Untote Teamplayer
Florian Krautkrämer ist Zombieexperte und Professor an der Hochschule Luzern. Er erklärt im Interview, was wir von den Untoten alles lernen können.
Livia Kozma — 04/21/21, 04:16 AM
Wer macht die Türe auf? (Bild: Serj Sakharo)
Herr Krautkrämer, ihr Fachgebiet ist recht aussergewöhnlich. Wie zur Hölle wird man zum Zombieexperten?
Ich hatte schon immer ein grosses Faible für den Horrorfilm und die Auseinandersetzung mit Angst. Bei einer Vorlesungs-Reihe zu «Tod im Kino» und dem Motiv des Sterbens im Film fiel mir auf, dass sich niemand mit dem Phänomen des Untoten beschäftigt hatte. So begann eine ernsthaftere Auseinandersetzung und ein Buch zur Theorie und Geschichte des Zombiefilms entstand. Das Phänomen scheint relevant und verhandelbar zu bleiben und ist auch in die Alltagssprache eingesickert. Man findet es ja in den verschiedensten Kontexten, in der Diskussion um die Wirtschaftskrise wird von Zombiebanken oder Zombiekrediten gesprochen – in den Nachrichten hört man dieses Wort als Metapher. Deshalb bleibt es auch spannend, sich über einen längeren Zeitraum damit zu beschäftigen. – Ich verstehe aber auch die Angst vor der Angst.
Rein von den Schlagworten her – Ansteckung, Virus, Infektion – passt der Zombie eigentlich ganz gut zur aktuellen Situation... Und auch zu den Verschwörungstheorien dahinter.
Das hab ich mir auch gedacht – das passt sehr gut. Qbwohl es jetzt ja eine Viruspandemie ist und eigentlich nichts mit Zombies zu tun hat, liegt die Parallele auf der Hand. Denn viele Zombiefilme funktionieren auch als Virusfilme und verhandeln Themen wie Ansteckung, Infektionen, Massenpanik und Schutz vor weiteren Ansteckungen.
Können wir eigentlich etwas von Zombies lernen?
Auf jeden Fall. Zombies sind extrem soziale und kollektive Wesen, das ist ja der grösste Unterschied zu den lebenden Menschen in den Zombiefilmen. Letztere gehen gegenseitig aufeinander los, während die Zombies immer zusammen agieren. Und die teilen ja auch – da gibt es keinen Egoismus. Deshalb sind sie auch so effektiv.
Florian Krautkrämer
Wie hat sich das Bild des Zombies über die Jahrzehnte hinweg verändert?
Es hat sich immer mehr in Richtung Viruszombie entwickelt. Die Horror-Filme aus den 60er/70ern von George A. Romero lieferten eigentlich noch keine «richtige» Erklärung für die Zombies. In Dawn of the Dead (1978) kommen die Zombies zurück auf die Welt, weil die Hölle voll ist. Da gibt’s auch noch nicht dieses globale Ausmass, da passiert es in kleinen Orten. Erst später entwickelte sich der Zombie mit Erklärung dazu. Aber das ist eine neuere Entwicklung und vor allem in den Filmen der letzten 20 Jahren passiert. Im Grunde ist es nun eine merkwürdige und unheilbare Krankheit, bei der die Ansteckung durch einen Biss passiert. So wird das ganze effektvoller, schneller und es können auch mehr Schauplätze gezeigt werden.
Schneller und effektvoller. Ist das sowas wie der menschliche Fitnesswahn einfach bei Zombies?
Parallelen zwischen Mensch und Zombie finde ich einen sehr interessanten Gesichtspunkt. Die Zombies sind ja eigentlich immer das total Andere – zwar halten sie einem den Spiegel vor, weil sie ähnlich aussehen, aber im Grunde verlaufen ganz klare Identifikations- und Abgrenzungsmuster. Es geht immer um die Frage, wer dazu gehört und wer nicht. Man erkennt auch fast nie ein utopisches Potenzial im Zombie. Denn wenn der Zombie schnell ist, dann ist er nicht nur schnell, sondern übermenschlich schnell und wird dadurch noch unmenschlicher.
