Bauliche Sünden
Jana Avanzini ist längst von ihrem Geburtsort weggezogen und bereut es nicht. Grund dafür sind auch bauliche Ausgeburte, die im Kanton nicht totzukriegen sind. Ein Abgesang auf die Heimat.
Jana Avanzini — 04/20/22, 11:29 AM
Kein schöner Anblick: Ennetbürgen von oben. (Foto: Burch und Partner)
Rechts adrette Altbauten mit Dachterrassen in Reih und Glied. Bald ein paar Graffitis, die dem Ganzen einen leichten urbanen Anstrich geben, bald ein paar Schrebergärten, bald grosse Backsteinblöcke mit Balkonen voller Kinderspielzeug und Buchsbäumchen. Ich bin auf dem kurzen Weg in die Heimat – die Fahrt von Luzern nach Ennetbürgen beginnt ganz ok.
Doch schon in Hergiswil kündigt sich das Elend an. Ein zersiedeltes Mischmasch aus Chalets und 80er-Jahre-Mehrfamilienhäuser. Alles in Gelb, Beige, Rosa, Ocker. Dann der Bahnhof in knallblau, knallrot, knallgelb. Zum Glück folgt darauf ein Tunnel und damit ein Moment der Dunkelheit – der Fokus liegt auf den angenehm symmetrischen Sitzpolstermustern in gedeckten Farben. Danach Schallschutzmauern, See und Wiesen, bevor rechts der Hügel sich füllt mit rosa gelblichen Häuschen. Ennetmoos.
Geschändeter Dorfplatz
Am Bahnhof Stans begrüsst das hellneongrüne Monster «Gartencenter Kuster», glücklicherweise etwas ergraut und nun von Bauprofilen gerahmt. Man darf erwarten, dass hier bald ein neuer quadratischpraktischer Bau stehen wird. Viel schlimmer als jetzt jedoch kann es kaum werden.
Doch für den Bahnhof kommt man ja nicht nach Stans – sondern für den architektonisch überragenden Dorfplatz. Über diesen schreibt Tourismus Stans stolz: «Der Dorfplatz von Stans sei einer der schönsten der Schweiz. Auch wir sind davon überzeugt und stolz auf unser unter eidgenössischem Schutz stehendes Zentrum.»
Schön, aber mit Autos: Der Stanser Dorfplatz. (Foto: zvg)
Nur scheint dieser Stolz sich darin zu erschöpfen, diesen wunderbaren Ort als Strasse und Parkplatz zu benutzen. Der Politik und der Bevölkerung geht Schönheit offenbar am Allerwertesten vorbei – ausser sie trinkt Diesel. Hier kann man seinen SUV abstellen, mit dem man die paar Kilometer zum Einkaufen fährt. Eine Blechlawine ohne Inseli, ein Schwanzvergleich mit Klima-Scheuklappen. Und um die hübsche Häuserzeile am Fusse des Dorfplatzes wurde so lange zwischen Investor und Denkmalschutz gestritten, dass man sich seit Jahren eine Reihe Spanplatten mit einem nett gemeinten Versuch von Kunst anschauen muss.
Nieder mit den Bäumen
Mit dem Postauto geht es weiter an die Buochserstrasse runter Richtung Ennetbürgen. Hier entsteht Kasten an Kasten, Block an Block, wo früher charmant abgefuckte Bauten und Einfamilienhäuser sich abwechselten.
Vorbei weiter am stillosen Allmendhuisli, vorbei an den grössenwahnsinnigen Pilatuswerken, bald steht die Industrie Spalier. An der Ennetbürger Stanserstrasse baut man neuerdings gerne auch menschhohe Steinmauern um sein Haus herum. Das ist hässlich und traurig und damit bezeichnend für die raumplanerische Entwicklung des ganzen Dorfes. Anstatt Ästhetik wählt man Hasenstall. Anstatt Ethik wählt man Deals mit den Saudis. Anstatt Offenheit wählt man Abschottung.
