sich: «Asozialhilfe».
10:11 Guido Graf antwortet auf unterschiedliche Voten aus dem Parlament: «Irgendwie haben sie ja alle bisschen recht.»
10:12 Die vereinenden Worte nehme ich mit auf den Weg, um den Backstage zu suchen.
15:23 Ich suche noch immer.