Bis der Vorhang fällt
Die Schauspielerei ist ein Beruf mit vielen Tücken. Der Luzerner Christoph Künzler erzählt, wieso er sein Leben lang dennoch nichts anderes gemacht hat.
Vanessa Varisco — 09/06/21, 08:29 PM
Ein Leben auf der Bühne: Christoph Künzler steht mit 70 Jahren immer noch auf der Bühne. Foto: zvg
Ein laues Lüftchen weht am Vierwaldstättersee. Schauspieler Christoph Künzler (70) nimmt einen weiteren Zug von der Zigarette, bevor er zu sprechen beginnt. «Schon als Zwölfjähriger wusste ich, dass ich Schauspieler werde.» Damals hoffte er, seine Schüchternheit Mädchen gegenüber mittels Schauspieltechnik überwinden zu können. «Das hat allerdings nicht funktioniert», gesteht er schmunzelnd. Was ihn dann trotzdem gehalten hat: «Der Wunsch, mich auszudrücken und die Lust am Spielen.»
Seine Ausbildung absolvierte Künzler an der Otto-Falckenberg-Schule in München. Danach folgten Engagements im Theater in Graz und in Dortmund. «Zu der Zeit hoffte ich noch, die Mitbestimmung der Schauspieler in Theatern nähme zu», erklärt Künzler. Als er aber merkte, dass sich die hierarchischen Strukturen der Theater nicht so schnell ändern würden, kehrte er dem Stadttheater den Rücken, schloss sich freien Gruppen an, verdiente sein Geld mit Rollen bei Film und Fernsehen und besuchte viele Workshops bis ihn ein Engagement bei George Tabori in Wien wieder mit den etablierten Theatern versöhnte. Schliesslich spielte er viele Jahre im Luzerner Theater.
Ist es denn nötig, so oft die Städte zu wechseln, um so lange auf der Bühne zu bestehen? «Nicht unbedingt. In meinem Fall ergab sich das. Üblicherweise wird etwa bei einem neuen Intendanten ein Grossteil der Künstler ausgetauscht», entgegnet Künzler.
Wenig Geld, dafür Zeit
Für ein langes Leben auf der Bühne, kann es aber notwendig werden, ab und an ein Engagement anzunehmen, das nicht der Traumrolle entspricht. «Ich erinnere mich Angebote für Filme bekommen zu haben, die mich gelinde gesagt, persönlich nicht sonderlich bewegten. Aber ich habe angenommen, weil ich so finanziell wieder zwei Monate über die Runden kam.»
«Im Theater war ich immer schnöselig, was die Auswahl meiner Rollen betraf.»
Im Theater hingegen liess er sich nicht zu jedem Part überreden. «Da war ich immer schnöselig, was die Auswahl meiner Rollen betraf.» Er habe deshalb oft von der Hand in den Mund gelebt. Deshalb blieb ihm auch den klassischen Gang in die Gastronomie nicht erspart, auch wenn es nur ein kurzes Intermezzo war: In seiner Karriere hat Künzler nur für zwei Wochen gekellnert, um Rechnungen bezahlen zu können. «Danach schloss das Restaurant die Türen – was aber nicht an mir lag», schiebt er nach.
Als freischaffender Schauspieler habe er zwar oft wenig Geld gehabt, dafür viel Zeit für seine Tochter, was er sehr schätzt. Die Familie ist ihm wichtig. Auch weil es mit seinem Beruf nicht leicht war, das Sozialleben aufrecht zu erhalten. «Man muss bereit sein, Abstriche zu machen. Als Schauspieler engagiert man sich nicht in einem Verein, denn am Trainingsabend könnte ja eine Probe angesetzt werden.» Selbes gilt auch für eine Verabredung zum Essen mit Freunden; es könnte stets eine Probe eingeschoben werden.
