Zentralschweizer Podcast-Küche I.
Kein Medium boomt wie der Podcast. Zwei Millionen Shows sollen weltweit abrufbar sein. Und auch die Zentralschweiz lässt von sich hören. Die Macher*innen von «Gedankengrün», «Stammtischtrainer» und «gango lose» im Gespräch.
Jonathan Furrer — 09/27/21, 03:45 PM
Der Podcast von Jasmin Marti (links) und Corinne Küng soll sich anhören wie ein «ehrliches Gespräch unter Freundinnen am Küchentisch». (Foto: zVg)
Die Stammtischtrainer kommen etwas aufgekratzt ins Neubad, war einiges los heute. Bevor das Interview beginnt, was im Nachhinein ein fast vierstündiges Fachsimpeln war, müssen Fabio Gschwind und Adi Tschopp noch kurz die letzten News austauschen und sacken lassen.
Der so erbarmungslose aufgestückelte Spielplan hält heute zwar ausnahmsweise inne. Aber um die beiden Fussballenthusiasten in Aufregung zu versetzten, muss nicht unbedingt gespielt werden, denn es ist «Deadline Day». Am Tag, an dem die Transferfenster in den meisten europäischen Ligen schliessen, überschlagen sich die Ereignisse. Diese zu verfolgen sei oft interessanter als ein Spiel, findet Adi, der als selbständiger IT-Berater arbeitet. Gerne hätten die Stammtischtrainer diese letzten Bewegungen auf dem Transfermarkt auch noch in ihrem Podcast besprochen, aber die aktuelle Folge steht bereits seit ein paar Stunden zum Streamen bereit.
Rastloser Fussballzirkus
Wahrscheinlich werden die drei Podcaster – zum Team gehört auch Primarlehrer Oli Zimmermann, der diese Woche ein Klassenlager begleitet – diese Randgeschichten aber auch nicht in ihrer nächsten Folge besprechen; denn in der Zwischenzeit werden bereits wieder unzählige Tore erzielt, umstrittene Schiedsrichterentscheide getroffen und vielleicht gar Trainer entlassen worden sein.
Wie sie es eben auch an in einer beliebigen Beiz ohne Mikro tun würden, sitzen die drei Mittdreissiger dann an ihrem virtuellen Stammtisch. Sie reden, philosophieren, analysieren, streiten über Fussball. Die drei Stadtluzerner haben den Anspruch, über die ganze Schweizer Liga zu berichten und bei der diensttäglichen Ausstrahlung das Spielgeschehen des Wochenendes zusammenzufassen. Was einen ganz schönen Aufwand mit sich bringt: Ob im Stadion oder vor dem Bildschirm, Flavio, Adi und Oli schauen sowieso viel Fussball, aber für den Podcast kommt noch der eine oder Match extra obendrauf. So guckt beispielsweise Primarlehrer Fabio, der privat kaum Podcasts hört, an einem Wochenende «bis zu fünf Spiele».
Neben dem aktuellen Spielgeschehen besprechen die Stammtischtrainer in der rund einstündigen Sendung jeweils auch ein grösseres Thema oder küren in der Rubrik «Top 3» beispielsweise die besten Torjubel aller Zeiten.
v.l.: Fabio Gschwind, Oli Zimmermann und Adi Tschopp. Für ein Spiel fahren die drei Stammtischtrainer auch schon mal nach München. Aber nicht etwa, um den grossen FC Bayern spielen zu sehn. Hier stossen sie im Oktober 2019 im Stadion des 3.Ligisten 1860 München an. (Foto: zVg)
Klare Kante zeigen
Seit der ersten Folge im Oktober 2020 haben die Stammtischtrainer bereits 47 Folgen des Podcasts ausgestrahlt. In die Sendungen gehen sie ohne Script oder Drehbuch, sagt Adi. Er bringe aber Notizen mit ans Mikro. Diese macht er sich wie seine Mitstreiter bei der Lektüre einschlägiger Online-Beiträgen, Zeitungsartikeln oder während dem Schauen der Spiele. Zum Konzept gehöre aber auch, nicht allzu perfekt und geschliffen rüberzukommen, erklärt Fabio. «Das wirkt authentisch, wie ein Gespräch an einem Stammtisch halt.»
So wichtig der Fussball im Leben der Stammtischtrainer auch ist, sie haben sich eine kritische Distanz bewahrt und betrachten ihren Lieblingssport nicht als blosse Fans sondern aus einer eher intellektuellen Perspektive. So prangern sie in der Sendung die Kommerzialisierung des Sports an oder zeigen bei Rassismus-Vorfällen in den Stadien klare Kante gegen Rechts.
