Altern auf der Bühne
Die Luzerner Tänzerin und Choreographin Beatrice Im Obersteg setzt sich mit dem Altern in der Tanz- und Theaterwelt auseinander. Gerade auf der Volksbühne ortet sie gewisse Probleme.
Vanessa Varisco — 09/06/21, 12:05 PM
Beatrice Im Obersteg setzt sich seit Jahren mit dem Altern auf der Bühne auseinander. Foto: Rob Nienburg
Einst waren die Körper athletisch, die Bewegungen graziös und die Haut straff. Doch wie gehen Bühnenkünstler*innen damit um, wenn das Jungsein schon etwas zurückliegt und Physis ihren Zenit überschritten hat? Mit solchen Fragen beschäftigt sich Beatrice Im Obersteg. Wir haben die 51-jährige Tänzerin und Choreografin zum Interview getroffen. Ein Gespräch über die Gründe, weshalb in die Jahre gekommene Figuren im Volkstheater oft bieder inszeniert werden und ältere Tänzer uns manchmal peinlich berührt zurücklassen.
Frau Im Obersteg, Sie beschäftigen sich seit einiger Zeit mit der Bühne und dem Alter. Wie kam es dazu?
In jüngeren Jahren habe ich eine ältere Tänzerin auf der Bühne gesehen, deren Performance mich peinlich berührte, obwohl ich die Tänzerin seit Jahren kannte und eigentlich sehr schätzte. Ich konnte meine eigenen Gefühle nicht einordnen, hatte aber stark den Eindruck, dass sie mit dem Alter der Tänzerin in Zusammenhang stehen. Seither interessiert mich dieses Thema und mittlerweile bin ich selbst in diesem Alterssegment.
Wissen Sie mittlerweilen, woher diese peinliche Berührung kam?
Sie hängt wohl mit der Gewohnheit zusammen. Wir sind es gewohnt, junge, athletische Menschen auf der Bühne zu sehen. Genauso wie wir es gewohnt sind, dass junge Menschen flirten. Tut ein gealterter Performer das mit dem Publikum – wie es in manchen Stücken vorkommt -, ist es ungewohnt. Wir können das kaum zuordnen, wissen nicht wohin damit. Das ist oft so, wenn wir Neues sehen.
Heisst das, das Publikum muss sich einfach nur an ältere Darsteller*innen gewöhnen?
Genau. Es gibt wenig Tänzer und Tänzerinnen, die älter sind als 65. Bühnendarsteller höherem Alter sind eben weniger präsent.
«Bloss, weil der Körper nicht mehr den gleichen Belastungen standhält, bedeutet das nicht, dass die Darbietung darunter leidet.»
Wieso ist das so?
Weil der Körper nicht mehr die gleiche Leistung erbringen kann, wie mit Mitte zwanzig. Durch einen Wandel in der Szene und eine frühzeitige Umstellung zu altersgerechtem Training liesse sich das ändern. Ältere Tänzer wären so länger leistungsfähig, wenn auch nicht auf dem gleichen Niveau wie jüngere.
Im Alter wird man also unweigerlich langsamer. Leidet die Kreativität in Bühnenberufen darunter?
Die Entschleunigung lähmt die Kreativität keinesfalls. Vielmehr haben ältere Darsteller*innen mehr Erfahrung im Leben und auf der Bühne und vermögen dadurch vieles, dass sie auf der Bühne verkörpern, besser zu präsentieren. Und zweitens bietet die Entschleunigung Gelegenheit zu reflektieren. Das tut dem Theater und auch anderen Bühnenkünsten gut.
Inwiefern?
Ob im Tanz oder im Theater; oftmals werden die immergleichen Themen tangiert. Liebe und Erotik werden gern dargestellt, ganz grundsätzlich alles, was mit den Beziehungen von Mann und Frau zu tun hat. Ältere Bühnenkünstler*innen hingegen sind in einem anderen Lebensabschnitt, der Tod der eigenen Eltern ist beispielsweise näher. Es öffnen sich neue Themenfenster, die auch verlangen, anders dargestellt zu werden, die gar nicht dasselbe Tempo brauchen.
Altern auf der Bühne Wie wirkt sich das Älterwerden auf das kulturelle Schaffen von Bühnenkünstler*innen aus? Dieser Frage gehen wir diese Woche mit zwei Beiträgen nach. Hier erzählt uns Beatrice Im Obersteg, wieso ältere Menschen auf der Volksbühne untervertreten sind und wieso deren Rollen oft etwas trivial sind. Im zweiten Beitrag erfahren wir von Christoph Künzler (70), wie man sich als Schauspieler bis ins Alter über Wasser halten kann. |
Also Choreographin kann Beatrice Im Obersteg das Tempo selber vorgeben. Foto: Rob Nienburg
Wird das Geschehen auf der Bühne durch das Alter also verlangsamt?
