Prime Time
Filmische Erzeugnisse über Afrika sind oft von einem weissen Paternalismus geprägt. «Sìrìrì» schaut bloss zu und lässt seine Protagonisten werten. Eindrücklich.
Heinrich Weingartner — 09/10/21, 01:33 AM
Trotz körnigen Digitalaufnahmen ist «Sìrìrì» bildgewaltig. Foto: Outside the Box Films
Der offizielle Kinostart von «Sìrìrì, der Kardinal und der Imam» im Bourbaki verlief durchzogen. Zuschauerzahl: 1, Filmkritiker mitgezählt. Dies bringt zum Ausdruck, wie Schweizer*innen nach Afrika blicken: Gar nicht. Wir leisten uns den Luxus, über eine Impfung zu streiten, die Leben rettet, während in der Zentralafrikanischen Republik Dörfer abgebrannt, Frauen vergewaltigt und Kinder niedergeschossen werden. In einem der ärmsten Länder der Welt tobt ein menschenverachtender Konflikt zwischen katholischen Christen und islamischen Fundamentalisten. Mittendrin: Imam Oumar Kobine Lamaya und Kardinal Dieudonné Nzapalainga. Sie glauben beide an einen anderen Gott, verfolgen aber dasselbe Ziel: Frieden.
Manuel von Stürler, Regisseur des Films, hat Jazz studiert und erst im Alter von 40 Jahren angefangen, Filme zu drehen. Der cinematische Quereinsteiger begeht in seinem dritten Film einen dokumentarischen Roadtrip durch Zentralafrika. Wie eine Fliege an der Wand begleitet er die beiden gegensätzlichen Friedenskämpfer auf ihren ewigen Autoreisen durch den von sumpfigen Wegen und buschigem Unterholz durchzogenen Binnenstaat. Dort wenden sie sich an die aufgebrachte Bevölkerung. Stürler filmt fast ohne Kommentar und mit beiläufiger Dramaturgie: «Sìrìrì» erweckt manchmal den Eindruck eines ungeschnittenen Reisevideos. Und erreicht in dieser primitiven Konsequenz eine Ehrlichkeit und Unvoreingenommenheit, die sich vom mitleidsheischenden World-Vision-Gesülze des moralfokussierten Gutbürgertums abhebt.
Einmal besucht der Kardinal eine Gemeinde, deren Häuser vor einigen Tagen von Islamisten abgebrannt worden sind. Die Bewohner*innen müssen deshalb in der Nacht auf offenem Felde schlafen. Ein Betroffener klagt: «Wie sollen wir an diesem Ort der Vertreibung an das heilige Wort von Gott glauben? Wir glauben nicht mehr. Wir leben wir Tiere, wie Hunde.» Dieudonné hebt kurz inne und es donnert im Hintergrund. Es sind abgründige Bilder, die Stürler einfängt. Und es kommt noch schlimmer: Eine Dorfbewohnerin dankt Dieudonné einmal für seine Arbeit und schiebt nach: «Danke, dass wir dem Tod geweiht sind.» Bitterböse Ironie.
Ein Film mit Bodenhaftung, der einem den Wohlstandsboden unter den Füssen wegzieht.
Trotz allem schlichten die beiden Gottesdiener. Und versuchen, zwischen den Glaubensgemeinden zu vermitteln. Und diese wiederum verstehen meist nicht, weshalb ein friedliches Zusammenleben unmöglich ist. Sie bringen schlüssige Argumente vor und reden mit weniger Floskeln als viele hiesige, überentwickelte Politiker*innen. Bis auf einen kurzen Moment zu Beginn des Films bleiben jedoch die gewalttätigen Terrorgruppen abwesend. Sie entziehen sich unserem Blick und dem Verständnis. Genauso wie die dreckigen Waffen- und Diamantgeschäfte, mit denen diese Terrorgruppen finanziert werden. «Sìrìrì, der Kardinal und der Imam» ist ein Film mit Bodenhaftung, der einem den Wohlstandsboden unter den Füssen wegzieht.
Sìrìrì, der Kardinal und der Imam, ab jetzt im Kino Bourbaki
Regie: Manuel von Stürler
Prime Time ist das Kultz-Format für Film und Fernsehen. Jeden Freitag schreiben Sarah Stutte und Heinrich Weingartner über die neuesten Blockbuster, Arthouse-Streifen und gehypten Serien. |