Sind sie das nicht sowieso?
Ich find in den älteren Zombiefilmen, wo die Zombies noch langsam schlurfen, gibt es viel eher den Moment der Reflexion wo man nachdenkt: Ist das jetzt ein Zombie oder ein Mensch? Kann ich ihn kurieren? Kann ich ihn gefangen nehmen? Was heisst das überhaupt, wenn ich jemandem, der aussieht wie ich, in den Kopf schiessen muss, damit er aufhört mich zu verfolgen? Diese ganze Reflexionsebene fällt in dem Moment weg, wo jemand auf die Leute zurast. Da muss man reagieren. Die schnellen Zombies büssen damit massiv von dem kritischen Potenzial ein, das die langsamen Zombies haben.
«Die meisten Filme zeigen, dass das Problem nicht nur die Zombies sind, sondern die anderen Menschen.»
Gibt’s eigentlich auch vegetarische oder vegane Zombies?
Ich glaube nicht. Vielleicht am ehesten bei den Marvel-Zombies, wo alle Superhelden zu Zombies werden und darüber reflektieren, was sie als «die Guten» jetzt tun sollen. Das stürzt sie in ein moralisches Dilemma, denn wie soll man die Menschheit beschützen, wenn man sie gleichzeitig fressen will? Sie versuchen dann teilweise kein Menschenfleisch zu essen. Vielleicht wären «vegetarische» Zombies solche, die Tiere essen, statt Menschen.
Gibt es auch Zombies, die uns zu Mitgefühl oder Mitleid bewegen?
Auf jeden Fall. Ein interessanter Film dazu ist White Zombie (1932). Ein B-Film aus der Zeit als die USA Haiti besetzt hatten und Reiseberichte über Voodoo relativ populär waren. Da handelt es sich um Voodoo-Zombies, also um Scheintote und wirklich Tote, die von einem Hexenmeister wiederbelebt und dann zu Arbeitssklaven wurden, und in Zuckermühlen arbeiten mussten. Die konnten aber durch gesalzene Speisen wieder menschlich werden, oder wenn der Zauberbann gebrochen wurde. Im Film gibt es interessante Aufnahmen der Arbeiter, bei denen visuell kein Unterschied zu Sklaven, oder ausgebeuteten Menschen besteht. Da ist eine ganz andere Nähe da, als wenn er nur noch als Monster gezeigt wird. Es sind einfach arme, ausgebeutete Menschen. Das ist interessant, weil der Film damit auch eine Kritik an der Sklaverei formuliert – bewusst oder unbewusst. Es ist zudem spannend, wann der Film gedreht wurde, nämlich zur Zeit der Grossen Depression und der Weltwirtschaftskrise, wo man genau solche Beschreibungen ebenfalls kennt. Dass man bei der Arbeit zombiemässig immer die selben Bewegungen und Griffe absolvierte. Da gibt’s schon eine interessante Nähe, die überhaupt nichts mit schnellen, menschenfressenden Zombie zu tun hat.
Deuten gewisse Dinge auf ein Bewusstsein oder Absichten von Zombies hin?
Sehr selten. In Land of the Dead (2005) entwickelt sich ein Zombie zum Anführer – er spricht zwar nicht, scheint aber so etwas wie einen Plan zu haben. Ansonsten ist das extrem selten. Noch seltener sind Filme, die aus der Perspektive des Zombies erzählen. Darüber wundert man sich eigentlich nicht, Zombies taumeln ja nur so rum. Interessant wird es erst, wenn man sich daneben den anderen prominenten Untoten, den Vampir anschaut, aus dessen Perspektive die Geschichte häufig erzählt wird. Vampire scheinen reflektierte Untote, meistens sogar noble, philosophische Figuren zu sein, die sich viele Gedanken machen und gegen den Drang ankämpfen, Menschen zu beissen. Zombies hingegen sind rein Triebgesteuerte.
Gibt es Ausnahmen?