Bloss, weil der Körper nicht mehr den gleichen Belastungen standhält, die Lust auf einen Sprung nicht mehr so gross ist, bedeutet das nicht, dass die Darbietung darunter leidet. Vielmehr werden andere Themen angeschnitten – und das eben vielleicht auf eine andere Art. Weniger schnell, weniger dynamisch, aber mit einer allenfalls oft ungehörten Botschaft.
Fördergelder werden eher an junge Talente vergeben. Kann die Mischung aus finanziellem Druck und körperlicher Belastung dazu führen, dass sich ältere Bühnendarsteller*innen frühzeitig neu orientieren?
Ja, natürlich. Der Körper an sich ist sperrig, dagegen kämpft man von Anfang an. Wenn spürbar wird, dass es mit zunehmendem Alter schwierig wird – und die Darsteller wegen finanziellem Druck darben – satteln nicht wenige um. Obwohl man die Präsenz halten könnte, wenn man das will. Zweifelsfrei aber wird es nicht mehr die gleiche körperliche Leistung sein, die man erbringt. Will man aber bleiben, dann lohnt es sich, wenn man selber choreografiert. So gibt man den Takt vor. Dafür gibt es erfolgreiche Beispiele, die Luzerner Tänzerin Irina Lorez etwa.
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Wir haben jetzt vor allem von Tanz gesprochen – wie sieht es im Theater aus?
Tanz ist eine körperbetonte Art der Bühnendarstellung, Schauspiel weniger. Die älteren Rollen sind gerade im Volkstheater nicht selten bieder, asexuell und wenig dimensional. Eine gealterte Figur ist entweder besonders würdevoll oder besonders lustig. Themen, die in fortschreitendem Alter bewegen, werden kaum abgebildet.
Woran liegt das?
Auch das liegt wohl an der Sehgewohnheit des Publikums. Es ist leichter ein Lustspiel mit gewohnten Parametern zu inszenieren. Das Publikum hängt der Entwicklung auf der Bühne teilweise hinterher und akzeptiert oft nur das Gewöhnliche. Wobei aus dem Ungewohnten eben Ungewöhnliches entstehen könnte und damit auch eine neue Perspektive.
Weshalb soll das Altern denn überhaupt authentisch dargestellt werden?
Die Frage, die sich dabei zuerst stellt, ist: Was bedeutet Alter und wo beginnt es? Für eine 20-Jährige ist eine 40-Jährige alt. Auf der Bühne soll es deshalb nicht darum gehen, das Alter akkurat darzustellen, weil alleine der Begriff «Alter» schwer abzugrenzen ist. Vielmehr soll es darum gehen, Themen auf die Bühne zu bringen und jene aus verschiedenen Perspektiven darzustellen.
«Es dauert bestimmt noch einen Moment, bis das Alter auf der Bühne normal ist.»
Sie sind Tänzerin und Choreografin, mitten in der Szene also. Was braucht es, damit die Perspektive des Alters einfliesst?
Ich muss ehrlicherweise einräumen, dass ich dafür keine Formel habe. Was es aber braucht, ist die Bereitschaft von allen Seiten, sich der Entwicklung zu öffnen. Das Alter entsprechend nicht zu ignorieren, sondern ins Repertoire aufzunehmen. Man muss auf der Suche bleiben, was bewegt und wie sich der Blick darauf ändert. Natürlich würde es nicht schaden, wenn Darsteller auch bis ins Alter auf der Bühne bleiben. Ausserdem müssen Darsteller und Publikum bereit sein, die Reduktion des Körperlichen anzunehmen – was im Tanz bedeutsamer ist als bei einer Theateraufführung.
Diversifikation und Individualität spielen derzeit eine grosse Rolle, auch in sozialen Medien. Verhilft diese Grundstimmung Bühnenschaffenden, auf das Alter zu sensibilisieren?
Wenn ich ganz positiv denke, kann ich sagen: ja. Man denkt alles etwas breiter. Und es ist toll, wenn Menschen beginnen darüber nachzudenken, was das Alter auf der Bühne bedeutet. Es dauert jedoch bestimmt noch einen Moment, bis das Alter auf der Bühne normal ist. Dazu ist ein Austausch zwischen allen Beteiligten – Schauspielern, Choreografen, Regisseuren und dem Publikum – essenziell.
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Dieser Artikel ist mit freundlicher Unterstützung der Kulturförderung des Kantons Luzern entstanden. Er ist Teil des Kultz-Rechercheprojekts der selektiven Kulturförderung.