Martin Erdmann hat Kummer. Unser Co-Redaktionsleiter vermisst die Beiz. Deshalb hat er ihr einen Liebesbrief geschrieben.
Martin Erdmann — 03/18/21, 02:30 PM
Nur die Beiz im Kopf: Erdmann beim Niederschreiben seiner Gefühle für die örtlichen Trinkhallen.
Sie sagten, ich sei zu jung für dich. Ich glaubte ihnen. Was hätte ich auch anderes tun können? Ich, gerade in die Pubertät gerutscht mit nichts ausser Selbstzweifeln, einer ungewissen Zukunft und etwas Kleingeld in der Tasche. Ständig quälte mich der Gedanke, deinen Ansprüchen nicht genügen zu können. So verbrachte ich mit den Jungs regnerische Sommerabende und frostige Winternächte in der Verborgenheit dunkler Hinterhöfe, um Bier aus den billigsten Büchsen zu trinken, die der Getränkemarkt in den Regalen stehen hatte. Das vermochte keinesfalls mein Verlangen nach dir zu stillen. Besonders wenn die hinterhöfische Düsternis wieder einmal auf die Seele drückte, sehnte ich mich nach deiner Geborgenheit und Wärme.
So unerreichbar du in jener Zeit auf mich gewirkt hast, so sicher war ich mir, dass wir uns eines Tages begegnen. Meine Gedanken an dich konnten von keinem Dauerrabatt auf Oettinger Export und keiner mehrtägiger Anker-Aktion vernebelt werden. Dann durchbrach ich jene Altersgrenze, mit der mich die leidenschaftslose Gefühlskälte der Legislative von dir getrennt hielt. Die eiserne Hand des Gesetzes konnte uns nicht mehr voneinander fernhalten. Ich kam dich manchmal auf ein Bier besuchen. Natürlich war ich viel zu schüchtern, um alleine zu kommen. Ich brachte meine Kumpel aus den Hinterhöfen mit. Meine anfängliche Scheu sollte sich bald legen.
Ein Bild aus vergangenen Tagen. Schau doch nur, wie glücklich wir waren.
Die Jahre vergingen, aber ich wich nie von deiner Seite. Nicht alle wollten mir unser Glück gönnen. Manchmal musste ich meine Liebe zu dir verteidigen. Leute sagten, wir führen eine toxische Beziehung, sprachen von einer ungesunden Abhängigkeit. Sie sagten, ich verbringe zu viel Zeit mit dir und verschwende meine besten Jahre. Sie sagten, ich würde dir gar nichts bedeuten und du wärst nur auf mein Geld aus. Lass sie reden. Sie sind nur neidisch auf das, was wir haben. Sie kennen dich nicht so, wie ich dich kenne. Wissen nicht, was wir schon alles zusammen erlebt haben. Über dich habe ich einige meiner besten Freunde kennengelernt. Bei dir wurden Zukunftspläne geschmiedet und die Vergangenheit bereinigt. Es wurden Liebschaften begonnen und deren Brüchigkeiten betrauert. Wir erschufen uns unsere eigene kleine Welt mitten in der kleinstädtischen Ödnis.
Keine Liebe ohne Schmerz. Auch wir hatten unsere Tiefs. Oft hat mir unsere Beziehung Kopfschmerzen beschert. Es gab Tage, da schlug sie mir derart auf den Magen, dass ich nicht fähig war, das Bett zu verlassen. Ich lag da, starrte mit tränenden Augen zur Decke und schwor mir, dich nie wiederzusehen. Auch du hattest regelmässig genug von mir. Oft hast du bis tief in die Nacht gearbeitet und brauchtest dann etwas Zeit für dich, um am nächsten Tag wieder für mich da sein zu können. Es tut mir leid, dass ich dafür viel zu selten Verständnis gezeigt habe. Stattdessen habe ich mit dir darüber gestritten, wieso schöne Abende immer so abrupt enden müssen. Es gab aber auch die Ausnahmen. Manchmal liesst du mich länger bleiben und wir rauchten Zigaretten, bis fahles Morgenlicht durch die zugezogenen Gardinen schimmerte.
Wird es je wieder so sein, wie es einmal war?
Bald sind wir drei Monate getrennt. Es ist wohl besser, wenn wir uns gerade nicht sehen. Es würde nur Drama bedeuten und ich will nicht, dass jemand unter unserem Zusammensein leiden muss. Manchmal laufe ich an deinem Haus vorbei. Hinter den Fensterscheiben ist es finster. Ich frage mich, was du machst und wie es dir geht. Gelegentlich postest du etwas auf Facebook, gibst dich zuversichtlich und tapfer. Aber ich kenne dich doch. Ich weiss, dass du leidest. Es schmerzt, nicht bei dir sein zu können. Mein Herz blutet.
Für immer und auf bald,
Dein Martin