Diese Steinmauern könnten Mordor schützen, und im Quartier, in dem ich aufgewachsen bin, blenden neuerdings die Fassaden. Die Mehrfamilienhäuser wurden in beissend hellem Weiss getüncht, die Gärten auf englisches Rasen-Niveau zurechtgestutzt. Es war früher ein Quartier voller Hütten in den Bäumen. Kein einziger davon ist übriggeblieben.
Sollte architektonisch die Kirche lieber einmal im Dorf lassen: Ennetbürgen. (Foto: Gemeinde Ennetbürgen)
Und ein Haus, das neue Fenster braucht, eine neue Küche, ein Haus, das eine eigene Form hat, ein solches Haus zählt offenbar heute als abrissreife Bruchbude. Wer in einem Tinyhouse oder einem umgebauten Bauwagen leben will, dem werden Steine in den Weg gelegt. Als möchten wir den Leuten krampfhaft Alternativen zum «Immergrösser», «Immerneuer» madig machen.
Ich würde nie behaupten, Ennetbürgen sei je eine Schönheit gewesen. Weder innerlich noch äusserlich. Das wäre eine dreiste Lüge. Und ich werde mich als linksgrünversiffte Feministin davor hüten zu sagen, früher sei in Nidwalden irgendwas besser gewesen. Ausser vielleicht Kino und Theater.
Das Grauen am Sonnenhang
Mein Ärger über die hiesige «Baukultur» hat schon in meiner Jugend begonnen, als sie das schönste Gebäude des Dorfes, das historische Schulhaus abrissen. Es hatte Stuck und knarrenden Parkett, es hatte von den Füssen hunderter Kinder ausgetretene Steinstufen und Dornenbüsche rundherum. Es war ein Haus, das von Geschichte erzählte und von Sinn für Ästhetik.
Man hat es durch einen Betonklotz ersetzt. Für die Gemeindeverwaltung und einen Coiffeur. Sonja oder Rita oder vielleicht heisst er auch Schnippschnapp. Und nicht lange her, da fiel der wenigstens authentische trashig-abgefuckte Teil des Dorfes dem plötzlichen Anfall von Modersein-Wollen zum Opfer: Das Pub und die alte Scheune mit dem Velohändler.
Ein behördlicher Klotz: Der Gemeindesaal in Ennetbürgen. (Foto: Gemeinde Ennetbürgen)
Und dann ist da der Hang, an dem Steuerflüchtlinge mit ihren Privatjets in der Überzahl sind gegenüber der Bauernfamilien. Und auch der Mittelstand, der sich hier sonst um die Flugpiste mit den dröhnenden FA-18 drängte, hat sich mittlerweile in den Hang gekrallt. Anstatt Wiesen fügt sich Block an Block. Terrassenhäuser werden in den Rücken des Bürgenstocks gerammt. Tiefer und tiefer, höher und breiter. Innen weisse Plattenhöhlen.
An der Hauptstrasse werden rechteckige, sterile Kästen mit Hasenstall-Balkonen auf die hübschen kleinen Einfamlienhäuschen geworfen. Auf die Gärten, die Hasen, die kauzigen Grossväter mit einer Leidenschaft fürs Goldwaschen. Einförmig soll es sein. Das passt nur zu gut dazu, welche Politiker hier am besten ankommen.
An diesen Bauten, an diesen Karren lässt sich ablesen, was das Ziel ist. Sich abzugrenzen, sich zu erheben. Und offenbar kommt es gut an, den Grössten haben zu wollen. Und offenbar kann man es sich auch leisten, den zukünftigen Generationen damit zu zeigen: Nach uns die Sintflut.
Dieser Artikel wurde produziert im Rahmen des «Innereien»-Kulturprojektes der Albert Koechlin Stiftung. Hier erfährst du mehr darüber. Und hier geht es zur offiziellen Webseite: www.innereien.ch.