Samuel Savenberg
Samuel Savenberg alias SSSS tauft diese Woche sein neues Album im Südpol. Wir haben mit ihm über musikalischen Menschenhass, uncoole Instrumente und Übernachtungen in besetzten Häusern gesprochen.
Martin Erdmann — 04/17/23, 09:39 AM
Er arbeitet in Berlin, als zu gross für Luzern sieht sich Samuel Savenberg aber keinesfalls. (Foto: mer)
Du wohnst in Berlin, hast Tattoos, produzierst elektronische Musik und bist auch als DJ unterwegs. Wieso klingt dein Leben wie ein einziges Klischee?
Von aussen betrachtet mag das etwas klischiert wirken, es hat sich aber einfach so ergeben. Lustigerweise haftet mir in Berlin ein völlig anderes Vorurteil an. Bloss weil ich an der Hochschule der Künste in Bern einen Bachelor in Sound Arts gemacht habe und auch Musik für Theaterstücke mache, kriege ich hier sehr oft zu hören, ich mache ja bloss «Künstlermusik». Hauptsächlich sagen mir das tätowierte Technoleute.
Was an dir entspricht überhaupt nicht dem Bild vom urbanen Underground-Musikproduzent?
Ich bin weder der Typ, der nie schläft und nonstop durcharbeitet, noch hänge ich dauernd auf Partys rum. Eigentlich bin ich viel lieber alleine. Ich stehe früh auf, trinke Kaffee und gehe dann zwei, drei Stunden spazieren. Danach beginnt die Arbeit.
«Es ist mir peinlich, wenn ich als Berliner Act angekündigt werde.»
In Berlin zu arbeiten, macht sich gut im Promotext. Doch was bringt dir das als Künstler effektiv?
Nichts. Es sagen immer alle, Berlin sei super für den Austausch. Ich bin aber sehr schlecht im Connecten und kann nicht Networken. An Partys mit Leuten in Kontakt kommen oder mit ihnen Kaffee trinken gehen – solche Dinge liegen mir einfach nicht. Es ist auch nicht so, dass die Stadt irgendeinen Einfluss auf meine Musik hätte. Deswegen ist es mir sogar peinlich, wenn ich als Berliner Act angekündigt werde. Das ist völlig absurd! Ich bin hauptsächlich wegen meiner Partnerin in Berlin und weil das Leben hier billiger ist als in der Schweiz.
Ein passionierter Spaziergänger: in Berlin ist Samuel täglich mehrere Stunden zu Fuss unterwegs. (Foto: zvg)
Dein neues Album wird dennoch in Luzern getauft. Ein Zeichen, dass du doch nie über diese Stadt hinausgewachsen bist?
Ganz ehrlich: Vielleicht schon. Der Aufenthalt in Berlin hat mir schon etwas die Realität vor Augen geführt. Es gibt unzählige Leute, die etwas in die gleiche Richtung machen und auf dich hat niemand gewartet. Aber ich sehe meine Karriere deswegen sicher nicht als gescheitert an. Die Releaseshow im Südpol zu machen hat sich spontan ergeben und macht einfach Sinn. Schliesslich bin ich von hier.
An popkulturellen Standards gemessen ist deine Musik schwer zugänglich. Wie viel Zeit sollte man einplanen, um ein Album von dir zu verstehen?
Das ist schwer zu sagen, weil ich meine Musik manchmal selber nicht so ganz verstehe. Ich habe mich immer wieder missverstanden gefühlt, dann aber realisiert, dass mich die Leute wegen Dingen einschätzen, die ich einmal gesagt oder getan habe, die aber für mich längst nicht mehr aktuell sind. Ich bin manchmal sehr sprunghaft, deshalb ist es teils sicher schwierig, mir folgen zu können.
Was kann man denn aus deiner Musik mitnehmen?
Trost. Das klingt kitschig, aber immer wieder schreiben mir Leute, meine Songs hätten sie durch schwierige Zeiten begleitet. Wenn andere Musikschaffende solche Dinge erzählen, muss ich darüber lachen, weil es so abgedroschen klingt. Aber solches Feedback geht schon nicht spurlos an einem vorbei. Musik soll in erster Linie etwas sein, das gute Gefühle weckt.
Das überrascht. Schliesslich ist dein Gesamtwerk von Nihilismus und Misanthropie durchtränkt. Wird das auf Dauer nicht langweilig?
