Pablo Vögtli im Portrait
Pablo Vögtli gilt als eine der einflussreichsten Personen im Schweizer Rap-Kuchen. Deswegen steht er immer wieder in der Kritik. Wer ist dieser Mann?
Martin Erdmann — 06/19/23, 09:52 AM
Pablo Vögtli hat sich mit 13 dem Rap verschrieben und steht auch heute noch auf Bühnen. (Fotos: zvg)
Eigentlich raucht er nicht, bevor er ins Gym geht. An diesem Montagnachmittag zündet Pablo Vögtli jedoch eine selbstgedrehte Zigarette nach der anderen an. Er sitzt an einem Aussentisch vor dem Cafe Alfred in der Luzerner Neustadt und regt sich über sein Hassgericht auf. «Fucking Lasagne! Eine gute Lasagne ist etwas vom Geilsten, das es gibt. Meistens ist sie aber irgendeine Pampe ohne Konsistenz und verbrannte Ecken.»
Solche Sätze gehören zu Pablos Markenzeichen. Pointiert und in einem Tempo heruntergerattert, als hätte er sie Zuhause auswendig gelernt. Sein Redebedarf scheint permanent hoch. «Ich spreche sehr gerne über Dinge, über die ich Bescheid weiss.» Seine Gesprächsthemen seien jedoch sehr limitiert. Sie bestehen hauptsächlich aus zwei Punkten. Essen und Rap.
Früher stand er mit einem Jazz-Ensemble als Backing-Band auf der Bühne, heute ist Pablo meist nur noch Back-up-MC für seine Rapperfreunde.
In seiner frühen Jugend hat Pablo zum Hip-Hop gefunden. Seit 2011 hinterlässt der hünenhafte Mann mit Samuraifrisur und Schuhgrösse 49.5 als Moderator der einflussreichsten Rap-Sendung der Schweiz seine Fussabdrücke in der Szene. Manche sehen ihn als unbarmherzigen Türsteher des Rap-Games. Andere kritisieren ihn, weil er Rapper in seinen Sendungen eingeladen hat, die sich diskriminierend geäussert haben. Er selbst sieht sich als leidenschaftlicher Hip-Hop-Fan, bei dem die Kunst immer an erster Stelle steht.
Das wirft die Frage auf: Wer ist Pablo Vögtli und wie geht der Enddreissiger mit einer jugendlichen Subkultur um, deren Anspruchshaltungen immer diverser werden?
Kulturschock in der Kindheit
Hongkong in den 1990er-Jahren. Pablo erinnert sich an eine kleine Fischerinsel. Blaue Tonnen stehen am Pier. Darin schwimmen lebende Krebse. Pablo darf sich einen aussuchen, im nahegelegenen Restaurant wird das Krustentier für ihn und seine Eltern zubereitet. Die Metropole an Chinas Südküste war das Zuhause von Pablos Kindheit. Das hing mit dem Beruf von Pablos Vater zusammen. Der war damals Rohstoffbroker. «Ein Job, bei dem du dem Teufel recht nahe stehst», sagt Pablo.
Weil Hongkong in den 90er-Jahren Territorium des britischen Königreichs war, spricht Pablo fliessend Englisch.
Als Pablo 10 Jahre alt war, zog die Familie zurück in die Schweiz. Von der Millionenstadt Hongkong in die thurgauische Ortschaft Steckborn am Bodensee. Pablo wohnte in einem alten Bauernhaus am Dorfbach. «Der Kulturschock war brutal und die Umstellung extrem hart.» Er hatte Probleme in der Schule. In manchen Fächern war er voraus, in anderen hatte er Defizite. «Ich war in der Mathi- und Blockflötennachhilfe.»
Kampfsaufen und Joints
Von der Ostschweiz ging es nach Küssnacht im Kanton Schwyz. Pablo wechselte ans Gymnasium Immensee. «Die eine Hälfte waren Bonzen, die andere Jugendliche aus der Region.» Pablo stand irgendwo in der Mitte. Bei den Kiffern fand er Anschluss. «Wir rauchten Joints des Grauens in der Hohlen Gasse.»
Eine 2,5 in Mathematik und unzählige Joints: Pablos Zeit am Gymnasium Immensee war aus schulischer Sicht kein Höhenflug.
Schule verkam zur Nebensache, Pablo sammelte unentschuldigte Absenzen. Statt den Unterricht wurde beispielsweise der Europapark besucht. «Die Mittel kamen von wohlhabenden Schülern, der zerstörerische Kampfsäufer-Geist von den normalen Kids. Das war eigentlich eine geile Paarung.»
Mit einem mittelmässigen Abschluss und schwammigen Zukunftsvorstellungen endete seine Schulzeit. «Ich wollte Philosophie studieren und irgendeinen Job, um die Welt zu verbessern.» Dass er sein Geld einmal mit seiner grössten Leidenschaft verdienen würde, hätte er damals nicht geglaubt.
