Eingezäunt, kriminalisiert, den Dialog verhindert: Die Stadt kennt beim Eichwäldli kein Erbarmen. (Foto: hei)
Der Luzerner Stadtrat beweist in der Causa Eichwäldli erneut seine Unfähigkeit, lösungsorientiert und bevölkerungsnah mit Freiräumen umzugehen.
Heinrich Weingartner — 02/15/21, 04:56 PM
Am Montag hätte die «Familie Eichwäldli» den Murmattweg 2 verlassen müssen. Die Stadt pocht darauf, das Gebäude abzureissen. Wie bereits 2018 weigert sich das Kollektiv jedoch, dem Willen der Behörden nachzugeben. Die ehemalige Soldatenstube ist nun also wieder besetzt. Dass dieser Punkt erneut erreicht wurde, zeigt, wie stur und unflexibel die Luzerner Stadtregierung agiert, wenn es um alternativen Lebensraum geht.
Die Probleme haben bereits 2018 begonnen: Nach einem Sommer, in dem die «Familie Eichwäldli» den maroden Perimeter in einen blühenden Quartiertreffpunkt verwandelt hat, liess die Stadt zu Jahresende die Muskeln spielen. Die Bewohnenden wurden aufgefordert, die Liegenschaft innert Tagesfrist zu verlassen. An einem Dialog, um über den auslaufenden Mietvertrag zu sprechen, zeigte die Baudirektorin Manuela Jost kein Interesse.
Es ist ein irritierendes Zeichen, wenn die Stadt auf Initiativen aus der Bevölkerung mit Räumungsterminen reagiert, anstatt auf Gespräche einzugehen. Dies führte zu einer unnötigen Verhärtung der Fronten. Die Behörden blieben hart, die «Familie Eichwäldli» wählte den Gang in die
Illegalität und besetzte das Gebäude. Ein streitbarer Schritt, der jedoch Wirkung zeitigte. Der öffentliche Druck auf den Stadtrat stieg, das Kollektiv erhielt einen Gebrauchsleihvertrag. Das zeigt, dass die Stadt den vorhandenen Spielraum keineswegs ausgenutzt hat, sondern von Beginn weg auf Drohgebärden setzte.
Eine Besetzung ist oftmals ein Symptom dafür, dass bei der Stadtentwicklung etwas schief läuft.
Für die Stadt kommt nur der Abriss infrage. Sie klammert sich dabei an zwei Argumente: Das Gebäude sei einsturzgefährdet und die Kosten, um das zu ändern, seien zu hoch. Jost geht von Sanierungskosten in Millionenhöhe aus. Doch ob es um die Liegenschaft tatsächlich so schlimm steht und sie wirklich nur zu einem unverhältnismässig hohen Preis instandgesetzt werden kann, lässt sich bezweifeln: Architekten widersprechen den bautechnischen Gutachten der Stadt und die Wohnbaugenossenschaft GWI rechnet vor, dass die Sanierung bloss einen Bruchteil der städtischen Schätzung kosten würde. Aber auch diesbezüglich beharrt die Regierung auf ihrer Meinung. Das, obwohl keine konkreten Pläne vorhanden sind, was dereinst auf dem Areal geschehen soll.
Es ist eine Haltung, die im städtischen Politbetrieb für Ärger sorgt. Kürzlich hat das Parlament mit knapper Mehrheit einen Marschstopp in Sachen Eichwäldli gefordert. Die Regierung setzte sich aber über das Votum des Grossstadtrats hinweg. Dies unterstreicht, wie schwierig es ist, sich in dieser Angelegenheit bei der Regierung Gehör zu verschaffen. Viele haben es versucht, sind aber gescheitert. Darunter anwohnende Leserbriefschreiberinnen, der Quartierverein Obergrund, eine breite Koalition aus verschiedenen städtischen Kulturorganisationen und rund 300 Demonstrierende. Während im Eichwäldli gut besuchte Mittagstische durchgeführt wurden und nationale Grössen wie Faber auftraten, verzettelt sich die Stadt in charmelosen Aufwertungsversuchen. Was ein Abriss und eine «Aufwertung» durch die Stadt bedeuten würde, konnte man sich beim Nullprojekt Pilatusplatz oder beim wenig frequentierten Sommer-Pop-Up beim Löwenplatz ansehen.
Der Entschluss der «Familie Eichwäldli», das Gebäude erneut zu besetzen, wird bei der breiten Bevölkerung bestimmt nicht nur Sympathien für die Anliegen des Kollektivs wecken. Doch letztendlich ist eine Besetzung oftmals ein Symptom dafür, dass bei der Stadtentwicklung etwas schiefläuft. Wenn die Stadt den Menschen nicht den Platz gibt, um in der gewünschten Wohnform zu leben, muss sie damit rechnen, dass es Menschen gibt, die sich diesen nehmen.
Aktueller Stand: Die Stadt hatte die Frist für die Schlüsselübergabe bis am Donnerstag, 18. Februar, verlängert. Weil die «Familie Eichwäldli» das Haus bis zur neu gesetzten Frist nicht verlassen hat, reichte die Stadt Luzern Strafanzeige gegen «unbekannt» – alle Menschen, die sich im Haus aufhalten – ein. Die «Familie Eichwäldli» ist laut der Stadt Luzern weiterhin an Planungsgespräche Anfang März eingeladen.