Kann sein. Aber so ist eben das Leben, da ist nichts zu machen. Meine Musik klingt zwar erstaunlich oft, wie von dir beschrieben, hat aber schlussendlich nichts mit meiner emotionalen Befindlichkeit zu tun. Da wird manchmal zu viel hineininterpretiert.
Ist das Gesamtprodukt also gar nicht so vielschichtig, wie man das meinen könnte?
Grundsätzlich mache ich keine wahnsinnig intellektuelle Musik. Zum Beispiel sind einige Songtitel völlig losgelöst vom eigentlichen Track entstanden. Dennoch gibt es sehr durchdachte Dinge. Die fallen aber kaum jemandem auf. Auf gewisse Übergänge zwischen verschiedenen Songparts bin ich recht stolz, aber darauf angesprochen werde ich nie.
Schattenwesen oder Lichtgestalt? Samuels ästhetische Vorlieben sind wechselhaft. (Foto: zvg)
Düsterheit und musikalische Boshaftigkeit gehören längst zu deinem Image. Hast du manchmal das Gefühl, du wirst nur gebucht, damit Festivalorganisatoren ihrem Line-up eine gewisse Kantigkeit verleihen können?
Auf jeden Fall und das wurde mir von einigen Bookern auch schon klar so gesagt. Zu Beginn hat mich das ehrlich gesagt etwas verletzt. Ich konnte das nicht nachvollziehen, denn ich glaube nicht, dass ich dieses dunkle Image aktiv fördere. Aber es ist schwierig, da rauszukommen. Auf meinem letzten Albumcover waren Blumen zu sehen. Viele meinten, das sei als zynisches Statement zu verstehen. Dabei hat mir einfach das Bild gefallen.
Samuel mag auch Blumen: Das Cover vom vorletzten SSSS-Album «Walls, Corridors, Baffles».
Auf deinem neuen Album schlägst du teils schon fast hoffnungsvolle Töne an. Hast du Frieden mit der Welt geschlossen?
Ich glaube nicht. Aber die Idee zu diesem Album trage ich schon lange mit mir herum. Deshalb ist es für mich komisch, dass es von aussen als etwas völlig Neues wahrgenommen wird. Manche Sachen habe ich bisher aber auch nicht getraut zu machen, weil ich das Gefühl hatte, das darf man nicht.
Was zum Beispiel?
Melodien so viel Raum zu geben. Oder mit Bläsern zu arbeiten. Ich habe lange nicht herausgefunden, wie ich das machen kann, damit ich es auch cool finde.
Das Album wird als zugänglichstes all deiner Werke angekündigt. Bist du es leid, nicht verstanden zu werden?
Das spielt sicher etwas mit, weil das kann schon nerven. Das muss man aber einfach akzeptieren, wenn man etwas macht, das in der Öffentlichkeit stattfinden soll.
Diverse Blasinstrumente haben den Weg auf das Album gefunden. Stösst du mit synthetischen Klängen langsam an deine Grenzen?
Ich arbeite eigentlich selten bloss mit Synthesizern. Ich nehme zum Beispiel oft Gitarrenspuren auf und verfremde sie dann. Mit Instrumenten kann man Klängen einfacher eine gewisse Bewegung verschaffen. Bei synthetischen Tönen ist das schwieriger.
Aber wie kommst du ausgerechnet auf Trompete und Horn?
Das hat eigentlich etwas sehr Uncooles und das mag ich. Es geht dabei überhaupt nicht darum, mit der elektronischen Musik zu brechen. Ich habe mich einfach nach weiteren Optionen umgesehen und Bläser haben sich sofort gut angefühlt. Vielleicht auch, weil es Instrumente sind, die in diesem Kontext kaum gebraucht werden.
Bevor Samuel sich entschieden hat, primär alleine Musik zu machen, hat er in mehreren Bands gespielt. (Foto: zvg)
Deine Musik lässt es nicht vermuten, aber du bist Spass nicht gänzlich abgeneigt. Wieso bleibt dein Schaffen konsequent humorfrei?
Humor in der Musik finde ich oft nicht geil. Das ist einfach nicht mit meinen ästhetischen Grundsätzen zu vereinbaren.
«Politische Musik finde ich meistens scheisse.»
Mit 13 Jahren hast du dich im Kinderparlament für autofreie Sonntage eingesetzt, heute hörst du linksradikale Podcasts. Wie viel Politik versteckt sich in deiner Musik?
