Die Planung des neuen Luzerner Theaters ist eine ewige Tragödie. Sie handelt von ängstlichen Behörden, leeren Phrasen und der Macht des Geldes.
Heinrich Weingartner — 12/22/20, 08:14 PM
Eine Bühne ohne Publikum. Eine Stadt ohne Theater? Bild: Ingo Höhn
Es ist politisches Totalversagen auf mehreren Ebenen: Stadt, Kanton und der Stiftung des Luzerner Theaters ist es in den letzten 13 Jahren nicht gelungen, die Bevölkerung für ein neues Luzerner Theater zu begeistern. Essentielle Punkte sind bisher unklar. So ist ungewiss, wo das neue Theater stehen und was darin genau stattfinden soll. Für die Luzerner Bevölkerung kommt das einem grotesken Trauerspiel von epischer Länge gleich. Es ist «Warten auf Godot», von Kafka überarbeitet und von Globi inszeniert.
Die Planung des neuen Theaters geht dermassen schleppend voran, dass sie an den Bau des Berliner Flughafens erinnert. Bei diesem dauerte es zwar zweieinhalb Jahrzehnte, bis er in Betrieb genommen wurde, aber das Projekt ist immerhin ein internationaler Flughafen. Ein Theater ist ein Theater. Es ist ein Haus. Es kann auch eine Hütte, ein Iglu oder eine Box sein. Dort drin wird Theater gespielt. Menschen gehen dann hinein und schauen das Theater, das darin gespielt wird. Ganz einfach. In Luzern ist es nicht ganz so einfach, weil es in erster Linie um etwas geht, um das es bei einem solchen Projekt in erster Linie genau nicht gehen sollte: Geld.
Kanton Sparfuchs
Winkt das Mäzenatentum mit dem Scheckheft, versenkt Luzern seine kulturellen Ansprüche und Möglichkeiten im Vierwaldstättersee. Das war bei Christof Engelhorn und seiner Salle Modulable so, die Bermudas mögen seine Millionen selig haben. Und nun ist es auch bei Arthur Waser ein ähnliches Spiel. Wenn jemand einfach mal so eine oder zwei oder 120 Millionen Franken stiftet, sollte man grundsätzlich skeptisch sein und nicht das Wunder von Luzern ausrufen. Auch wenn eine solche Schenkung an keine Auflagen geknüpft ist, ist sie an «Auflagen» geknüpft. Nämlich an die Vorstellungen der Geldgebenden. Hier bedeutet das: Es wäre schön, wenn das neue Luzerner Theater «das beste Theater Europas» würde. Am liebsten natürlich als Dreispartenhaus. Und wenn irgendwo gross «Arthur Waser» steht, wäre das auch gut. Geld befreit, macht aber auch Druck.
Deshalb wäre es viel besser, wenn sich die Stadt nicht zur Sklavin des Geldes, sondern zur Botschafterin der Kultur machen würde. Wird ein neues Theater geschaffen, dann sollte man sich zuerst einmal klar machen, was darin stattfinden soll – ganz ohne Moneten im Hinterkopf. Bestenfalls möchte auch der Kanton Luzern ein Theater, wo man nicht zuerst daran denkt, was das kostet. Ein unwahrscheinliches Szenario. Denn in diesem regieren Sparvögte, äh, Sparvögel, äh, Sparfüchse! Bevor da zu viel Geld an ein städtisches Kulturhaus fliesst, werden sie den Kanton lieber kaputtsparen, ihn in eine öffentlich-private Partnerschaft umwandeln und den Kantonsnamen einem Wirtschaftsgiganten überlassen.
Sparen statt investieren. Was für ein miserabler Unternehmer Marcel Schwerzmann doch ist.
Marcel Schwerzmann ist definitiv keine grosse Hilfe. Schon als Finanzdirektor setzte er bei Bildung und Kultur den Rotstift an. Nun, da er von seinen «Kollegen» im Regierungsrat in ebendiese Direktion gemobbt wurde, bringt er fertig, was er zuvor begonnen hatte: Er drängte die Stadt erfolgreich dazu, noch mehr an grosse Kulturhäuser wie dem Luzerner Theater zu zahlen. Um die Kantonskasse zu entlasten. Sparen statt investieren. Was für ein miserabler Unternehmer Marcel Schwerzmann doch ist. Da hilft alles Klatschen nicht mehr, egal an und mit welchen Körperteilen.
Trotz seiner Sparwut hat der Kanton Luzern der Bevölkerung die Möglichkeit zur Partizipation gewährt: Als demokratisches Allzweckmittel wurden ganze zwei «Forumsveranstaltungen» durchgeführt. Anlässe, an deren Bezeichnung schon der muffige Geruch billiger Post-it-Zettelchen heftet, die nach Veranstaltungsende in der Mülltonne enden. Oder in irgendeinem Aktenberg eines Beamten verschwinden – was dasselbe ist. Die Bevölkerung hat es noch nie leicht gehabt, wenn in Luzern ein neues Kulturhaus geplant wurde. Seit der Salle Modulable ist man darauf bedacht, der Zentralschweizer Bevölkerung sämtliche abgelutschten Floskeln von «urbaner Begegnungsort für alle» bis «kultureller Leuchtturm mit internationaler Ausstrahlung» in die Grosshirnrinde zu ritzen, auf dass sich die Bevölkerung von «dieser einmaligen Chance» anstecken lassen möge.
Die Schwammigkeit dieser Worthülsen deutet darauf hin, dass sich die Verantwortlichen bei der Ausrichtung des Theaters nicht festlegen wollen. In der Angst, im Vorfeld bestimmte Steuerzahlerinnen oder, ah, der Kreis schliesst sich, Privatinvestoren zu vergraulen. Man kann ihnen nicht einmal politische Böswilligkeit unterstellen: Stadtpräsident Beat Züsli und Birgit Aufterbeck Sieber, Stiftungsratspräsidentin Luzerner Theater, sind vermutlich derart in realpolitischen Vorgaben gefangen, dass sie gar nicht merken, mit welcher Schlaftablettensprache sie operieren. Um ein Aufwachen kommt die entscheidungsmüde Politik jedoch nicht herum. Denn es wird die Zeit kommen, in der die Dinge konkret werden. Und dann wird man jemandem auf die Füsse treten müssen. Auch jenen von Steuerzahlerinnen oder Privatinvestoren. Es wird ein Schritt in die richtige Richtung sein. Man hat sich nämlich auf etwas festgelegt.
Das Luzerner Theater muss nicht von der Brieftasche, sondern vom Nullpunkt her gedacht werden.
Das Ringen um neue Kulturinstitutionen wie dasjenige des neuen Luzerner Theaters ist auch ein Krieg der Generationen. Wir sind in einem Zeitalter angekommen, in der die Jugend von heute nicht mehr das Bildungsbürgertum von morgen sein wird. Die Erde brennt, die Kultur verändert sich. Und das macht dem Bildungsbürgertum Angst. Deshalb will es möglichst schnell an seinem Wunschort einen «urbanen Begegnungsort für alle» hinpflanzen. Einen Ort, an dem sich die kommende Generation reiben und ergötzen soll. Für diese ist es einfach ein weiteres Statussymbol des Establishments. Die Subventionen steigen, der Eigenfinanzierungsgrad sinkt.
Die Lösung? Ich habe keine. Lieber nichts in der Hand als Floskeln im Oberschtübli. Und genau um das geht es doch: Das Luzerner Theater muss nicht von der Brieftasche, sondern vom Nullpunkt her gedacht werden. Carte Blanche.
Heinrich Weingartner ist Co-Initiant von Kultz.ch.