Seit 13 Jahren versucht Luzern, ein neues Theater hinzustellen. Ein Projekt, das bisher gescheitert ist. Woran das liegt und wie es weitergeht.
Heinrich Weingartner — 12/22/20, 08:25 PM
Das uralte Gebäude des Luzerner Theaters. Abreissen oder renovieren? Oder etwas ganz Anderes? Bild: Ingo Höhn
Ein pinker Kleber prangt am Seiteneingang des Luzerner Theaters: «Das Luzerner Theater muss seine Türen bis zum 22. Januar 2021 schliessen.» Auch die Bühne ist jetzt den Coronamassnahmen erlegen. Bis zuletzt blieben die Türen der subventionierten Theater als eine der wenigen Kulturbetriebe offen. Spätestens 2025 muss das Luzerner Theater seine Türen sowieso für immer schliessen: Das Gebäude ist marode und genügt heutigen Theateransprüchen nicht mehr.
Ein Architekturwettbewerb soll nun dafür sorgen, dass Luzern «das beste Theater Europas» erhält. So liess sich Arthur Waser in der Luzerner Zeitung zitieren. Der Privatmäzen stiftete eine Million Franken, um den Wettbewerb zu ermöglichen. Und, um weitere Geldgebende anzulocken. «Das beste Theater Europas» – der Ausdruck weckt schmerzhafte Erinnerungen an das Pannen-Projekt «Salle Modulable», das sich ein Jahrzehnt hinzog und wegen inhaltlicher Intransparenz und dem Standort Inseli scheiterte.
Wie geht es weiter?
Im Moment bereitet die Projektierungsgesellschaft (PG) den Architekturwettbewerb für ein neues Luzerner Theater vor. Der Standort steht fest: Theaterplatz – es soll ein Neubau werden. Betriebliche Grundlage: Ein noch nicht öffentliches Konzept, das der Stiftungsrat des Luzerner Theaters erarbeitet hat. Dessen Präsidentin, Birgit Aufterbeck Sieber, präzisiert: «Mit Experten, zum Beispiel einem Akustiker, vertiefen wir einzelne Fragestellungen und leiten ein funktionales Raumprogramm ab.»
Das städtische Parlament stimmt voraussichtlich im Frühling 2021 über einen Kredit für den Architekturwettbewerb ab. Wird jener angenommen, kann der Wettbewerb nach den Sommerferien starten. Das Ergebnis ist in der zweiten Hälfte 2022 zu erwarten. In der Parlamentssitzung vor genau einem Jahr äusserten mehrere Grossstadträte Bedenken. Sie kritisierten, dass über die inhaltliche Konzeption des neuen Theaters kaum diskutiert werde. Der Grüne Christian Hochstrasser etwa sagte: «Wenn man diese Fragen jetzt nicht stellt, besteht die Gefahr, dass sie uns im Abstimmungskampf einholen.»
Die Projektierungsgesellschaft mit Vertreterinnen und Vertretern von Luzerner Sinfonieorchester, Arthur-Waser-Stiftung, Kanton, Luzerner Theater (Birgit Aufterbeck Sieber), Stadt (Beat Züsli, Vierter von rechts), freier Szene und Lucerne Festival. Bild: Ingo Höhn
Dreispartenhaus Plus
Die Kritik, es werde zu wenig über Inhalte gesprochen, lässt Aufterbeck Sieber nicht gelten: «Wir haben seitens Stiftungsrat im vergangenen Halbjahr mit zahlreichen politischen und interessierten Gruppierungen die Eckpunkte des Konzepts diskutiert.» Diese Gespräche sollen nun in Landschaft und Agglomeration ausgeweitet werden. Der Zweckverband Grosse Kulturbetriebe Kanton Luzern, der das Theater subventioniert und ihm einen Leistungsauftrag erteilt, hatte zudem 2020 mehrere Forumsveranstaltungen geplant. Diese mussten coronabedingt teilweise verschoben oder digital durchgeführt werden.
In das Betriebskonzept soll der Regierungsrat Ende dieses Jahres Einsicht erhalten, bald darauf die Bevölkerung. Was bereits feststeht: Das neue Luzerner Theater soll ein «Dreispartenhaus Plus» werden. Mit einem grossen Saal für Opern, einem kleineren für Schauspiel/Tanz und einem modulablen Raum für Produktionen beispielsweise der freien Szene. Laut Medienberichten soll das Haus ein «kultureller Leuchtturm und ein urbaner Begegnungsort für alle» werden. Was heisst das konkret? Aufterbeck Sieber: «Das Neue Theater ist keine Mehrzweckhalle, sondern eine vielfältige, intelligente Infrastruktur für darstellende Künste mit einer besonders ausgefeilten Akustik für Oper.»
