Besetzung im Bruchquartier
In der Luzerner Bruchstrasse wurde kürzlich ein Haus besetzt. Hinter der Besetzung steht das Kollektiv Bruchscetta. Wir haben dieses zum Interview getroffen.
Lisa Kwasny — 07/03/22, 09:08 PM
Das Kollektiv Bruchscetta ist erst gerade in die Bruchstrasse gezogen - auf illegalem Weg. (Foto: zvg)
Seit Dienstag hat Luzern eine neue Hausbesetzung. Die Fassade an der Bruchstrasse 64 ziert ein grosses Banner. «Umbruch im Bruchquartier. Die Häuser denen, die sie beleben» steht drauf. Weiter unten ist auf einem kleineren Stück Stoff «Besetzt» zu lesen. Die Fenster sind mit Papier verklebt, an der Tür hängt eine Infotafel. Daneben baumelt ein Einkaufskorb, wer will, kann hier Essen oder kleine Geschenke reinlegen.
Das Fenster im Erdgeschoss öffnet sich und heraus schaut ein Kopf mit paillettenverzierter Strumpfmaske. Nach 2,5 Jahren Leerstand ist das Haus also tatsächlich wieder bewohnt. Kultz hat die Besetzer*innen vom Kollektiv Bruchscetta zum Interview getroffen.
Illegal, aber notwendig. So zumindest begründet das Besetzungskollektiv ihre Aktivitäten.
In eurem Communiqué, das ihr in den sozialen Medien geteilt habt, schreibt ihr, dass das Haus zum Leben, Arbeiten und Wohnen benutzten wollt. Wie sehen eure konkreten Pläne aus?
Bruchscetta: Gerade jetzt, wo wir im Haus sind und die Räume sehen, gibt es viele konkrete Ideen. Zum Beispiel ein offenes Kaffee, ein Sitzungszimmer, Werkstätten oder eben Wohnraum. Unser Wunsch ist aber vor allem, dass die zukünftigen Nutzer*innen des Hauses die Ideen mitentwickeln können. Es stellen sich Fragen wie: Wer hat keinen Zugang zum städtischen Raum? Wie können die einbezogen werden?
Welche Menschen haben denn keinen Zugang zum städtischen Raum?
Menschen in Asylunterkünften oder Notunterkünften und Menschen, die es sich nicht leisten können, in der Stadt zu wohnen.
Viele Menschen können oder wollen aber nicht in einer Besetzung wohnen. Zum Beispiel eine Familie mit Kindern, im schlimmsten Fall durch einen abgewiesenen Asylantrag kriminalisiert. Was ist mit denen?
Das Haus hat viel Platz, aber natürlich können wir nie für alle den richtigen Platz bieten. Wichtig ist uns, dass wir eine öffentliche Diskussion anregen. Die Besetzung in Verantwortung zu ziehen, wenn sie nicht alle sozialen Probleme lösen kann, ist absurd. Diese Besetzung ist ein Statement gegen Spekulation und Verdrängung. Wenn wir zu einem späteren Zeitpunkt andere Kollektive einladen können, werden sich hoffentlich noch mehr Kräfte entfalten. Aber wir können das nicht allein tragen.
Das Haus in der Bruchstrasse gehört der Corgi Real Estate AG.
Das Haus gehört der Corgi Real Estate AG. Ihr Präsident Fritz Burkard gehört zu den 60 reichsten Familien in der Schweiz. Was für ein Gefühl hegt ihr gegenüber einem Menschen wie ihm?
Viele verschiedene Gefühle. Wir haben kein Verständnis für das Horten von Reichtum und eine mangelnde Vorstellung davon, was diese Person denkt und fühlt, wie sie Entscheidungen trifft. Und die Macht, die dieser Person durch Kapital zur Verfügung steht, ist absurd. Aber wir stellen uns auch viele Fragen: Wie verantwortet sie auf sozialer Ebene, wie sie mit ihrem Reichtum umgeht? Inwiefern fühlt sie sich verantwortlich gegenüber ihrem Umfeld oder ihren Mitmenschen? Aber vielleicht findet die Person es auch spannend, was in ihrem Haus jetzt passiert. Vielleicht wurde sie noch nie zu diesem Denkprozess angeregt und ist bereit, sich kritisch mit unseren Fragen auseinanderzusetzen.
Burkard hat bis jetzt noch keine Anzeige erstattet. Habt ihr eine Vermutung, wieso?
Wir haben uns das auch schon gefragt und manchmal lachen wir darüber. Vielleicht hat er schon so viel Besitz, dass er die Übersicht verloren hat. Er denkt sich: «Ah, stimmt, in Luzern habe ich auch noch ein Haus. Dort gibt’s jetzt eine Besetzung? Aber das Haus ist doch desolat!» (lachen).
«Wir finden es kriminell, mit Mieten krasse Renditen zu machen.»
Kollektiv Bruchscetta
Dieter Haller, Präsident der SVP Stadt Luzern hat zu Tele1 gesagt, dass ihr nichts mehr als Kriminelle seid. Was sagt ihr dazu?
Das ist eine sehr einfache Position, ohne grössere Reflexion darüber, wo genau das Unrecht passiert. Bei einer Besetzung wird aufs Gesetz gepocht und gesagt: «Das darf man nicht». Aber auf Gesetze, die zum Beispiel Mietende schützen, wird nicht gepocht.
Findet ihr, ihr seid kriminell?