Abgang der Eitelkeit
Die Bühnenkünste gehen mit steter Unbeständigkeit einher, nicht auch zuletzt mit finanzieller Unsicherheit. Mitte Dreissig zweifelte Christoph Künzler deshalb zeitweise an seinem Beruf und spielte mit dem Gedanken, Schreiner zu werden, etwas «Handfestes» machen. Doch mit den nächsten Rollenangebot, verwarf er die Idee wieder. «Ich bereue nicht, mich für die Schauspielerei entschieden zu haben, denn abgesehen vom Text lernen, ist es toll.»
Altern auf der Bühne Wie wirkt sich das Älterwerden auf das kulturelle Schaffen von Bühnenkünstler*innen aus? Dieser Frage gehen wir diese Woche mit zwei Beiträgen nach. Hier erzählt uns Christoph Künzler seinen Weg als Schauspieler. Im zweiten Beitrag erfahren wir von der Tänzerin und Choreographin Beatrice Im Obersteg, warum ältere Menschen auf der Volksbühne untervertreten und deren Rollen oft etwas trivial sind. |
Wegen des fortgeschrittenen Alters fällt es ihm schwerer, den Text auswendig zu lernen – schwerer als in jungen Jahren. Beim Spazierengehen übt er. Das Manuskript hat er in grosser Schrift auf Zetteln in Szenen aufgeteilt, damit er nicht die Brille hervorkramen muss. Aber abgesehen von nachlassender Sehkraft birgt die Schauspielerei für Christoph Künzler im Alter keine Nachteile, sondern viel Freiheit. «Ich muss weniger tun und darf mehr geniessen. Dieser Gedanke ist befreiend.»
Ausserdem schwingt weniger Eitelkeit mit. «Spielen in einem gesunden Umfeld ist meine Leidenschaft, da gilt es halt auch finanzielle Abstriche hinzunehmen», räumt er ein. Und über all dem profitiert er wohl von der Gelassenheit am meisten. «Die Lebenserfahrung, der Rucksack, den man mit sich trägt, entspannt.» Selbst wenn er vor Premieren noch immer heilloses Lampenfieber verspüre, vertraue er darauf, dass es am Ende gut kommt. Und wenn doch nicht? «Scheitern ist menschlich.»
Schauspielern bis auf den Friedhof
Durch seine Erfahrung und Freiheiten seines Alters wählt er Rollen und Stücke, die ihm persönlich nahe sind. «Die Lust am Schauspiel hält bis ins Alter an», sagt er. Aber: «Die Dringlichkeit, auf der Bühne zu stehen ist nach so vielen Jahren vielleicht etwas gemildert.» Ein bis zwei Produktionen pro Jahr reichen ihm völlig aus.
Im September beispielsweise spielt er vor dem alten Krematorium im Luzerner Friedental. Apocalypse Now (and I feel fine) zeichnet eine Welt in Feuerstürmen mit Tornados in Europa und beschreibt die Apokalypse doch nicht als grossen Knall, sondern als schleichenden und langsamen Prozess. Figuren erzählen vor diesem Hintergrund ihre Geschichten, auch Romeo und Julia treten auf– mit dem Wunsch, nach 430 Jahren Liebe endlich sterben zu können. «Ein urmenschliches Stück», sagt Christoph Künzler. Er zögerte, die Rolle anzunehmen, doch das Feuer des Teams Fetter Vetter & Oma Hommage habe ihn mitgerissen.
«Ich fühle mich noch nicht alt und will weitermachen.»
Auch hier ist die Freiheit, ohne finanziellen Druck spielen zu können, von Vorteil. Die Gruppe verzichtete die erste Probenwoche auf Gage, weil in dieser Szene das Geld stets fehlt. Die Lust über das Pensionsalter hinaus auf der Bühne zu stehen, erklärt er nicht zuletzt damit, dass sein Beruf sein Hobby ist. «Ich fühle mich noch nicht alt und will weitermachen.» Und sich einem Projekt anzunehmen, vor allem einem wie Apocalypse Now (and I feel fine), das, bleibe ein Abenteuer.
Dieser Artikel ist mit freundlicher Unterstützung der Kulturförderung des Kantons Luzern entstanden. Er ist Teil des Kultz-Rechercheprojekts der selektiven Kulturförderung.