Trinken auf Arbeitszeit
Das alkoholhaltige Mineralwasser ist zurzeit in aller Munde. Wir opfern uns für euch auf und testen das Trendgetränk am eigenen Leibe.
Sara Hensler, Jana Avanzini, Martin Erdmann — 06/18/21, 06:55 AM
Zwischen Freude und Verachtung - unser Testteam bei der Arbeit: Sara Hensler, Jana Avanzini und Martin Erdmann.
Es verbreitet sich mit rasender Geschwindigkeit über den ganzen Globus und wer es hat, leidet wahrscheinlich am Verlust jeglichen Geschmackssinns: Hard Seltzer - alkoholhaltiges Sprudelwasser mit Fruchtaroma. Doch spätestens seit Vodka mit Red Bull gekreuzt wurde, weiss die Getränkebranche, dass mit alkoholischen Kapitalverbrechen gutes Geld zu verdienen ist.
So auch in diesem Fall. Hard-Seltzer-Marktführer White Claw hat im vergangenen Jahr nur schon in den USA einen Umsatz von 2,3 Milliarden US-Dollar verzeichnet. Das Marktfeld scheint so verlockend, dass selbst Coca-Cola mit der selbst auferlegten Abstinenz bricht und ins Alkopop-Geschäft einsteigt.
Nun versuchen die alkoholischen Sprudelwasser auch den Trinkkonsum der hiesigen Bevölkerung zu unterwandern. Coop nimmt sie ab Ende Mai ins Sortiment auf, Aldi hat bereits eine eigene Variante gebraut, selbst im Kasernenplatz-Kiosk in Luzern steht Hard Seltzer schon im Kühlschrank.
Der fruchtige Trend drängt also in die Mitte der Gesellschaft. Doch ist er wirklich so widerlich wie wir es befürchten? Oder ist er nach all den IPAs aus irgendwelchen Mikrobrauereien sogar eine willkommene Abwechslung? Damit ihr das nicht auf eigene Faust herausfinden müsst, haben wir uns eines Nachmittags getroffen, um alkoholisches Sprudelwasser mit Fruchtaroma zu trinken.
Das Testgetränk:
Wir entscheiden uns für Topo Chico aus dem Hause Coca-Cola. Alkoholgehalt: 4.7 Prozent. Preis: Rund 3 Franken pro Dose. Geschmacksrichtungen: Tangy Lemon Lime, Tropical Mango, Cherry Acai.
Die Testpersonen:
Sara Hensler: Sie hat das letzte Mal Alkopops getrunken, als Britpop noch ein Ding war. Sie fand das damals schon eklig, getraute sich aber nicht, das zuzugeben.
Jana Avanzini: Sie ist auf im Alkopop-Sektor durchaus bewandert. Mit 14 trank sie Smirnoff Ice und Bacardi Breezer bis die High Heels unter den Füssen nachgaben. Heute pflegt sie zu Alkopops aber keinen Kontakt mehr.
Martin Erdmann: Er ist entschiedener Alkopop-Gegner. Nach seinen Berechnungen fördert der Alkopop-Konsum das Risiko, sich ein Tribal-Tattoo stechen zu lassen, einen Subaru zu besitzen oder regelmässig Nachtclubs zu frequentieren, in denen hauptsächlich Reggaeton gespielt wird.
Tangy Lemon Lime
Hensler: Ich gebe zu: Wenn sie demnächst am Bahnhof Gratisdosen vom Tangy Lemon Lime an Pendler*innen verteilen, werde ich mich vielleicht sogar auch in die Schlange stellen. Zwar fand ich den Citrus-Geschmack mässig lecker – schmeckt wie das Knutwiler-Citro – und das Design mässig innovativ. Aber: Wer sich nach einem unauffälligem, völlig nicht nach Alkohol riechenden Räuschchen bei der Morgensitzung sehnt: Gönn dir Tangy!
«Mit jedem Schluck wird auch ein Stück Selbstachtung weggespült.»
Testtrinker Erdmann, den Tränen nahe
Avanzini: Ein bisschen riecht es nach dem Citro, dass ich immer bei meinem Grosi trank. Schöne Erinnerungen. Doch jetzt gilt es ernst, der erste Schluck: Es sieht aus wie Mineralwasser, schmeckt aber wie einer dieser 20 Rappen Kiosk-Kaugummis, nachdem man ihn schon drei Stunden gekaut hat.
