Zentralschweizer Podcast-Küche II.
Kein Medium boomt wie der Podcast. Die Szenekennerin Cheyenne Mackay weiss, wo noch Potential besteht. Und weshab in der Schweiz kaum jemand gut Geld damit macht.
Jonathan Furrer — 09/29/21, 06:18 AM
Cheyenne Mackay (Foto: Podcast-Schmiede)
Ungefähr 800 Schweizer Formate – in allen Landessprachen zusammen – soll es geben, schätzt Cheyenne Mackay, die selbst produziert und zu Podcasts auch am MAZ doziert. Das ist dann aber schon gewesen mit numerischer Auskunft bei Mackay, die profunde Szenenkennerin sagt bestimmt: «Ich spreche nicht über Zahlen!» Der Grund dafür liegt in der selbst für Expertin Mackay unergründlichen Datenlage.
Podcast und (konkrete) Zahlen, die beiden scheinen tatsächlich so gar nicht zusammen zu passen. Ob bei Produzentinnen, Streamingdiensten oder einschlägigen Medienportalen, die Angaben sind oft unvollständig. Und werden Zahlen genannt, ist ihre Erhebung meist undurchsichtig. So etwas wie die allgemein anerkannte Erhebung der Fernseh-Einschaltquote gibt es beim jungen Medium nicht.
Trotzdem: Um die Entwicklung der Podcastnutzung nachzuvollziehen, sagen bereits die vorhandenen, vagen, Zahlen viel aus. Und es ergibt sich das Bild eines Mediums, dass ziemlich durch die Decke respektive durchs Netz geht. Auf dem deutschsprachigen Markt gehören neben «Zeit Verbrechen», dem NDR «Coronavirus-Update» sogenannte Laber-Podcasts zu den erfolgreichsten Formaten. Bis zu einer halben Million Hörer und Hörerinnen erreichen «Fest & Flauschig» mit Jan Böhmermann und Olli Schulz, oder «Gemischtes Hack» mit Felix Lobrecht und Tommi Schmitt.
Wie der grösste Podcast-Anbieter, Spotify, Ende Juli publizierte, bietet er Zugang zu über 2,9 Millionen Podcasts (neben 70 Millionen Songs), davon über 70'000 deutschsprachige Formate. Ihre Anzahl hat sich damit seit Februar 2020 mehr als verdreifacht.
Grosse Medienhäuser und zwei unabhängige Frauen
Chartable.com, eine weltweit agierende Podcastagentur listet die in der Schweiz am meisten gehörten Podcast auf, allerdings ohne Angaben von konkreten Zahlen. Auf den vordersten Plätze befinden sich Deutsche Podcasts, SRF-Sendungen wie «Echo der Zeit» oder «Input», die nicht exklusiv als Podcast produziert werden oder Formate der grossen Medienhäuser, wie «Apropos» von Tamedia.
Als einer der wenigen unabhängigen Podcasts findet sich auf Platz fünf der «Beziehungskosmos». Hier sprechen die SRF-Journalistin Sabine Meyer und die Paartherapeutin Felizitas Ambauen über Beziehungsfragen. Die grosse Reichweite mag mit der Bekanntheit Meyers, der professionellen Machart als auch im Thema – welches uns mehr oder weniger alle angeht – begründet sein.
Der «Beziehungskosmos» sucht sich seine Hörerschaft also nicht in einer gesellschaftlichen Nische. Und als kleiner Trost für die in den Charts unterrepräsentierte Zentralschweizer Podcast-Szene: Ambauen ist Nidwaldnerin und lebt heute auch wieder in ihrem Heimatkanton.
«Der Podcast ist erwachsen geworden.»
schlussfolgert der Autor des Artikels
Auch wenn die Zahlenangaben nicht hunderprozentig verlässlich sein mögen, der gesellschaftliche Stellenwert, den der Podcast inzwischen erreicht hat, lässt sich auch an anderen Indikatoren ablesen. So wurden Podcasts wie «Homecoming» oder «Serial» als TV-Serien adaptiert. Ebenso hat das Medium – zumindest in Deutschland – einen eigenen grossen Branchenpreis. Und wie sehr das Genre in der breiten Masse angekommen ist, zeigt sich auch daran, dass es bereits Podcasts-Parodien – ähnlich der TV-Comedy-Show «Switch reloaded» – gibt.
Es setzt eine ziemliche hohe Bekanntheit in der Bevölkerung voraus, dass man sich über Podcast-Hosts und deren Eigenarten lustig machen kann. Zusammengefasst könnte also sagen: Der Podcast ist erwachsen geworden.