Wenn es den Blick von Innen gibt, dann sind es häufig Parodien. Zum Beispiel in Wasting Away (2007) infiziert sich eine Gruppe Teenager, sie bemerken ihre Transformation jedoch nicht. Die wundern sich dann nur, dass plötzlich alle so schnell reden, sie nicht mehr hinterherkommen und plötzlich auch richtig Appetit haben auf menschliches Fleisch. Oder es gibt den Ratgeber The Zen of Zombie, indem es darum geht, dass man die Haltung und Philosophie des Zombies annehmen sollte, um besser durch den Tag zu kommen. Wenn man beispielsweise immer wieder feststellt, dass man zu langsam ist und von anderen überholt wird.
Woher weiss ich in meinem Alltagstrott jetzt, dass ich kein Zombie bin?
Das ist genau die richtige Frage – die man nicht beantworten kann.
Es ist eigentlich die Frage nach dem Bewusstsein. Sie setzt voraus, dass Zombies sowas haben. Man müsste das ja eigentlich merken, wenn man so eklig wäre, am Mundgeruch oder so... Spannend ist hier die Frage: Was bedeutet es für mich, wenn ich davon ausgehe, dass Zombies so was wie ein Bewusstsein haben – muss ich sie dann akzeptieren? Das sind ähnliche Fragen, die man aus dem Verhalten gegenüber Tieren auch kennt, oder aktuell im Kontext von KI und Robotern.
Was für eine Crew würden Sie sich zusammenstellen für eine Zombieapokalypse?
Dazu steht der Zombie Survival Guide von Max Brooks griffbereit in meinem Regal. Einer der wichtigsten Ratschläge darin ist wahrscheinlich, die Gruppe so klein wie möglich zu halten. Die meisten Filme zeigen, dass das Problem nicht nur die Zombies sind, sondern die anderen Menschen. Eigentlich könnte man in den meisten Fällen einigermassen überleben, aber dann dreht halt irgendjemand durch, oder will der Anführer sein. Und dann geht alles wieder schief...
Und was für Zombie-Filme würden Sie aktuell empfehlen?
Zugegeben, man muss sich schon auch viel Schrott angucken um in diesem Genre auf die interessanten Sachen zu stossen. Die zwei interessantesten Zombiesachen, die ich in letzter Zeit gesehen habe, waren die beiden Jordan Peele Filme Get out (2017) und Us (2019). Gerade Us (2019) ist ein wirklich interessanter und intelligenter Film, der gute Fragen stellt: Was unterscheidet uns von denen? Was macht sie zu dem Anderen und welches Recht habe ich, darüber zu entscheiden?
Zum anderen empfehle ich Zombie Child (2019) vom französischen Autorenfilmer Bertrand Bonello, der in der Jetztzeit in Paris spielt, aber den Zombiemythos von Haiti aufnimmt und mit der Kolonialgeschichte verknüpft. Ein sehr interessanter Aspekt, weil der Zombie nicht aus der populärkulturellen Perspektive betrachtet, sondern genauer hinschaut, was das Motiv eigentlich ist und wie es gewandert ist.
Woher kommt das Motiv denn?
Ursprünglich aus Afrika und Westafrika, ist es durch die Sklaverei nach Haiti gelangt, durch die spätere Besetzung der USA in die popkulturelle Auseinandersetzung der USA weiter und dann nach Europa. Es hat so also den kompletten Kreis gemacht. Der Film von Bonello ist deshalb interessant, weil er nicht explizit aber doch ein Stück weit verhandelt, wie sich das ursprünglich mit dem Glauben verwurzelte Motiv verändert hat. Das macht darauf aufmerksam, dass der Zombie nicht einfach eine lustige Erfindung ist, sondern tatsächlich auch ein problematisches koloniales Erbe.
Und verknüpft mit einer Art Eskapismus?
Das kann sein – und es gibt auch Theorien, wo es um die Faszination des Abjekten, also dieses Abstössigen geht. Also gerade wie wir am Anfang besprochen haben, jetzt wo alle auf Schönheit und den perfekten Körper aus sind, sehnt man sich nach einem Zombie, der bereits am verfaulen ist...
Endlich weniger Selbstoptimierung!