Ich will keine Politik in meiner Musik. Politische Musik finde ich meistens scheisse, denn die Ästhetisierung von Politik sehe ich als Problem. Es ist absurd, etwas anzuprangern und damit Geld zu verdienen. Das kann ich einfach nicht ernst nehmen. Der Raum, in dem meine Musik gespielt wird, kann durchaus politisch sein, meine Songs werden es dadurch aber nicht. Ich will mich nicht zu irgendwas positionieren müssen, nur weil man findet, dass das nun zum guten Ton gehört. Diese Art von Aktivismus, der gerade in der Clubkultur verbreitet ist, hat für mich mit Politik nichts zu tun. Da geht es hauptsächlich um Selbstinszenierung und Vermarktung. Es ist aber auch in Ordnung, wenn Leute dadurch auf gewisse Themen aufmerksam werden.
Als 14-Jähriger hast du mit deiner Hardcore-Band einfach gestrickte Zweiminuten-Songs gespielt. Heute verbringst du Stunden damit, eine Kickdrum zu erstellen. Wie ermüdend ist es, verkopfte Musik zu machen?
Ich glaube nicht, dass meine Musik sonderlich verkopft ist. Deshalb fühlt es sich auch nicht anstrengend an, sie zu machen. Dabei hilft sicher, dass ich mich sehr für nerdige Dinge begeistern kann.
Eigentlich hätte Samuel auf seinem neuen Album auch singen wollen, hat aber die passende Stimme dazu noch nicht gefunden.(Foto: zvg)
2004, da warst du 17, hast du in einem Interview gesagt: «Ich kann es mir eigentlich nicht vorstellen, ohne Band zu sein. In einer Band zu spielen ist für mich wie Therapie.» Heute bist du vor allem solo unterwegs. Was ist passiert?
Eine Band zu haben, bedeutete für mich damals, etwas mit Freunden zu machen. Ich neige aber schon stark dazu, mich von allem abzuschotten. Lange finde ich das super entspannend, merke aber plötzlich, dass mir das nicht guttut und das nicht gesund ist. Für das neue Album habe ich wieder vermehrt mit anderen Leuten zusammengearbeitet. Da kam vieles zurück, das ich vermisst habe.
In jungen Jahren hast du mit deinen Hardcore-Bands für wenig Geld in heruntergekommenen Locations in ganz Europa gespielt. Was vermisst du am wenigsten daran, in besetzten Häusern zu übernachten?
Auf Bühnen mit Bierpfützen zu schlafen und das Chili sin Carne.
Inzwischen bist du in der renommierten Elbphilharmonie in Hamburg aufgetreten, komponierst Musik für Theaterproduktionen und streichst dicke Fördergelder ein. Wie fühlt es sich an, vom Kultur-Establishment geschluckt worden zu sein?
Nicht so, wie man es sich vorstellt. Denn auch jetzt kommt dabei sehr wenig Geld rein und ich lebe unter dem offiziellen Existenzminimum. Dazu kommt sehr viel Ungewissheit. Oft arbeite ich projektbasiert und es gibt Momente, in denen ich nur darauf warte, dass ein neuer Auftrag reinkommt. Da hätte man eigentlich Zeit, sich um andere Dinge zu kümmern, aber die Anspannung lässt das nicht zu. Es ist alles sehr unstetig. Das führt wohl zu einem Herzkasper mit 50.
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Du bist über 20 Jahre als Musiker im Nachtleben aktiv. Was stellst du für Abnutzungserscheinungen an dir fest?
Nicht viele. Nur diese Unstetigkeit geht an die Nerven. Die Ungewissheit, ob ich in 20 Jahren ein ruhiges Leben führen kann mit dem, was ich mache. Das macht mir viel mehr Sorgen als meine Leberwerte. Zudem habe ich sehr gute Haut.
Zum Schluss eine Servicefrage für Nachwuchsraver: Du hast schon im berüchtigten Technoclub Berghain gespielt, der für seine harte Eintrittspolitik bekannt ist. Wie kommt man da als Gast garantiert rein?
Keine Ahnung, privat gehe ich da nicht hin.
Releaseshow im Südpol Das neue Album von Samuel Savenberg wird am 20. April im Südpol getauft. Die neuen Tracks werden mit einer Liveband vorgetragen, in die alte Weggefährt:innen von Savenberg wie Belia Winnewisser oder Dominik Bienz involviert sind. Hier können Tickets gekauft werden. Das Album gibt es in digitaler Form bei Präsens Editionen. Mehr Musik und Infos findest du auf Instagram und Soundcloud. Du willst gratis an die Plattentaufe? Wir verlosen 2x2 Tickets. Schreibe uns eine Mail an [email protected] |