Erdmann: Dieses Getränk schmeckt nach nichts und löst in mir emotionale Leere aus. Mit jedem Schluck wird auch ein Stück Selbstachtung weggespült. Ich habe angst, in den Spiegel zu schauen, wenn dieses erniedrigende Experiment überstanden ist. Aber was macht man nicht alles für die Wissenschaft.
Tropical Mango
Avanzini: Als ich die Dose öffne und meine Nase vorsichtig darüber schiebe, taucht vor meinem inneren Auge ein Wasserfall auf. Darunter eine halbnackte Frau, die sich ausserordentlich leidenschaftlich einshamponiert. «Fa, fühl dich fantastisch.» Der Duft würde irgendwie gut zu Urlaub in Rimini passen. Wieder durchsichtig. Görps. Seltsam ist ja irgendwie, dass es nicht aufputscht, nicht süss ist und nicht nach Alkohol schmeckt. Natural flavors steht hinten drauf. Görps. Das ist ja zum Lachen.
Erdmann: Der Dose entweicht ein unheilvoller Duft. So muss es gerochen haben, als die Büchse der Pandora geöffnet wurde.
«Ich kann mir kein Szenario ausmalen, in dem ich in das natürliche Habitat des Tropical Mango-Getränks eintauchen werde.»
Testtrinkerin Hensler, höchst skeptisch
Hensler: Wenn mein Leben davon abhängen würde, könnte ich durchaus einige Dosen vom Tropical Mango trinken. Abgesehen davon, kann ich mir kein Szenario ausmalen, wo ich in das natürliche Habitat des Tropical Mango-Getränks eintauchen werde. Weder seh’ ich mich an einer Indoor Beach-Bar mit Bordell im oberen Stockwerk. Noch habe ich vor, lustig gekleidet an einem Jungfernabend, Gegenstände gegen noch lustigere Gegenstände zu tauschen. Beides eher nicht so meine Hood, aber merci trotzdem.
Cherry Acai
Erdmann: Es schmeckt, als hätte man aus dem Barstreet-Festival ein Getränk gemacht.
Hensler: Das Getränk riecht schon wie ein violettes Kirschen-Gummibärli, das unter menschenfeindlichen Bedingungen im Labor hergestellt wurde. Schmecken tut es wie ein einst leckeres Cassis-Tröpsli, das in der Sporttasche verloren ging und nach sechs Wochen ganz unten neben dem Exotic-Passion-Deo von Fa wiedergefunden wird. Also ein durchaus leckeres Getränk für alle, die sich während dem Gymi stündlich ihre Achseln, Haare und Kleidung mit besagtem Deo einsprühten.
«Eigentlich ist das ganz lecker. Mineral mit bisschen Sirup. Görps. Ich glaub ich bin blau.»
Testtrinkerin Avanzini, scheint eine gute Zeit zu haben
Avanzini: Ich bin schon etwa schwach auf den Beinen und mein Kopf ist ganz heiss. Es riecht wieder schlimm: Nach Cherry-Cheesecake konzentriert auf die reine süsse Essenz. Eklig. Aber schmeckt eigentlich beim Trinken gar nicht so übel. Görps. Eigentlich ist das ganz lecker. Mineral mit bisschen Sirup. Görps. Ich glaub ich bin blau.
Fazit
Hensler: Viele wünschen sich, wieder jung zu sein. Ich wünsche mir, dass die Menschen, die gerne Alkopops trinken, dies möglichst weit weg von mir tun. Merci!
Avanzini: Es ist definitiv kein gutes Gefühl, von Hard Seltzer angetrunken zu sein. Ich sehnte mich danach so sehr nach einem Bier, einem Martini, einem Glas definierbaren Alkohols. Es fühlte sich an, als ob dir jemand etwas ins Mineral gekippt hätte. Denn man hat tatsächlich keine Ahnung, was für eine Art Alkohol da drin ist. Es wird übrigens auch nirgends erwähnt.
Erdmann: Einst war das zischende Geräusch einer geöffneten Dose der Vorbote für gute Zeiten. Heute lässt es mich nervös zusammenzucken, während kalter Schweiss über mein vor Schreck versteinertes Gesicht strömt. Nichts wird je wieder sein, wie es einmal war.