Es ist illegal, was wir hier tun. Aber wir finden es auch kriminell, mit Mieten krasse Renditen zu machen. Es wäre gesetzlich reguliert, wie hoch die Rendite aus Mieteinkünften sein darf. Das wird nicht geahndet. Wir finden es wichtig, ein illegitimes Gesetz zu brechen. Es gibt so viel spannendere, ungehörtere und wichtigere Kritik. Um manche Veränderungen hin zu einer gerechteren Gesellschaft voran zu treiben, braucht es mehr als ein nettes Um-Erlaubnis-Bitten.
Küche für alle: Das Besetzungkollektiv integriert sich in die Nachbarschaft.
Eine Hausbesetzung braucht anfangs viele Ressourcen. Ihr bleibt jetzt Tag und Nacht im Haus, bis sich die Lage beruhigt hat und braucht natürlich Essen und alltägliche Dinge. Habt ihr so viel Wohlstand, euch das leisten zu können?
Wir sind uns bewusst, dass es zeitliche und finanzielle Ressourcen dafür braucht. Wir sind privilegiert, dass wir uns diesen Risiken aussetzen können, ohne unsere Existenz zu gefährden. Es wäre aber auch niemandem von uns möglich, das individuell zu tragen. Wir haben ein grosses Netzwerk und erhalten viel Unterstützung von aussen. Zudem unterstützen wir uns gegenseitig. Aber wir sind weder reich noch mächtig. Wir haben einfach genug Privilegien, uns zu wehren.
Ihr fordert unter anderem ein «Recht auf Stadt» und «Wohnen als Grundrecht». Wie können diese Forderungen politisch umgesetzt werden?
Wir betreiben keine Parteipolitik, sondern sind eher für die ausserparlamentarischen Direktaktionen zuständig. Aber wir finden, es braucht auf jeden Fall mehr Regulation. Das Gesetz vom Mieter*innenverband für eine Maximalrendite von Wohnraum muss durchgesetzt werden. Es braucht eine Quote für einen selbstverwalteten Wohnraum oder einen Mieterlass für Non-profit-Projekte. Allgemein braucht es mehr städtische Liegenschaften für Projekte. Wohnen als Grundrecht bedeutet auch menschenwürdiges Wohnen. Asyllager und Notunterkünfte sind nicht menschenwürdig. Parteipolitisch passieren so kleine Schritte, während Menschen leiden. Deshalb machen wir ausserparlamentarische Aktionen.
Ist das Ziel von ausserparlamentarischem Aktivismus nicht auch eine Veränderung des Systems auf gesetzliches Ebene?
Das ist die langwierige Diskussion über Reformismus und Revolution. Wir haben auch verschiedene Meinungen dazu und es gibt bei uns keine abschliessende Antwort darauf. Aber auf jeden Fall muss das eine das andere nicht unbedingt ausschliessen. Reformistische Parteipolitik kann sich zum Beispiel hinter revolutionäre Ansätze stellen.
Das Kollektiv Bruchscetta tritt nur anonym in den Medien auf. (Foto: zvg)
Was sollte man eurer Meinung nach mit einem Menschen machen, der zu viele Liegenschaften besitzt? Sie ihm einfach wegnehmen? Wer nimmt sie weg? Und was, wenn zum Beispiel ich ein Haus erbe?
Es ist lustig, dass der Begriff «wegnehmen» bei den Menschen so viel auslöst. Dahinter steckt die Überzeugung, dass ich mir ein würdiges Leben leisten kann, wenn ich nur genug arbeite. Aber vielen Menschen wird gleichzeitig ihre Würde abgesprochen, weil sie kein Papier haben. Sie dürfen nicht arbeiten und nicht wählen, wo sie wohnen. Das ist empörend! Mit Liegenschaften sollte kein Profit erwirtschaftet werden. Dass Instandsetzung und Verwaltung kostet ist klar, aber warum sollte eine Person, die nichts dafür tut, daran verdienen? Zudem sollte ein Haus, dass längere Zeit leer steht, annektiert werden dürfen. Es kann nicht sein, dass jemand mitten in der Stadt Raum konservieren darf, weil es für sie finanziell keine Rolle spielt, während andere Menschen dringend Raum benötigen.
Die Behörden reagieren auf Leerstand, indem sie Zwischennutzungen erleichtern. Das wiederum wird von der Hausbesetzer*innen-Szene kritisiert, weil so ein griffiges Argument gegen illegale Besetzungen geschaffen wurde. Wie steht ihr dazu?
Das Bedürfnis nach selbstverwaltetem Raum geht bei Zwischennutzungen oft unter. Zwischennutzungsbüros liegen teilweise in einer anderen Stadt, haben strenge Auflagen und werden dann auch noch krass dafür bezahlt, einfach da zu sein. Da entstand wieder ein Markt. Dadurch wird denen, die Ideen für ein Projekt hätten, die Entscheidungsmacht entzogen. Diese Prozesse schliessen auch bestimmte Menschen von vornhinein aus. Und die Verträge in Zwischennutzungen sind auch oft ganz schlimm, sie schützen die Mieter*innen überhaupt nicht.
Also seht ihr illegale Besetzungen als möglichen Handlungsspielraum?
Ja, auch deshalb haben wir dieses Haus besetzt. Hier können wir neue Ideen ausprobieren und wieder verwerfen. Es ist ein organisches Wachstum, Zweifel sind berechtigt, wir haben Raum zum Scheitern. Das hat in Zwischennutzungen und verwalteten bürokratischen Räumen keinen Platz.
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