Cars, Touris, Postkarten
In der Stadt Luzern hat sich nach Corona erneut ein Unmut der Bevölkerung über grosse Reisegruppen breitgemacht. Der Luzerner Regierungsrat reagiert darauf mit einer Überarbeitung des Tourismusleitbildes. Ob das reicht? Ein Kommentar.
Heinrich Weingartner — 09/13/23, 09:08 AM
Schlange stehen für einen Spaziergang in der eigenen Stadt. (Fotos: Redaktion)
Der Massentourismus ist in Luzern nach Corona wieder so präsent, dass er sogar dem Wetter als Smalltalk-Gegenstand Konkurrenz macht. Klagen darüber, dass man in der Hertensteinstrasse nicht mehr vorwärts kommt, dass man im Löwencenter jeweils feststeckt, weil ein aus den Bussen flutender Touristenstrom die Durchgänge blockiert und dass Brücken im Sommer grundsätzlich gemieden werden müssen.
Der Luzerner Regierungsrat reagiert darauf mit einer Überarbeitung seines Tourismusleitbildes von 2009. Darin stehen nun trendige Zeitgeistausdrücke wie «Nachhaltigkeit», «Partizipation» und «Wettbewerbsfähigkeit». Es wird viel darüber geschrieben, dass der Tourismus nachhaltiger, digitaler und bevölkerungsnaher werden soll. Zu konkreten Massnahmen steht jedoch wenig. Das hat einen naheliegenden Grund: Die Überarbeitung hat eine Projektgruppe vorgenommen, in der ausschliesslich Vertreter*innen aus Wirtschaft, Tourismus und Behörden sitzen. Nachhaltigkeits- oder Digitalisierungsexpert*innen – also Menschen, die von diesen Themen etwas verstehen – fehlen.
Cars auf der Lauer beim Löwenplatz.
Ein Wirtschaftszweig, der seinem Wesen nach auf unökologischen Grundlagen wie Schnellreisen, kurzfristigem Konsum und Postkartenkultur basiert, lässt sich auf Papier zwar nachhaltig beschreiben. Aber in der Praxis sind die Tourismusorganisationen für die Umsetzung dieses Leitbilds verantwortlich, das steht darin auch schwarz auf weiss. Und diese sind verständlicherweise weniger an der Beständigkeit der Welt als vielmehr an der Beständigkeit ihrer eigenen Wirtschaftlichkeit interessiert.
Der Tourismus in der Stadt Luzern macht 8,3% der Wertschöpfung und fast 13% der Arbeitsplätze aus. Das ist alles andere als trivial und wird gerne als Argument ins Feld geführt, wenn es um die Daseinsberechtigung des Tourismus geht. Aber: Alles durch das Prisma der Wertschöpfung und den heiligen Gral der Arbeitsplätze zu betrachten, verzerrt die Problematik. Sollten wir uns nicht zuerst die Frage stellen, in was für einer Stadt wir leben wollen? Und auf dieser Grundlage entscheiden, wie und was für eine Wertschöpfung generiert werden soll?
Kein Ort sollte nur ein Produkt sein.
Es wird im neuen Leitbild behauptet, dass durch den Tourismus auch Angebote entstehen, die von den Ortsansässigen genutzt werden können. Gleichzeitig kämpft die hiesige Bevölkerung bei günstigem Wohn- und Freiraum um jeden Millimeter. Und wenn wie zuletzt 2016 sogar bei der Bildungsversorgung der Sparhammer angesetzt wird, erscheint der Verweis auf die Wertschöpfung und die bevölkerungsnahen Angebote der Tourismusindustrie ziemlich fragwürdig.
Es liegt auch eine gewisse Tragik darin, dass das Fremde immer mehr als Masse angesehen wird, dass Besuchende eher als Eindringlinge wahrgenommen werden – als Horde, die die Strassen der Altstadt überrennt. Dieses unangenehme Gefühl birgt die Gefahr, sich in Fremdenfeindlichkeit zu verwandeln. Schleichend und kaum zu bemerken. Das muss unbedingt und mit allen Mitteln verhindert werden.
Aber die Kommerzialisierung und Kommodifizierung des Reisens, so wie sie in Luzern via Massentourismus angestrebt wird, ist ein weiterer Nagel im Sarg der kosmopolitischen Idee. Das Reisen sollte die Welt grösser machen und sie nicht verengen. Wenn wir schon beim gegenseitigen Besuch frustriert die Augen verdrehen, wie sollen wir dann in Zukunft überhaupt gemeinsam existieren? Da kann noch so von Nachhaltigkeit und ihren schwammigen Kompars*innen geredet werden: Was wir wirklich brauchen, ist eine ehrliche Diskussion. Über Lebensräume und darüber, wie das Reisen aus den Fängen des Konsums befreit werden kann. Kein Ort sollte nur ein Produkt von sich selbst sein.
Infobox: Neues Tourismusleitbild Das kantonale Tourismusleitbild stammt aus dem Jahr 2009. Aufgrund von zwei Motionen im Kantonsrat und einem «gewissen Unbehagen in der Bevölkerung» hat sich der Regierungsrat dazu entschieden, das Leitbild zu aktualisieren und anzupassen. Der Entwurf war seit Juni bis am 4. September 2023 in der Vernehmlassung und die Bevölkerung hatte in den Sommerferien Zeit, dazu Stellung zu nehmen. Jetzt geht das Leitbild in das Kantonsparlament und der Regierungsrat bereitet eine auf das Leitbild abgestimmte Änderung des Tourismusgesetzes vor. Weiterführende Artikel: |