Fast Food aus der Hölle
Der Calzone Kebab erobert immer mehr Speisekarten von Dönerbuden. Kultz-Redaktionsleiter Martin Erdmann hat ihn für euch getestet. Eine Gastrokritik des Grauens.
Martin Erdmann — 03/27/23, 03:00 PM
Direkt aus Teufels Küche: Der Calzone Kebab.
Seit der Calzone Kebab in mein Leben getreten ist, habe ich den Glauben an das Gute in dieser Welt verloren. Er ist ein teigiges Monstrum, in dessen Inneren sich Geschwüre aus Fleisch, Schmelzkäse, Cocktailsauce und ganz viel Hass auf die Menschheit eingenistet haben. Der Calzone Kebab ist das leidenschaftslose Ergebnis einer kulinarischen Zwangsheirat zwischen italienischer und türkischer Küche. Im Fastfood-Familienstammbau besetzt er den Rang des schmierigen Onkels der Dönerbox.
Wie viel zynische Boshaftigkeit muss man in sich tragen, um eine solch bestialische Kreation zu erschaffen? Und wie konnte sie Teufels Küche entfliehen, um sich unbemerkt in den Niederungen unseres Ernährungskreislaufs einzunisten? Als aufrechte Stütze der Gesellschaft sehe ich es als meine Pflicht an, mich diesem Ungetüm zu stellen und die moderne Zivilisation davor zu warnen. Also trete ich die Reise zu meinem persönlichen Mordor an: Einem Kebabhaus im Tribschenquartier.
Stellt sein Leben gerade in Frage: Kultz-Redaktionsleiter Martin Erdmann und sein Calzone Kebab.
Dunkle Wolken hängen über Luzern. Die unbarmherzige Bise peitscht den Geruch von Weltuntergang durch die Strassen. Es ist kurz nach 15 Uhr und ich nähere mich mit entschlossenem Schritt dem kulinarischen Kerker. Ich habe niemandem von meinem Vorhaben erzählt. Niemand soll wissen, was ich für den Fortbestand der Menschheit auf mich nehme. Falls ich scheitere und mein lebloser Körper neben einem halb aufgegessenen Calzone Kebab gefunden werden sollte, so beerdigt mich auf einem der prominentesten Plätze dieser Stadt und dekoriert mein Grab täglich mit frischen Blumen.
Mit einer Mischung aus Deutsch und Brechreiz gebe ich meine Bestellung auf.
Mit Tränen der Rührung über meine eigene Tapferkeit betrete ich den Laden. Zu meiner Überraschung hängt im Lokal kein ausgeprägter Schwefelgeruch, keine Lavaströme schiessen zwischen den Tischen hindurch und keine arme Seelen werden von Dämonen bis in alle Ewigkeiten gequält. Doch das Böse hat viele Gesichter, ich bleibe wachsam.
Ich gehe die leuchtende Speisekarte über der Theke durch. Mein Blick bleibt stehen, meine Augen beginnen zu tränen: Calzone Kebab, 16 Franken. Mit einer Mischung aus Deutsch und Brechreiz gebe ich meine Bestellung auf. Die Bedienung ist ausgesprochen freundlich. Es muss eine besonders perfide Art der Verhöhnung sein.
Ein offener Bruch? Schlimmer: Calzone Kebab.
Wie eine angefahrene Katze schleppe ich mich in die hinterste Ecke des Lokals, um mich meinem Schicksal zu ergeben. Der Essbereich ist leer. Nachmittägliche Stille legt sich über den Raum. Es ist ein tröstender Gedanke, dass mich niemand bei meinem Kampf mit dieser Bestie der Kochkunst beobachten muss. Es gibt Dinge, die die Strapazierfähigkeit der menschlichen Netzhaut überschreiten.
Dann steht er plötzlich vor mir: Der Calzone Kebab. Er hat die Grösse eines dicklichen Neugeborenen und trägt Cocktailsauce als Kriegsbemalung. In mir macht sich unendliche Verzweiflung breit. Es ist ein Kampf, der nicht zu gewinnen ist. Ich trete die Flucht nach vorne und lege ein beachtliches Tempo vor. Ich will, das es bald vorbei ist und sehne mich nach einem Lebensabschnitt, in dem ich nicht in aller Öffentlichkeit Calzone Kebab in mich hineinzwänge.
Skeptisch und das zurecht: Martin Erdmann bei der Arbeit.
Inzwischen liegt der Calzone Kebab aufgeschnitten vor mir und trieft wie eine offene Wunde. Draussen bricht die Dämmerung an, obwohl es dazu noch viel zu früh ist. Ich beobachte meine Reflexion in der Glasfront, wie sie sich ein tropfendes Stück Teig in den Mund schaufelt. Ich weiss nicht, weshalb mein Magen plötzlich brennt: Überfettung oder Selbsthass?
Ich stochere zwischen Fleisch, geschmolzenem Käse und Cocktailsauce herum und halte mutlos Ausschau nach Zutaten, die mein Leben nicht um Jahre verkürzen. Die Suche bleibt erfolglos. Die Mahlzeit ist dermassen unausgewogen, dass ich noch während dem Essen Mangelerscheinungen bekomme.
Bald geschafft: Die letzten Überreste.
Die schiere Masse an Fleisch und Teig verlangt von der Dehnkraft meines Magens alles ab. Die geschmackliche Monotonie lässt jegliche Genussempfindung absterben. Ich hebe die Gabel zum letzten Bissen. Ich habe mich noch nie so voll und gleichzeitig so leer gefühlt.