Prime Time
«Nebenan» ist das Regiedebüt des deutschen Starschauspielers Daniel Brühl. Unter der für Kino und Festivals aufpolierten Marketingfassade versteckt sich ein unterdurchschnittlicher Fernsehfilm. Schade, denn Brühl wäre ein guter Regisseur.
Heinrich Weingartner — 07/16/21, 12:18 AM
Endloses Kneipensitzen mit langweiligen Figuren und einem Patchwork-Drehbuch. (© Warner Brothers)
Die Lauflänge von «Nebenan» beträgt 92 Minuten. Und ist damit der auf Zelluloid gebannte Beweis für die Einstein'sche Relativitätstheorie: Er dauert gefühlt mindestens so lange wie alle drei Herr-der-Ringe-Filme. Extended Edition. Man will den Film ja eigentlich mögen, weil man Daniel Brühl mag, der schon früh – beispielsweise in «Das weisse Rauschen» als Schizophrenkranker – glänzte und es mit seinem konsequent soliden Spiel auch mal in einen Tarantino-Film geschafft hat («Inglorious Basterds»). Aber man kann einen Film nicht mögen, der nicht weiss, was er will und was er soll.
Daniel Brühl spielt hier sich selber, oder zumindest eine Version seiner Promi-Persona. Er ist arrogant und erfolgsverwöhnt, aber geriert sich trotzdem als bescheiden gebliebener Mann des Volkes: Vor einem Flug zu einem Casting schaut er noch kurz in der authentischen Berliner Kneipe «Zur Brust» vorbei. Dort erwartet ihn Bruno (Peter Kurth), ein geheimnistuerischer Ossie, der Brühl anquatscht, zuerst lobt und dann zusehends mit kritischen Kommentaren zu seinem Schauspiel nervt. Und Bruno lässt plötzlich eine Bombe platzen, weil er sich als Nachbar unseres Protagonisten entpuppt und mehr über dessen Leben weiss, als dieser selbst.
«Nebenan» ist nicht konsequent satirisch, aber auch zu wenig tragisch für ein Drama. Wenn mal ein guter Witz kommt, vergisst man ihn nach fünfzehn Minuten belanglosem Gelaber wieder. Manchmal macht der Film auf Psychothriller, im nächsten Moment auf schwarze Komödie. Und zieht sich so Szene für Szene die Glaubwürdigkeit unter den Füssen weg. Das Drehbuch tappt unsicher voran und kommt vom Energielevel her nie über die anfängliche Prämisse, die eine Ausgangslage für einen guten Film wäre, hinweg. «Nebenan» ist weder Fisch noch Vogel. Sondern eher eine nervig herumsurrende Fliege, die man am liebsten zerquetschen möchte. Genau so wie das Brühl einmal im Film tut.
«‹Nebenan› will alles ein bisschen und bringt am Ende doch nichts Richtiges zustande.»
An diesem Film lässt sich leider ziemlich gut das Alles-Nichts-Prinzip veranschaulichen. Wer alles ein bisschen will, bringt am Ende nichts Richtiges zustande. «Nebenan» will zuerst Promisatire sein, dann Herr-Lehmann-Flair versprühen, imitiert mit Drum-Jazz-Soundtrack im Hintergrund den Film «Birdman», will Ein-Drehort-Kammerspiel sein und wechselt zwischen Schenkelklopfer-Humor, Indie-Wichtigtuerei und Leerschluck-Drama. Und ist am Ende bloss ein furchtbar langweiliger Film mit uninteressanten Figuren und einer Handvoll guten Momenten. Ziemlich schade, weil Brühl Schauspieler*innen führen und einen konsequenten Look kreieren kann – mit einem besser ausgearbeiteten Drehbuch klappt es vielleicht beim nächsten Mal?
Nebenan, ab jetzt im Kino Bourbaki
Regie: Daniel Brühl, mit: Daniel Brühl, Peter Kurth
Prime Time ist das Kultz-Format für Film und Fernsehen. Jeden Freitag schreiben Sarah Stutte und Heinrich Weingartner über die neuesten Blockbuster, Arthouse-Streifen und gehypten Serien. |