Als Rapper am Punkfestival
Im Cafe Alfred lobt Pablo gerade das Schaummuster seines Milchkaffees, der vor ihm auf den Tisch gestellt wird. «Schön Bro, da überlege ich mir fast schon eine douchebagy Insta-Story zu machen.» Auf der Social-Media-Plattform folgen ihm bald 10’000 Menschen.
Der Grundstein für diesen Bekanntheitsgrad liegt in Pablos Schulzeit. Mit 13 Jahren hat er eine poetische Ader in sich entdeckt, begann Gedichte zu schreiben und hat diese während der Mittagspause im abgedunkelten Schulzimmer vorgetragen. Die sporadischen Anlässe nannte er «Pablos Poesie».
Das Publikum für seine Wortkünste ist über die Jahre weit über den Kreis der Klassengemeinschaft hinausgewachsen. Mit Japrazz spielte er Shows in der ganzen Schweiz - einer Gruppe, die sich mit Live-Instrumentation am jazzy Hip-Hop der 90er-Jahre orientierte.
Die Band war umtriebig, veröffentlichte Alben, wurde auch ausserhalb der Rap-Bubble wahrgenommen. So spielte sie auch einmal an einem Punkfestival in Burgdorf oder an der Eröffnung eines Technoschuppens in Zürich. «Der Clubbesitzer fragte uns nach fünf Songs, ob wir nicht House spielen könnten. Das war schrecklich.»
Er will kein Gatekeeper sein
Pablo wollte von der Musik leben. Doch der grosse Durchbruch blieb aus. «Ich habe psychopatisch viel gekifft in meinen Zwanzigern und war wirklich sehr verhängt.» Dann kam plötzlich ein Angebot, dass seine Karriere in eine völlig andere Richtung leiten sollte. Ab 2011 war Pablo Moderator von «Bounce», der Hip-Hop-Sendung auf SRF Virus.
Durch den Posten wurde er über die Jahre quasi zum Mediensprecher der Schweizer Rapszene. Während er als Rapper ein nach wie vor nimmersattes Ego hat, fühlt er sich als Moderator teils etwas zu fest exponiert. Denn gegen die Reichweite seiner SRF-Sendung kommt kein anderes Rap-Format des Landes an. «Es ist unangenehm, quasi eine Monopolstellung zu haben.»
Und dennoch gibt es Bereiche, in denen Pablo die Fäden nicht aus der Hand gibt. Zum Beispiel beim Lineup des Cyphers, der jährlichen Zusammenkunft der Hip-Hop-Szene. Rapper:innen aus der ganzen Schweiz bekommen kurze Zeitfenster zugeteilt, um ihre Fähigkeiten am Mikrofon unter Beweis zu stellen. Der mehrstündige Anlass wird im SRF-Studio aufgenommen und im Internet live übertragen. Auf Youtube haben dieses Jahr über 116’000 User mitgeschaut.
Wer von Pablo eingeladen wird, kann also mit nationaler Aufmerksamkeit rechnen. Dementsprechend begehrt sind die Einladungen. Ist es für die Szene gesund, wenn diese vom Wohlwollen von nur einer Person abhängt? Ist Pablo der Gatekeeper der Rapszene, als den er gerne dargestellt wird?
«Ich habe diesen Ausdruck nicht gerne, da er eigentlich immer nur im negativen Kontext gebraucht wird», sagt Pablo. Irgendjemand müsse eben entscheiden, wer an den Cypher kommen darf und wer nicht. «Ich versuche diesen Job so ehrenhaft, fair und divers zu machen, wie es nur geht.»
«Die machen wahrscheinlich demonstrativ eben nicht das, was der Hip-Hop-Onkel gut findet.»
Er will aber gar nicht abstreiten, dass er in seiner Rolle eine Machtposition innehat. «Aber mein Einfluss wird überschätzt. Ich bestimmte nicht, wer durchstartet und wer nicht.» Das, was die Szene immer wieder verändert, seien neue Leute, die Innovation mit sich bringen. Die würden den Weg in die Öffentlichkeit auch ohne ihn finden. «Die machen wahrscheinlich demonstrativ eben nicht das, was der Hip-Hop-Onkel gut findet.»
Zwischen Reflexion und Opportunismus
Vor dem diesjährigen Cypher wurde Pablo über mehrere Monate hinweg von der Angst geplagt. Er fürchtete sich, dass es ähnlich enden könnte wie im Jahr zuvor. Da löste der Cypher einen veritablen Shitstorm aus, weil einige Rapper mit sexistischen, homophoben oder anderweitig diskriminierenden Texten ans Mikrofon traten. Als Lineup-Verantwortlicher sah sich Pablo massiver Kritik ausgesetzt. Die Breite der Beanstandungen zeigte, dass Schweizer Rap längst nicht mehr ein nischiger Nebenschauplatz des nationalen Musikschaffens ist, sondern im Fokus der Öffentlichkeit auftaucht.
