Fertig Alkohol
Unser Geschäftsleiter Heinrich Weingartner war lange Rauschtrinker. Er wollte vergessen: Sorgen, Probleme, Gefühle. Wieso das nicht geklappt hat.
Heinrich Weingartner — 01/31/22, 10:07 AM
Als Heinrich Weingartner noch trank, leistete er sich regelmässig Entgleisungen.
Hast du gehört, wie der Heiri sich wieder benommen hat? Heiri war am meisten betrunken von allen. Heiri hat ein Blackout, er weiss nicht mehr, dass er gestern einen Hund geklaut hat. Es gibt Menschen, die fühlen sich cool, wenn so über sie gesprochen wird. Ich wollte mich immer in Grund und Boden schämen. Dieses Ferkel, das Menschen bedrängt, betrügt, sich regelmässig selbst gefährdet und nicht mal mehr weiss, dass er das alles gemacht hat – das bin ich?
Es gab Phasen in meinem Leben, da hatte ich jede Woche am Donnerstag-, Freitag- und Samstagabend einen Filmriss. Zwei bis drei Stunden des Abends, meistens der Schluss, war komplett weg. Meine Freunde haben mir jeweils nicht geglaubt, dass so etwas wie ein Filmriss überhaupt möglich ist. Und ich habe ihnen nicht geglaubt, als sie mir erzählten, dass ich hier oder dort noch jemanden gebissen, geküsst oder mit lallenden Schweinereien überzogen hatte.
Wenn ich getrunken hatte, wollte ich vergessen und für einen Moment jemand Anderes sein können.
In der Trinkkultur gibt es zwei Lager: Es gibt Menschen, die sagen, dass man ehrlicher wird, wenn man Alkohol konsumiert. Und dann gibt es solche, die sagen, dass Alkohol verzerrt und verfälscht. Ich gehöre zum zweiten Lager. Wenn ich Alkohol getrunken hatte, wollte ich vergessen und für einen Moment jemand Anderes sein können. Nicht der Mensch, der morgen eine wichtige Sitzung hat. Nicht der Mensch, der gerade verlassen wurde. Nicht derjenige, der eigentlich gar nicht gerne um andere Menschen herum ist. Und wenn ich jeweils hart und viel getrunken hatte, war das Gedankenkarussell derart belastend, dass ich nicht bloss Teile vergessen, sondern komplett abschalten wollte.
Ich weiss natürlich schon, was das heisst: Alkohol ist bloss das Problem an der Oberfläche. Mit dem Trinken hatte ich es geschafft, meine tiefer liegenden Probleme hinauszuschieben. Deshalb hat es auch etwas Schönes, wenn man etwas niederlegt, von dem man jahrelang abhängig war: Ich lerne mich als völlig neuen Menschen kennen und fühle mich frei. Trotzdem ist es anstrengend, weil ich zum Beispiel von Grund auf lernen muss, wie man verarbeitet und vergisst. Diesen wichtigen Teil meines Lebens hat jahrelang der Alkohol übernommen.
Fertig Alkohol: Der Weg zur Abstinenz Kultz-Geschäftsleiter Heinrich Weingartner will mit dem Trinken aufhören. In dieser vierteiligen Reihe dokumentiert er den Bruch mit seiner bisherigen Lieblingsdroge. Dies ist Teil 2. Teil 2: Herzschmerz, Selbstzerstörung, Filmrisse am laufenden Band. Wie Alkohol meine Seele aufgefressen hat. Teil 3 (am kommenden Montag): Weshalb soll es diesmal funktionieren? |