Love Interest
Ein Ben Affleck mit Schlafzimmerblick lutscht an Liv Tylers Schulter herum, während die Welt dem Untergang geweiht ist. Dass das weder sexy noch romantisch ist, zeigt «Armageddon».
Sarah Stutte — 04/22/22, 12:14 PM
Liv Tyler und Ben Affleck in «Armageddon».
Am Anfang von Michael Bays halbgarem Katastrophen-Sci-Fi-Desaster klärt uns eine grossväterliche Erzählstimme (vielleicht Gott?) mit dem Blick auf die sich drehende Erde darüber auf, dass den Dinos am Ende der Kreidezeit leider ein Meteoriteneinschlag das Licht ausgeknipst hätte und – mit einer bedeutungsschwangeren Pause – dies natürlich wieder passieren könne. Die Frage sei nur, wann. Der Schriftzug des Filmtitels erscheint und wird im nächsten Moment schon wieder weggebombt, von den Gesteinsbrocken eines Asteroiden, der in den nächsten zweieinhalb Stunden auf dem ultimativen Zerstörungskurs ist.
Erst muss eine Raumfähre der NASA dran glauben, dann treffen die Meteoriten natürlich erstmal nur die USA, weshalb eine ausnahmslos amerikanische Lösung her muss. Wer oder was könnte denn diesen Asteroiden, der ungebremst auf die Erde zusteuert, noch rechtzeitig vom Kurs abringen? Atomwaffen? Nein. Eine hochausgebildete Astronautencrew? Nö. Die raubeinige Bohrcrew von der nächstgelegenen Ölplattform tut's ja auch. Die werden zack-zack in nur wenigen Tagen zu Top-Raumfahrern ausgebildet und ins All geschossen, um auf dem Asteroiden ein Loch zu bohren, darin eine Bombe zu platzieren und den astronomischen Kleinkörper zu teilen, damit dieser hübsch entzweit an der Erde vorbei saust.
Soviel zur absolut unlogischsten Science-Fiction-Geschichte aller Zeiten. Oder hatte ich schon die Szenen auf dem Asteroiden selbst erwähnt? Schwerelosigkeit ist hier Fehlanzeige. Bruce Willis und seine tapferen Ölbohrer laufen hier jedenfalls so gemütlich rum, als wären sie auf dem Sonntagsspaziergang. Ist ja auch so schön ruhig auf dem Brocken, der gerade durchs All stürzt. Der ganze heroische Wahnsinn ist schön von schwülstiger Musik und Patriotensülze durchtränkt, mit einem Zoom-Schwenk auf die Gedenktafel der Apollo 1-Pioniere, einer dreiminütigen Litanei darüber, warum nur Amerika die Welt retten kann und genügend Herzschmerz-Würgreflex-Momenten.
Für letztere sorgen Ben Affleck und seine Angebetete und Schnellverlobte Liv Tyler, die sich hier mit maximal zwei mimischen Ausdrücken durch die ganze Apokalypse schleichen. Diese beiden Gurkengesichter sollen uns also eine glaubhafte Love-Story verkaufen, die sich wie folgt aufbaut: Am Anfang erwischt Film-Daddy Bruce Willis die beiden zusammen im Bett. Dann nuckelt Affleck der guten Liv im Hangar eher eklig an ihrer Schulter herum, später liegen sie noch im Gras und er marschiert mit Keksmännchen über ihren nackten Bauch. Plus die schiefe Gesangseinlage zum Abschied und die Umarmung zum Wiedersehen, gefolgt von der Kitsch-Hochzeit, die den Abspann endlich einleitet.
Das ist Romantik und Sexyness hoch zehn. Wer braucht da noch sinnvolle Gespräche oder überhaupt irgendwas an Beziehungshintergrund, um sich hier nicht von den tiefsten Emotionen der bewegendsten Love-Story aller Zeiten mitreissen zu lassen? In dem ganzen Graus hätte es sich vielleicht gelohnt, einfach auf die Vater-Tochter-Story zu fokussieren und zumindest den schlechten Ben zuhause zu lassen. Wenigstens gibts einen lustigen Russen, einen Steve Buscemi, der bei diesem Drehbuch gleich den Weltall-Knall bekommt und Willis, der uns anno 1998 vorm jüngsten Tag gerettet hätte. Jetzt brauchen wir auch hier einen neuen Helden.
Dieser Artikel wurde im Rahmen des «Innereien»-Kulturprojektes der Albert Koechlin Stiftung produziert. Hier erfährst du mehr darüber. Und hier geht es zur offiziellen Webseite: www.innereien.ch.