Dieses Jahr sollte alles besser werden. Ein schwieriges Unterfangen. Einerseits wollte Pablo glaubwürdig und entschlossen jeglicher Form von Diskriminierung entgegentreten. Andererseits wollte er mit dem Aufgebot einen authentischen Einblick in die Schweizer Rapszene geben, ohne dabei künstlerische Freiheiten zu verletzen. «Der Druck, allen Erwartungshaltungen gerecht zu werden, war enorm.»
Pablo suchte das Gespräch mit Rappern, die in der Vergangenheit mit problematischen Textzeilen auffielen. «Aber zum Beispiel den Strassenrap-Jungs aus Zürich zu erklären, dass Rap nicht nur darum gehen kann, wie viele Frauen man gefickt und wie viele Drogen man verkauft hat, ist schwierig.»
Manchen bläute er vor dem Cypher per Disclaimer nochmals die Anstandsregeln ein. Direkt in deren Texte eingreifen wollte er jedoch nicht. «Das wäre Zensur. Ich hab sie lediglich darum gebeten, etwas zu schreiben, zu dem sie auch noch in fünf Jahren stehen können.»
«Tatsächlich habe ich bei vielen Rappern ernsthafte Reflexion gespürt.»
Seine Bemühungen scheinen gefruchtet zu haben. Zwar konnten problematische Lines nicht gänzlich ausgemerzt werden, doch es war eine deutliche Verbesserung zum Vorjahr festzustellen. Der grosser Aufschrei der Öffentlichkeit blieb aus. Ein Anzeichen für ein Umdenken im Schweizer Rap? «Tatsächlich habe ich bei vielen Rappern ernsthafte Reflexion gespürt.» Bei anderen habe aber eine grosse Portion Opportunismus mitgespielt: «Sie checken, dass es nicht mehr gut ankommt, beispielsweise diskriminierende Wörter für Frauen zu gebrauchen.»
Zeit für den Hip-Hop-Ruhestand?
Pablo will sich von der neuen Offenheit für Selbstreflexion der Schweizer Rapszene nicht ausnehmen. Doch gewisse Rückmeldungen versucht er gezielt auszublenden. Sie lauern in den Tiefen der Youtube-Kommentarspalten und zielen darauf ab, ihn zu verspotten. «Manche Kommentare können mich schon fertigmachen. Damit muss ich eben leben können, aber es geht mir immer wieder unter die Haut.»
Zum Beispiel, wenn es um sein Alter geht. Pablo geht auf die 40 zu, viele seiner Sendungsgäste sind gut halb so alt. Dennoch hantiert er mit grosser Selbstverständlichkeit mit den neuesten Slangausdrücken. Oft wird ihm vorgeworfen, er redet nur so, um sich bei der Jugend anzubiedern. «Diese Leute checken aber nicht, dass seit ich 13 bin, Hip-Hop mein Leben ist. Ich darf Slangausdrücke benutzen, sie gehören zu meiner Sprache.»
Sein Deutsch ist mit reichlich Anglizismen gespickt: Pablo updatet seine Sprache regelmässig mit den neuesten Ausdrücke der Rapszene.
Doch dadurch wird ihm auch aufgezeigt, dass er nicht mehr zur jungen Generation gehört. Wie lange ist er noch die richtige Person, um die populärste Jugendkultur der Welt zu repräsentieren? «In dieser Frage versuche ich möglichst ehrlich mit mir zu sein. Wenn ich plötzlich die neuesten Slangwörter nicht mehr verstehe, dann ist es Zeit zu gehen.»
Auf der Suche nach Liebe
Der Zeitpunkt des Aufhörens scheint für Pablo momentan aber noch in weiter Ferne zu liegen. Bis dieser kommt, will er sich ein zweites Standbein aufbauen. Zum Beispiel etwas mit Kochen. «Mein Lebenstraum ist es, auf Hanoi auszuwandern, dort Kochcontent zu produzieren, einen Schweizer Lohn zu verdienen und zu leben wie ein Gott.»
Im Cafe Alfred hat der Nachmittagsbetrieb begonnen. Die Tasse, die vor Pablo auf dem Tisch steht, ist inzwischen leer. Es besteht kein Zweifel, dass er bis Betriebsschluss hier sitzen und über Rap und Essen reden könnte. Wieso lösen seine Leidenschaften ein solches Mitteilungsbedürfnis aus? «Es ist ein Streben danach, geliebt zu werden. Der Wunsch, dass mich die Leute gernhaben, ist ein grosser Faktor in meinem Leben.»