Inhalte statt Hülle
Christoph Fellmann kennt den Luzernischen Theaterbetrieb gut – als langjähriger Theaterkritiker und seit einigen Jahren als professioneller Theaterschaffender. Wie nimmt er die inhaltliche Konzeption und die öffentliche Diskussion dazu wahr? «Einen zukunftsfähigen Theaterbetrieb kann man nicht in Forumsveranstaltungen diskutieren, man braucht dafür einen Konzeptwettbewerb.» Er versteht nicht, dass man quasi selbstverständlich einen Architekturwettbewerb lanciert, sich inhaltlich aber nicht weiter öffnet.
«Einen zukunftsfähigen Theaterbetrieb kann man nicht in Forumsveranstaltungen diskutieren.»
Christoph Fellmann, freier Theaterschaffender
Seit der Salle Modullable ist man keinen Schritt weitergekommen, sagt Fellmann: «Nach 13 Jahren der Diskussion liegt nun ein Betriebskonzept auf dem Tisch, das auf den Tupf genau dem entspricht, was wir schon haben: Grosse und kleine Bühne, drei Sparten, Intendanz, Kernensembles. Das neue Theaterhaus ist einfach etwas modulabler und durchsichtiger.» In Luzern werde die Chance verpasst, sich etwas auszudenken, was nicht typgleich schon in vergleichbaren Theaterstädten wie Bern oder St. Gallen steht.
«Politisch sind sie auf uns angewiesen»
Bei der Planung des neuen Theaters gab es ein konstantes Politikum: Wie soll die freischaffende Theaterszene, die unabhängig und professionell produziert, einbezogen werden? An einem Podium im Januar meinte die freie Theaterschaffende Annette Windlin: «Wir haben unglaubliche Angst, miteinander zu reden, als wären wir eine andere Spezies.» Und: «Wir kennen uns, aber plötzlich ist die freie Szene nur noch Gast.» Was Windlin damit meint: Zwar ist die freie Szene mit einer Person in der PG vertreten, diese hat aber kein Stimmrecht.
Herrscht zwischen der freien Szene und der PG also dicke Luft? Nina Halpern, Präsidentin des Vereins für freie Theaterschaffende t.Zentralschweiz, gibt sich diplomatisch: «Die Projektierungsgesellschaft sucht immer wieder den Kontakt und holt sich die Meinungen der freien Szene ab.» Ist das fehlende Stimmrecht ein Problem? Halpern: «An das Stimmrecht wären finanzielle Verpflichtungen geknüpft, welche die freie Szene nicht erfüllen könnte.» Aufterbeck Sieber sieht darin einen Vorteil: «Das drückt eine gewisse Unabhängigkeit der freien Szene aus, spielt aber in der Zusammenarbeit keinerlei Rolle.»
Nina Halpern fügt an: «Es muss aber auch gesagt werden, dass der Auftrag der Projektierungsgesellschaft so lautet, uns in die Planung mit einzubinden. Sie machen also ihren Job. Politisch sind sie auf uns angewiesen.» Die freie Theaterszene geniesst im Grossstadtrat und auch in der Bevölkerung Rückhalt, was sich in zukünftigen Abstimmungen zum neuen Theater niederschlagen könnte.
Neubau statt Erweiterung
2019 sorgte ein Gutachten des Bundes für Verunsicherung. Darin wird gefordert, das Luzerner Theater zu renovieren statt abzureissen. Grund: Das Ortsbild müsse geschützt und die Nordfassade erhalten werden. Zudem dürfe der Bau die Jesuitenkirche nicht konkurrenzieren. Nach rechtlichen Abklärungen haben sich Beat Züsli und die anderen Player dazu entschieden, konsequent auf einen Abbruch plus Neubau auf dem Theaterplatz zu setzen. Sie ignorieren also das Gutachten, weil dieses bei einer allfälligen Einsprache bloss als ein Aspekt unter anderen berücksichtigt würde. Eine positiv ausgegangene Volksabstimmung hätte, so die Annahme der Verantwortlichen, weitaus grösseres Gewicht.
Heinrich Weingartner ist Co-Initiant von Kultz.ch.