«Demokratisierung der Technik»
Für Mackay hat der rasante Zuwachs an Podcast mehr mit den Produzierenden als mit den Hörenden zu tun, sie nennt die Entwicklung «Demokratisierung der Technik». Heute habe jeder und jede die Möglichkeit, Zu-hörende zu erreichen, es brauche im Prinzip nur ein Smartphone. Auch die Software sei mittlerweile gratis zu bekommen. Ein Phänomen, das aber nicht nur auf Podcasts zutreffe, sondern für den ganzen Audiobereich gelte.
Trotz dem schwindelerregenden Anstieg von Podcasst in den vergangen Jahren: Den Peak sieht Mackay noch nicht erreicht. Und hofft auf das Gegenteil: «Das Angebot sollte noch breiter werden.» Einen möglichen Anstieg der Angebote sieht sie einerseits bei den Corporate-Podcasts, also Formate für und von Unternehmen, und andererseits in den Nischen. Wobei natürlich auch Erstgenannte ein Nische bedienen können. Beispielsweise gebe es in der Schweiz noch immer keinen spezifischen Hundepodcast, stellt Mackay fest. Die Mutter einer Tochter belegt übrigens selbst eine Nische in der Schweizer Nische. Privat produziert sie «Rotzphase», welcher sich an Punkrock-Eltern richtet.
Geld verdienen ist nicht
Bei der ganzen Flut an neuen Formaten, welche auf den Markt kommen, stelle sich einfach immer die Frage: Wird das Produkt auch von jemandem gehört? «Diese Frage stellen sich ja die allermeisten Musiker auch nicht und musizieren trotzdem weiter», so Mackay. Schlussendlich müssten sich die Produzierenden darüber im Klaren sein, wieso sie das Format ausstrahlen wollen.
Viele würden dies aus blossem Spass tun, andere hätten einen eher aufklärerischen Ansporn und wollten mit ihrem Thema in die Öffentlichkeit. «Die Podcasts habe ich in erster Linie für mich gemacht, weil sie machen wollte», sagt Nicolas von «gango lose». Daher habe er nie das Ziel verfolgt, möglichst viele Leute zu erreichen. Trotzdem hätten immer mehr Leute zugehört, «ganz natürlich». Heute erreiche er rund 300 Zuhörende.
In dieser Grössenordnung bewegen sich auch die die Zahlen von «Gedankengrün» und «Stammtischtrainer». Um die Hörerschaft zu vergrössern oder zumindest zu halten, ist es für Produzierende unerlässlich, auch auf Social Media präsent zu sein. Für «Gedankengrün» gleichzeitig «Fluch und Segen», wie Jasmin sagt. «Toll ist der Austausch, aber uns nerven die Algorithmen – daran halten wir uns eher nicht.» Auch fresse die Bewirtschaftung der Kanäle «wahnsinnig viel Zeit». Diese könne in Spitzenzeiten bis zu zwei Stunden täglich betragen. Dies zusätzlich zum Zeitaufwand für die eigentliche Sendung, welche die beiden auf jeweils vier bis fünf Stunden schätzen.
Ein virtueller Hut hilft
Es braucht einiges an Überzeugung und Ideologie, um soviel (Frei-)Zeit für die Produktion eines Podcasts aufzuwenden. Denn fest steht: Geld lässt sich, zumindest in der Schweiz, mit Podcasts kaum verdienen. Gemäss Cheyenne Mackay hat dies auch mit der allgemeinen Gratiskultur zu tun, welche die Hörerschaft davon abhalte, einen Obolus zu entrichten. Geschaltete Werbung während den Sendungen sei indes noch nicht so weit verbreitet, hier sieht Mackay in den kommenden Jahren allerdings noch Luft nach oben.
So bleibt den meisten Podcastern und Podcasterinnen nichts anderes übrig, als die Kosten «aus dem eigenen Sack» zu begleichen. So geht es auch Jasmin und Corinne. Mittlerweile hätten sie aber Spendende gefunden, welche regelmässig etwas in den virtuellen Hut werfen.
Nicolas ist in der glücklichen Situation, dass die geschätzten 200 Franken, die eine Sendung kostet, sowie die Personalkosten über die Firma laufen. Studio-Equipment wie Kamera oder Licht seien bereits vorhanden gewesen.
Über ein Aufnahmestudio verfügen auch die Stammtischtrainer. Finanziert wurde das Studio an der Luzerner Werftstrasse allerdings nicht mittels grosszügiger Spenden der Hörerschaft sondern von Adis eigener Firma, er produziert für seine IT-Unternehmung mittlerweile einen eigenen Interview-Podcast. Denn trotz Spendenaufrufen in jeder Sendung sind die Einnahmen der drei Podcaster aus den fast zwei Jahren bescheiden – mit dem Erlös können sie nicht mal die monatlichen anfallenden Kosten bezahlen.