Aus dem Hamsterrad
«Gedankengrün» ist ein weiterer Luzerner Podcast und seit Februar 2020 auf Sendung. Hier sprechen die «körperorientierte Coachin» Corinne Küng und die Sekundarlehrerin Jasmin Marti, beide Mitte 30, über Nachhaltigkeit und Achtsamkeit.
Es gehe ihnen darum, «Menschen zu inspirieren und unsere Gedanken zu teilen für einen achtsameren Umgang mit sich selbst und unseren gemeinsamen Ressourcen», sagt Jasmin. Und Corinne ergänzt: «Mir ist es wichtig, der Klimakrise nicht einfach hilflos entgegenzutreten. Ich sehe viele Möglichkeiten und Ressourcen für einen Wandel.» Auch findet Corinne, dass es «viele Menschen leid sind, sich in ihrem Hamsterrad zu bewegen.» Mit ihrem Format wollten sie zum Diskurs beizutragen, wie es auch anders gehen könne.
Die alte Garde
«Gango lose» ist vielleicht der älteste und der wohl am professionellsten produzierte Luzerner Podcast, die erste von mittlerweile fast 100 Episoden strahlte Host Nicolas Sigrist im Januar 2019 aus. Der 35-jährige Sigrist lädt wöchentlich Interviewgäste aus der Kreativbranche ins Aufnahmestudio im Luzerner Würzenbachquartier. Der Podcast kommt aus dem Haus von «gango luege», einer Filmproduktionsfirma.
«Seit der Firmengründung 2016 führen wir viele interessante Gespräche mit Personen, die sich selbständig gemacht oder Erfahrungen in der Führung einer eigenen Firma hatten», sagt Nicolas zur Entstehung des Podcasts. Dabei habe er festgestellte, dass sich viele Infos schnell wieder verflüchtigten. «Das fand ich schade. Mir war es ein Anliegen, dass sich auch andere inspirieren lassen, selbst etwas zu wagen.»
«Hiesige Podcasts bewegen sich unabhängig vom Thema in einer Nische.»
Cheyenne Mackay, Expertin für Podcasts
Nicolas ist aber auch so ehrlich, um zu sagen: «Der Podcast wird von uns auch ganz klar auch als Marketing-Instrument eingesetzt. Spannende Gäste und Gespräche erweitern unsere Reichweite.» Tatsächlich hätten sich mit einigen Gesprächspartnern später weitere Projekte ergeben. Zu Besuch in seiner Sendung waren übrigens auch die «Stammtischtrainer» sowie die Frauen von «Gedankengrün». Wie Nicolas sagt, die beiden einzigen ihm bekannten Podcasts aus der Zentralschweizer.
Dass die lokale Podcast-Szene überschaubar ist, bestätigen auch diese beiden: So etwas wie eine hiesige Szene, die im gegenseitigen Austausch stehe, gebe es nicht.
«Hiesige Podcasts bewegen sich unabhängig vom Thema in einer Nische», sagt Cheyenne Mackay, die unter anderem an der Luzerner Journalistenschule MAZ zum Thema Podcast doziert. Den Grund dafür sieht Mackay in unserer sprachlichen Eigenheit. Denn kaum ein Schweizer-Podcast wird nördlich des Rheins gehört, wo die potenzielle Hörerschaft statt 5 über 100 Millionen betragen würde.
Nicolas Sigrist verfügt über ein professionell eingerichtetes Studio im Würzenbachquatier. Hier empfängt er für den Podcast „gango lose“ wöchentlich Interview-Gäste. (Foto: zVg)
Wieso Deutschweizerinnen und Deutschschweizer fast ausschliesslich Mundart senden, liegt für Mackay, die als stellvertretende Geschäftsleiterin auch die Podcast-Agentur «Podcastschmiede» führt, auf der Hand: «Wir können uns in einer Fremdsprache, und das ist Hochdeutsch nun Mal, nicht so gut ausdrücken, viele fühlen sich beim Sprechen unwohl.» Eine Einschätzung, welche Corinne Küng teilt: «Wir senden auf Schweizerdeutsch, weil wir uns so differenzierter und authentischer ausdrücken können. Und andererseits gibt es durchaus immer auch wieder sozialräumliche Bezüge zu Luzern oder der Schweiz.» Trotzdem ist die Anzahl der Podcasts auch hierzulande beachtlich.