Bildbetrachtung
Sehr höflich war das nicht, wie sie uns letztes Mal mit ihrem Traum durch den kleinen Salon und über das ganze Anwesen jagte, hernach lang und breit den Traum ausdeutete und schliesslich just, als es spannend wurde, ans Telefon musste. Aber jetzt ist sie zum Glück wieder da.
Christov Rolla — 06/07/21, 10:12 AM
Zum ersten Teil gehts hier.
(Bild: Christov Rolla)
So, ich bin wieder da. Bitte entschuldige die Unterbrechung, Liebes, aber Dr. Baltenspühl ist ein wichtiger Partner, da muss ich erreichbar sein, sonst geht uns Ascona noch in die Binsen. – Wo waren wir stehen geblieben?
Ach ja, stimmt, warum es unvorstellbar ist, dass Urs ein Verhältnis mit der Frau von unserem Gärtner eingehen würde. Beziehungsweise, warum wir den Hidalgos als Arbeitgeber zwar durchaus respektvoll und herzlich begegnen, sie aber sicher nicht auf den See mitnehmen würden zum Beispiel.
Also. Wie sag ich das jetzt, dass es nicht gemein klingt.
Der Mensch bewegt sich nun mal am liebsten und, wie ich finde, am vorteilhaftesten unter einigermassen Seinesgleichen. Das ist völlig normal! Und es ist aber auch normal und legitim, für die gesellschaftliche Fortüne ab und zu ein bisschen nach oben zu spienzeln. Aber bitte immer mit Augenmass und ein bisschen Klassenbewusstsein!
Zum Beispiel hoffen Urs und ich seit Jahren, einmal zum Neujahrsempfang von Jürg und Nelly Burckhardt eingeladen zu werden. Das sage ich ganz offen. Aber so etwas muss man sich verdienen! Urs ist schon zig Jahre an Jürg dran – und ich bin zuversichtlich, dass wir die Silvestertage in drei oder vier Jahren im Weilsbrunner Hof verbringen dürfen. Und so, wie wir uns ein bisschen an Burckhardts orientieren, kämen Manuel und seine Frau sicher gerne einmal zu einem Umtrunk zu uns. Und da habe ich auch vollstes Verständnis für die beiden! Aber seien wir ehrlich: Vom Sozialen her ist der Unterschied zwischen den Hidalgos und uns halt doch noch ein bisschen grösser als der zwischen uns und den Burckhardts.
Es ist mir doch wirklich vollkommen egal, welche Hautfarbe mein Gärtner hat!
Und das ist überhaupt nicht rassistisch gemeint! Ich hätte dasselbe auch über Herrn Bühlmann gesagt, der uns vor Manuel den Garten gemacht hat. Aber es gibt halt nun mal unterschiedliche Lebensrealitäten, und entsprechend sind die Interessen und Gesprächsthemen andere. Ich meine, was sollen wir mit den Hidalgos zum Beispiel über die Elbfried-Austellung reden? Die haben sehr wahrscheinlich noch nie von Johannes Elbfried gehört, und sonderlich kunstaffin scheinen sie auch nicht zu sein. Und das macht ja auch gar nichts, es müssen sich nicht alle für das gleichen Dinge interessieren! Umgekehrt würden sie sicher nicht erwarten, dass ich den Unterschied zwischen, was weiss ich, einer Fajita und einer Tortilla kenne. Aber ein näherer Umgang mit den Hidalgos würde ihnen doch nur vor Augen führen, was sie alles nicht kennen und sich nicht leisten können – und ich möchte bei ihnen ja nun wirklich keine Minderwertigkeitsgefühle auslösen.
Es ist mir auch sonst ein grosses Anliegen, also von meiner ganzen Lebenseinstellung her, unseren Angestellten ihre einfachere Herkunft nicht ständig unter die Nase zu reiben. Nur deswegen schliesse ich die schönsten Schmuckstücke immer weg, wenn Radenka putzen kommt! Und aus präzis dem gleichen Grund lässt sich Urs von Jakub aus Prinzip nur im kleinen Bentley chauffieren und fährt den grossen immer selber. Wir sind uns unserer Privilegien also durchaus bewusst und gehen sorgsam damit um!
Und darum macht es mich auch so potzhässig, wenn man uns als rassistisch oder arrogant bezeichnet. Es ist mir doch wirklich vollkommen egal, welche Hautfarbe mein Gärtner hat! Ich meine, würden wir Ausländer anstellen, wenn wir rassistisch wären?
Urs bezeichnet uns manchmal schmunzelnd als wirtschaftsliberale Hippies, und das trifft es recht gut.
Es hat also definitiv nichts mit der Herkunft zu tun, welchen Kreisen man sich angehörig fühlt. Und mit Reichtum und Bildung übrigens auch nicht: Der Johannes Elbfried war noch ein armer Schlucker, als wir ihn kurz nach der Kunstgewerbeschule unter unsere Fittiche nahmen. Aber er hat Talent gehabt und ein gewisses Jenesaisquoi, verstehst du, und nun ist er ein gern gesehener Gast und bereichert unsere Zusammenkünfte, dieser verrückte Bohémien. Und wenn du schaust, was für Rechtschreibfehler Sibylle macht, da würdest du auch nicht denken, dass sie in St. Gallen studiert hat.
Und wenn ich grad am Aufräumen mit all den Klischees bin: Selbstverständlich kommt einer mit grösserer Wahrscheinlichkeit zu Wohlstand, der hart arbeitet und nicht alles dem Staat überlässt; und das ist sicherlich eher eine bürgerliche Tugend. Aber deswegen sind wir doch noch lange nicht automatisch rechts, bloss weil wir in finanzieller und gesellschaftlicher Hinsicht erfolgreich sind!
Urs bezeichnet uns manchmal schmunzelnd als wirtschaftsliberale Hippies, und das trifft es recht gut, auch wenn wir eigentlich nie abstimmen. Denn er würde wohl am ehesten FDP oder SVP wählen und ich mehr so Mitte-Links – wir würden uns also sowieso gegenseitig ausgleichen. Aber im Grunde genommen sind wir völlig unpolitisch. Und darum auch ganz definitiv nicht rechts!
Ich war in meiner Jugend sogar mal mit einem Linken zusammen, einem Musiker noch dazu. Das war eine schöne Zeit: Am Baldeggersee sitzen, keine Sorgen haben, ein bisschen kiffen, den Sonnenuntergang anschauen …
Aber das geht ja alles auch, wenn man mit Urs zusammen ist.
Und dann obendrein auf Bali statt am Baldeggersee.
(Bild: Christov Rolla)
# Christov Rolla ist eigentlich Musiker. Für diese Kolumne aber versetzt er sich in Menschen und an Orte. Manche bezeichnen dies als Rollenprosa, andere als redselige, ausschweifende und komplett herbeifabulierte Selbstgespräche. Wir nennen es: Bildbetrachtung. Mit freundlicher Unterstützung der Kulturförderung des Kantons Luzern.